Prozess um sexuelle Nötigung Gerichte werden keine Klarheit über Silvesternacht bringen

Köln · Erstmals wurden Täter aus der Kölner Silvesternacht für ein Sexualdelikt verurteilt. Doch keiner der Gerichtsprozesse wird das Bild beeinflussen, das wir von Köln haben.

Chronik der Übergriffe in Köln: Die Ereignisse rund um die Silvesternacht
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Die Ereignisse rund um die Silvesternacht in Köln

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Foto: dpa/Markus Boehm

Die Angeklagten halten sich ein Stück Papier vor das Gesicht, als sie den Gerichtsaal betreten. Sie wollen ihre Identität schützen vor den Kameras, aber große Teile der Öffentlichkeit räumen ihnen sowieso keine Individualität ein. Für sie sind alle, die in der Kölner Silvesternacht zu Tätern wurden, einfach Flüchtlinge oder Muslime oder Nordafrikaner. Diese Leute haben sich längst ein Bild gemacht. Von den jungen Männern. Von den Ereignissen. Von Köln.

Sexuelle Nötigung wird am Donnerstagmorgen im Amtsgericht Köln verhandelt, und normalerweise zieht das kein halbes Dutzend Kamerateams an. Sexuelle Nötigung ist zwar kein Kavaliersdelikt, aber doch nicht so ungewöhnlich, dass die Öffentlichkeit besonders großes Interesse hat. An diesem Tag allerdings geht es nicht nur um sexuelle Nötigung, es geht um die Ereignisse in der Silvesternacht — um das singuläre Ereignis, das die Diskussion um Flüchtlinge befeuerte, so dass seitdem kaum noch ein sachliches Gespräch darüber möglich ist. "Köln" ist zur Chiffre geworden für jene, die zeigen wollen, was alles schief läuft in der Asylpolitik. Für viele Opfer, vor allem Frauen, war es einfach die schlimmste Nacht ihres Lebens.

Angeklagt sind zwei junge Männer, von denen so viele in der Silvesternacht in Köln unterwegs waren. Der eine, Hussein A., ist Iraker, war zur Tatzeit 20 Jahre alt. Er trägt kurze schwarze Haare, Jeans, Turnschuhe. Vor zwei Jahren ist er mit seiner Familie zunächst in die Türkei geflohen, nachdem eine Autobombe ihr Haus zerstört hatte. Nach einem Jahr in der Türkei gingen sie nach Deutschland. Hussein A. lebt jetzt in Werl, von Sozialleistungen. 39 Stunden pro Woche nimmt er an einer Integrationsmaßnahme teil.

Der ältere, Hassan T., war zur Tatzeit 26. Seit März sitzt er in U-Haft. Er trägt einen schwarzen Pullover, darunter ein grün-weiß gestreiftes Hemd. Er ist in Algerien aufgewachsen, seine Eltern sterben drei Jahre nach seiner Geburt. Im Herbst 2014 kommt er über Spanien und Belgien nach Deutschland. Mit seiner Frau lebt er kurzfristig im Flüchtlingsheim in Kerpen. Als es dort zu feucht wird, nimmt jemand seine Frau auf. Er muss im Heim bleiben. Auch er lebt von Sozialleistungen.

Die beiden stehen wegen sexueller Nötigung und versuchtem Raub vor Gericht. Einige Stunden später werden sie ein Jahr auf Bewährung bekommen. Sie sollen zu einer Gruppe gehört haben, die nach Mitternacht zwei junge Frauen vorm Dom umzingelte. Aus dieser Gruppe heraus soll dem einen Opfer (27) ans Gesäß und in den Schritt gefasst worden sein. Hussein A. soll das andere Opfer, ihre Freundin (20), gegen ihren Willen geküsst und dann über die Wange geleckt haben. Hassan T. soll Geld für Sex mit den Frauen geboten haben. Außerdem soll jemand versucht haben, ihre Handtasche zu öffnen. Die beiden Angeklagten hatten sich vor den Taten, die ihnen zur Last gelegt wurden, mit den beiden Opfern fotografieren lassen, vom Verlobten einer der beiden Frauen. Mit diesen Fotos hatte die Polizei in den Medien nach den beiden suchen lassen. Diese erkannten sich schließlich wieder und meldeten sich, bestritten aber, die Taten begangen zu haben.

Eine Frage klärt der Prozess sehr schnell: Welchen Eindruck die Ereignisse von Köln auf die Opfer hinterlassen haben. Beide Opfer sagen vor Gericht aus. Beide sprechen leise, stockend, fangen schließlich an zu weinen, als sie schildern sollen, was mit ihnen geschah. "Ich war wie vor den Kopf gestoßen", sagt die Ältere von ihnen.

Sie war mit ihrem Verlobten und ihrer Freundin nach Köln gekommen, um Silvester zu feiern. Schon beim Feuerwerk merkten sie, dass die Situation gefährlich war, weil Leute mit Böllern und Raketen schossen. Auf der Domplatte, so schildert sie, hatte sie dann der ältere Angeklagte angesprochen und um ein Foto gebeten. Nachdem auch der zweite Angeklagte ein Foto bekommen hatte, wurde die Situation plötzlich unübersichtlich. Eine größere Gruppe trennte die beiden Frauen und den Verlobten voneinander, sagt sie. Als sie gesehen habe, wie ein Mann ihre Freundin fest in den Arm nahm und ihr schließlich übers Gesicht leckte, versuchte sie, zu ihr durchzukommen. Sie trat Mitgliedern der Gruppe auf die Füße, setzte den Ellbogen ein. Schließlich konnten sie sich befreien und rannten weg. Beide Frauen sind sicher, dass der eine Mann auf dem Foto der Täter ist, doch sie sind sich nicht ganz sicher, ob es der Mann ist, der hier im Raum sitzt, Hussein A.. Beide Männer aber hatten zuvor schon zugegeben, dass sie auf den Fotos zu sehen seien.

Zuletzt sagt der Verlobte des älteren Opfers aus. Er erzählt mit sicherer Stimme, dass ihm Hassan T. 5000 Euro für Sex mit den Frauen geboten habe. "Give me the girls oder tot", habe er gesagt. Dieser habe ihn auch abgehalten, den Frauen zu helfen.

Vieles an diesem Fall ist nicht klar. Wer die anderen jungen Männer waren, wie groß genau die Gruppe war, wer so alles was getan hat. Nur dass sich beide Angeklagten schuldig gemacht haben, der eine, indem er drohte und den Verlobten abhielt, den Frauen zu helfen, der andere durch das Küssen und Lecken, darin sind sich Staatsanwalt und die drei Verteidiger einig. "Nicht der Hauch eines Zweifels", sagt der Staatsanwalt. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Werte der Gesellschaft mit Füßen getreten werden, deren Schutz man sucht.

Die Angeklagten selbst äußern sich nicht. Sie konzentrieren sich die ganze Zeit auf das, was ihnen die Dolmetscher übersetzen. Erst vor der Urteilsverkündung lässt der Ältere ausrichten, er sei einverstanden mit den Ausführungen seines Anwalts. Der Jüngere lässt sagen: "Ich entschuldige mich für die Sachen, die passiert sind."

Der Richter verurteilt beide zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung, den Jüngeren nach Jugendstrafrecht. Hassan T. wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung. Hussein H. wegen sexueller Nötigung. Der Richter spricht vom Dilemma der Silvesternacht, das die jungen Damen benachteilige. Viel ist passiert, wenig kann nachgewiesen werden. "Wir können nur nach der persönlichen Schuld bestrafen."

Und das ist der Punkt: Die Täter waren zwar Teil von "Köln", aber eben auch nicht mehr. Es gab nach aktuellen Erkenntnissen keine massenhaften Verabredungen von Gruppen, in Köln an Silvester kriminell zu werden. Es gab kein Mastermind dahinter. "Köln" ist das Resultat von häufig spontanen Taten und Entscheidungen einzelner. Auch aus einer Gruppe heraus war niemand dazu gezwungen, übergriffig zu werden.

Dass es hier nur um einen kleinen Teil von Köln geht (der für einzelne Frauen allerdings schlimme Folgen hatte), ist aber auch der Grund, warum über Köln als Gesamtereignis nicht vor Gericht verhandelt wird. Dass diese Prozesse nicht das Bild von Köln prägen oder verändern werden, das wir davon haben. Das Gericht kann nicht das Ausmaß von Köln klären, denn dazu werden zu wenige Fälle vor Gericht verhandelt werden. Fast 1200 Anzeigen hat es gegeben, fast 500 sexuelle Übergriffe wurden angezeigt, doch über die meisten wird vor Gericht nicht befunden werden, weil es zwar Opfer gibt, aber die Täter meist unbekannt sind. 16 versuchte Vergewaltigungen wurden angezeigt, fünf vollendete — allerdings wird in allen Fällen gegen Unbekannt ermittelt. Es gibt zwar DNA-Material, aber bisher keinen Treffer in einer Datenbank. Mit dem aktuellen Fall sind 16 Täter von Köln verurteilt worden, einer wurde freigesprochen. Dies ist die erste Verurteilung wegen eines Sexualdeliktes. Wenn das Urteil rechtskräftig wird und der Ältere aus der U-Haft entlassen wird, sitzen nur noch sieben Beschuldigte in U-Haft, nicht mal die Hälfte wegen Sexualdelikten.

Von den Prozessen wird keine Signalwirkung ausgehen. Sie werden die Opfer nicht zufriedenstellen, weil sie eben mehr erlitten haben als das, wofür der einzelne Täter verantwortlich ist. Die Prozesse werden nicht beeinflussen, wie wir über Köln denken und denken werden. Sie klären ja nicht einmal, warum die Täter taten, was sie taten. Im aktuellen Fall wurde während der Verhandlung nicht einmal gefragt, ob die Täter alkoholisiert waren. Die Schuld wurde festgestellt, aber nicht die Motive der Tat.

Das lässt Raum für die Menschen, die Köln als "Chiffre" nutzen, um gegen Flüchtlinge zu hetzen, besonders Flüchtlinge aus dem muslimischen Raum. Für sie ist Köln eine Bestätigung ihrer Befürchtungen, dass "die" eben nicht hierhin passen. Sie deuten es als Vorbote für das, was noch kommen wird. Die andere Seite bestreitet zwar die Ausmaße von Köln nicht, wohl aber, dass es so kommen musste, weil es eben Flüchtlinge sind. Für sie ist Köln eine Ausnahme. Jeder sieht Köln, wie es ihm gefällt.

Dass dort Individuen Straftaten begingen und nicht Flüchtlinge, nicht Nordafrikaner und nicht Moslems, wäre die Lehre, die aus Köln zu ziehen wäre — doch das ist eine Lehre, die jeder für sich selbst ziehen muss aus sich heraus. Die Justiz wird dabei nicht helfen.

(dalk)
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