Köln Der Stunksitzung fehlt der Biss

Köln · Die Karnevalsveranstaltung ist eine Revue auf höchstem Niveau, doch es mangelt an Tabubrüchen.

 Das Publikum bei der Stunksitzung im Kölner E-Werk in der vergangenen Session.

Das Publikum bei der Stunksitzung im Kölner E-Werk in der vergangenen Session.

Foto: A. & W. Bartscher / bartscher.net

Es ist keine einfache Session für die "Stunker". Kardinal Meisner steht als Lieblingsfeind nicht mehr zur Verfügung, der 1. FC Köln hat sich zu einem, na ja, halbwegs seriösen Fußballverein entwickelt, und es sind zuletzt keine Häuser mehr in Kölner U-Bahn-Baustellen gestürzt. Wen soll sich der ambitionierte Karnevalist also vorknöpfen? Weder Stadt- noch Landes- noch Bundespolitik haben offenbar tauglichen Stoff hergegeben.

Das ganze Leid der Stunksitzung, der einst heftig alternativen Kölner Karnevalsveranstaltung von überörtlicher Bedeutung, drückt sich in einem Lied aus: "Über den Woelki" singt die Hausband "Köbes Underground" zur Melodie von Reinhard Meys "Über den Wolken". Über Woelki, den neuen Kardinal, gibt es "nichts Schlechtes zu erzählen", meint die Band. Genau das ist das Problem. Die Stunksitzung - am Dienstag war im Köln-Mülheimer E-Werk die erste Auflage der 2015er-Edition - hat keine Figuren gefunden, an denen sie sich nach alter Art reiben kann.

Die hochprofessionelle und überaus unterhaltsame Show kommt als Fastelovends-Revue daher, nicht wie eine scharfe Satire, die Tabus bricht und das Establishment provoziert. Der WDR, der die Sitzung übertragen wird, muss sich anders als in früheren Auflagen keine Gedanken darüber machen, ob er heikle Passagen herausschneiden muss. Es gibt sie nicht.

Nicht ein einziges Mal fragt man sich im prallen, vierstündigen Programm, ob Klatschen jetzt überhaupt angebracht wäre. Nicht einmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken, weil Igitt-Themen auf die Bühne geraten, an religiösen Gefühlen gekratzt oder die Grenzen der politischen Korrektheit weit überschritten werden. Und ein Premieren-Elferrat aus Düsseldorf und ein Mönchengladbacher im Chor der schwulen Fußball-"Spielermänner" taugen auch nur bedingt als Aufregerchen.

Das allenfalls leicht alternativ angehauchte Publikum bekommt Konsens-Karneval, so wie ihn Präsidentin Biggi Wanninger im ersten Auftritt ankündigt: ohne Pegida, ohne Hosega (diese Hooligans) und ohne Helene Fischer. Wer will dagegen etwas haben? Das Programm bleibt im Ungefähren. Die deutsche Flüchtlingsfeindlichkeit, die Akzeptanzprobleme eines türkischen Schützenkönigs, die albernen Argumentationen europäischer Rechtspopulisten - so ist es eben tatsächlich.

Dennoch darf sich jeder glücklich schätzen, der beim wenige Stunden währenden Kampf um die Eintrittskarten Erfolg hatte. Die 46 Euro sind gut angelegtes Geld, zumal die Nebenkosten bei einem Kölschpreis von 2,50 Euro pro Glas für Karnevalsverhältnisse sehr akzeptabel sind.

"Döner for One" ist eine köstliche Adaption des Silvester-TV-Klassikers, Ozan Akhan rockt mit Tanznummern den Saal, der Calli und die Töpperwien funktionieren als Parodien fast so gut wie die Originale. Beste Nummer: der Tanz der Plastiktüten, eine wunderbare Auseinandersetzung mit der Vermüllung des Planeten - mit Witz und ohne erhobenen Zeigefinger.

Info TV-Termine (WDR): Donnerstag, 12. Februar, 22 bis 23.30 Uhr; Samstag, 14. Februar, 0.45 (Nacht auf Karnevalssonntag). Hörfunk (WDR 5): 20.05 bis 22 Uhr.

(RP)
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