Totschlags-Prozess in Köln "Wer würde denn schon um dich trauern"

Köln · Ein 35-Jähriger hat seinen jüngeren Bruder getötet. Die Tat hat er gestanden, die Motive scheinen auf den ersten Blick erschreckend banal zu sein. Nun hat der Prozess am Kölner Landgericht begonnen.

 Der Angeklagte (r.) mit seinem Verteidiger Bernhard Scholz.

Der Angeklagte (r.) mit seinem Verteidiger Bernhard Scholz.

Foto: Hauser

Luis K. (Name geändert) sitzt neben seinem Verteidiger Bernhard Scholz und versucht zu beschreiben, was zwischen ihm und seinem drei Jahre jüngeren Bruder geschah, bevor er ihn tötete. Vier Stunden hatte Luis K. wach gelegen, als sein Bruder am 13. November 2016 gegen 2 Uhr früh in die Wohnung in Köln-Niehl kam. Die Eigentumswohnung gehört den Eltern, die ein China-Restaurant in Köln geführt hatten, 2013 aber nach Hongkong gezogen waren. Zuletzt lebte Luis K. — der Älteste von vier Geschwistern — allein in der Wohnung. Sein Bruder und zwei Schwestern arbeiteten in der Schweiz. Der Bruder schlief aber in der Wohnung, wenn er in Köln zu Besuch war.

"Ich bin in der Nacht aufgestanden, und wir haben gestritten", sagt der Angeklagte. Es sei um Post an die Eltern gegangen, die er in einer Kiste gesammelt hatte. Sein Bruder habe geglaubt, er wolle die Briefe wegwerfen. "Du bist nur Müll, du kannst dich direkt mitentsorgen, wer würde denn schon um dich trauern?", habe der Bruder zu ihm gesagt. "Er sprach völlig emotionslos, was mich umso mehr getroffen hat."

Er habe ihn weggeschubst. Das nächste, woran er sich erinnere, sei, dass sie beide im Badezimmer auf dem Boden gelegen hätten. "Meine Hände hatten seinen Hals umfasst, er war regungslos." Er hatte seinen Bruder erdrosselt. "Was passiert ist, habe ich erst registriert, als die Sanitäter versucht haben, ihn wiederzubeleben." Er selbst hatte gleich nach der Tat den Notruf abgesetzt.

Ein banaler Streit mit tödlichem Ende — doch der Konflikt zwischen den Geschwistern begann wohl schon sehr viel früher. Obwohl sie als Kinder ein gemeinsames Zimmer hatten, sei sein Bruder lieber bei den Schwestern gewesen. Er selbst sei immer außen vor geblieben. "In den letzten fünf Jahren haben wir kaum noch miteinander gesprochen", sagt Luis K. "Wir haben von unseren Eltern alles bekommen, aber es gab keine emotionale Nähe."

Seine Eltern hätten sich etwa nicht darüber gefreut, dass er sein Abitur gemacht hat, er sei allein beim Abi-Ball gewesen. Auch die Geburt seines Sohnes, der inzwischen 15 Jahre alt ist, hätten sie allenfalls zur Kenntnis genommen, ohne sich mit ihm zu freuen. "Sie wollten nicht, dass ich mit einer Deutschen zusammen bin, ein uneheliches Kind habe."

Er sei auf Leistung getrimmt worden. Erbrachte er sie nicht, gab es Schläge vom Vater mit einem Bambusstock auf die ausgestreckten Hände. Mit 16 habe er zum ersten Mal versucht, sich umzubringen. Als die Mutter seines Sohnes ihn verließ, versuchte er sich in der Dusche zu erhängen, da war er 24. "Diese neue Familie war mein einziger Lebensinhalt."

Er galt unter seinen Geschwistern als der Sensible. Die Schwestern und der jüngere Bruder gingen ohne ihn feiern und zu Konzerten. "Ich hatte kaum Freunde als Kind", sagt er. Zur Hochzeit der Schwester ging er als Einziger nicht. Er glaubt, sie habe ihn nur aus Höflichkeit eingeladen. Lehre und Studium brach er ab — jeweils kurz vor dem Abschluss. Er hatte Wirtschaftsrecht studiert, "das ist nach sechs Jahren gescheitert", sagt er. Vor der Tat verdiente er sein Geld in einem Callcenter.

Er könne nicht beschreiben, wie sehr ihn die Worte seines Bruders in der Tatnacht getroffen hätten, sagt er. Der Bruder hatte ihm vorher schon einen Zettel an die Tür gehängt, auf dem er ihm Vorwürfe machte wegen der nicht geöffneten Briefe an die Eltern, die unter anderem von einer Krankenversicherung waren. Es sei das Beste für alle, wenn er sich auch entsorge, stand darauf.

Es war wohl das Gefühl, allen gleichgültig zu sein, mit dem Luis K. dann die Hände um den Hals seines Bruders gelegt hat.

Ein Urteil wird für den 2. Juni erwartet.

(hsr)
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