Köln/ Düsseldorf Der Boom unserer Stadtbüchereien

Köln/ Düsseldorf · Öffentliche Bibliotheken in NRW wandeln sich Schritt für Schritt zum Lernort der Gesellschaft und haben im Jahr mehr Besucher als beide Fußball-Bundesligen zusammen. Die Kölner Bücherei wurde unlängst sogar zur besten des Jahres gewählt.

Samstags wird gedruckt. Nicht einfach so auf Papier. In der Hauptstelle der Stadtbibliothek zu Köln kann man sich seine Dateien auf dem 3D-Drucker ausdrucken lassen. Die Miniatur-Objekte aus Plastik wie den Kölner Dom, den Düsseldorfer Schlossturm, einen Schlüsselanhänger oder eine Schraube darf man mit nach Hause nehmen. Dafür muss man noch nicht einmal Kunde der Bibliothek sein.

Der 3D-Drucker steht im 4. Stock des Hauses. Mitten im Publikumsbereich der Musikbibliothek, für jeden sichtbar und zugänglich. Er ist ebenso wie ein 3D-Scanner, Schneideplotter, ein E-Piano, ein Grotian-Steinweg-Flügel, eine Fender Stratocaster E-Gitarre, Programmier-Sets und Geräte zur Digitalisierung von Schallplatten sowie Fotos und VHS-Kassetten Teil des vor zwei Jahren eingerichteten "Makerspace". Das ist ein technisch-innovatives Forum, das zum Selbermachen einlädt. Als erste Bibliothek in Deutschland reagierte die Stadtbibliothek Köln damit auf die internationale "Makerbewegung" - und wurde auch aus diesem Grund kürzlich zur "Bibliothek des Jahres" gewählt. Als einzige bundesweit bereits zum zweiten Mal.

Düsseldorf: Fragen und Antworten zur onlineBibliothek
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Foto: ddp

Ist Köln damit der Primus, der Sonderling einer Uralt-Institution, die in Zeiten zunehmender Buch-Ferne noch zu retten versucht, was zu retten ist? Denkste! Die guten alten Stadtbibliotheken boomen - manchmal jedenfalls. Vor allem dann, wenn in sie investiert und aus ihnen heraus neue Ideen erwachsen können. Die Düsseldorfer Zentralbibliothek punktet etwa mit ihrer Online-Bibliothek, die mittlerweile 20 000 digitale Medien vorhält.

Das degradiert die Bücherei der Landeshauptstadt aber nicht zu einem der vielen Online-Anbieter. Das Angebot spült neues, junges Publikum in die Häuser. Neben der Zentral- und einer rollenden Bibliothek sind das 13 Stadtteilbüchereien - und diese Kleinteiligkeit ist ein weiteres Pfund der Düsseldorfer Bücherausleiher. Denn ausgestattet sind die Filialen mit einem für die Menschen vor Ort zugeschnittenen Angebot.

Neuer Standort für die Bücherei Mönchengladbach
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Das macht sich nachweislich bezahlt: In Düsseldorf stieg die Zahl der Ausleihen von 2013 auf 2014 um knapp 100 000 auf nunmehr 5,21 Millionen, und die Zahl der Besucher um 8000 auf insgesamt 1,37 Millionen. Wem solche Zahlen zu unübersichtlich sind: An jedem Öffnungstag besuchten zuletzt 4700 Düsseldorfer eine der Büchereien ihrer Stadt.

Sicher, die Zuwachsraten sind meist dem digitalen Angebot geschuldet. Doch modern wird eine Bücherei erst durch ein neues Verständnis von Bibliothek. Die alte Ausleihestelle hat sich gewandelt zu einem Ort für den Wissenserwerb, sagt Harald Pilzer, Vorsitzender der Bibliotheken in NRW. Dazu gehört ein neues Ambiente, eine "Anregungsumgebung", nennt er das. Konkret: Arbeitsplätze statt Regalreihen und ansprechende Gruppenräume für kollaboratives Lernen statt eremitische Einzelplätze.

Das hört sich piefiger an, als es ist. Weil genau dahinter ein Grundbedürfnis der Gesellschaft befriedigt wird. Wissenschaftler nennen das den "dritten Ort". Ihre Theorie: Der Mensch im 21. Jahrhundert braucht neben seinem Zuhause als erstem und dem Arbeitsplatz als zweitem Ort noch einen dritten, institutionalisierten Platz, an dem sich Menschen treffen und miteinander kommunizieren können. Dieser Ort muss sowohl neutral sein, also frei von Verpflichtungen, als auch offen; jeder muss Zugang haben. Solche Eigenschaften können öffentliche Bibliotheken wie kaum eine andere Einrichtung anbieten. So machen Büchereien auch im Zeitalter der Digitalisierung als gesellschaftlicher Lernort Sinn.

Die Kölner Bibliotheksdirektorin Hannelore Vogt und ihr Team beispielsweise verstehen sich als Informationslotsen in einer Bücherei, die den Besuchern den Weg zum Wissen ebnen möchten. Das geschieht unter anderem in der "Digitalen Werkstatt". Unerfahrene Computernutzer lernen in Workshops vom Einstieg ins Online-Shopping über den Umgang mit Smartphone-Apps bis zur Anwendung von Skype, Podcasts, Facebook, Dropbox und Twitter alles, um sich in der digitalen Welt zu bewegen.

Vielleicht sind Bibliotheken - neben ihrem Ausleihangebot - als Lern- und Begegnungsort mit klaren Regeln längst zu diesem dritten Ort unseres öffentlichen Lebens geworden, ohne dass wir ihn bisher so benannt und als solchen identifiziert haben. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 271 Öffentliche Bibliotheken. Keine Kultureinrichtung wird auch nur annähernd so stark besucht wie die Büchereien in unseren Städten. In NRW sind es über 26 Millionen Nutzer pro Jahr, also weit mehr als alle Stadionbesucher der 1. und 2. Fußball-Bundesliga zusammen (18 Millionen Besucher pro Saison).

Für eine solche Akzeptanz reicht es nicht, mit einer spektakulären Marketingidee aufzuwarten. Der Erfolg kommt nicht über Nacht. Der "Makerspace" ist dann auch nur ein Beispiel für den von der Preis-Jury gelobten sogenannten Mut zur Innovation. Vielmehr haben Hannelore Vogt und ihr Team das Kölner Bibliothekssystem in den zurückliegenden Jahren Schritt für Schritt umgebaut und erweitert. Vor allem die Zentralbibliothek in der City. Sie ist mit der Kinder-, Musik- und Blindenhörbibliothek, dem Heinrich-Böll-Archiv, dem Literatur-in-Köln-Archiv und der Bibliothek Germania Judaica das Herzstück der Bibliothekslandschaft.

Und so gibt es bei aller Innovationsfreude auch noch Bücher. Und überraschende Begegnungen. Lena, Julian und Niklas haben sich im Lern- und Arbeitsbereich für Schüler umgesehen und sind danach noch ein wenig durchs Haus spaziert. In der Nähe des Arbeitszimmers von Heinrich Böll, das originalgetreu in der Bibliothek aufgebaut wurde, entdeckten die Jugendlichen eine historische mechanische Schreibmaschine. Reaktion 2.0: "Cool. Aber die war doch bestimmt total schwer zu bedienen, so ohne Touch-Screen", meint Lena.

(RP)
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