Prozess gegen Reker-Attentäter Frank S. schildert ein einsames Leben

Düsseldorf · Der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Henriette Reker läuft. Am ersten Tag berichtet Frank S. von seiner Zeit in der Pflegefamilie, brutalen Erziehungsmethoden und seiner Verbindung zur rechten Szene.

Attentat auf Henriette Reker: Frank S. vor Gericht in Düsseldorf
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Reker-Attentäter Frank S. vor Gericht in Düsseldorf

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Foto: dpa, obe fdt

Am ersten Verhandlungstag im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf geht es kaum um das Attentat auf Henriette Reker. Die Vorsitzende Richterin befragt den Angeklagten Frank S. lange zu seiner Jugend und zu seiner Zeit in der rechten Szene. Vor ihr sitzt ein Mensch, der nach eigenen Angaben mehrfach in seinem Leben im Stich gelassen wurde.

Zu Beginn antwortet Frank S. einsilbig. Die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza möchte den Angeklagten kennenlernen, sich ein Bild von seiner Persönlichkeit machen. Mehr als einen Satz bringt er kaum hervor, wenn die Richterin ihm Fragen stellt.

Der Grund, warum Frank S. heute hier im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts vor ihr sitzt, kommt nur kurz zur Sprache. Bundesanwalt Lars Otte wirft ihm versuchten Mord, heimtückisch und aus niederen Beweggründen, vor. Er soll am 17. Oktober, einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln, die parteilose Kandidatin Henriette Reker mit einem Messer angegriffen und sie lebensgefährlich verletzt haben. Reker überlebte nur durch eine Notoperation und wurde am 18. Oktober zur Kölner Oberbürgermeisterin gewählt.

Frank S.' Verteidiger Christof Miseré erklärt in seinem Eröffnungs-Statement, dass sein Mandant sich im Laufe des Verfahrens zur Tat und zu seinen Motiven äußern werde. Aber heute geht es um sein Leben vor der Tat.

"Es wäre lieb, wenn Sie mich fragen würden, damit ich einen Leitfaden habe", sagt S. zur Richterin. Der 44-Jährige, in Düsseldorf geboren und in Bonn aufgewachsen, wirkt aufgeschlossen und kooperativ. Er bemüht sich, die Fragen der Richterin zu beantworten, auch wenn ihm manchmal die Worte fehlen. "Ich weiß nicht, wie man das sagen soll", diesen Satz schiebt er gelegentlich seinen Antworten voraus. Richterin Havliza ermuntert ihn immer wieder, ausführlich zu antworten. Der Angeklagte blickt die Richterin an, hat beim Sprechen Schwierigkeiten, den richtigen Abstand zum Mikrofon zu halten. Kommt er dem Mikrofon zu nah, erschreckt er sich vor seiner eigenen lauten Stimme.

Das, was er erzählt, gibt Einblicke in das Leben eines Menschen, der offenbar häufig im Stich gelassen wurde. Im Alter von vier Jahren habe Frank S. zu einer Pflegefamilie von Düsseldorf nach Bonn ziehen müssen. Die Gründe dafür seien ihm bis heute nicht klar. Mit seinen Pflegeeltern habe er später nie darüber gesprochen. Erinnerungen an seinen leiblichen Vater habe er gar keine, an seine Mutter hat er auch nur wenige: "Sie hatte eine Frisur wie Amy Winehouse, also eine Hochsteckfrisur."

Seine Pflegefamilie habe ihm auch keinen Halt im Leben bieten können. Sein Pflegevater sei cholerisch gewesen. Frank S. spricht von "mittelalterlichen Erziehungsmethoden", die sein Pflegevater angewandt habe. "Also Schläge?", fragt die Vorsitzende Richterin. "Ja." Seine Pflegemutter habe ihre eigenen Methoden gehabt — sie habe den Kindern zum Beispiel das Essen verweigert, wenn sie sich in ihren Augen falsch verhalten hatten. Die Pflegeeltern hätten vier eigene Kinder und bis zu sechs Pflegekinder betreut. Er habe die Situation als beschämend empfunden, sagt S.. Deswegen habe er nie Freunde mit nach Hause gebracht.

Jetzt redet Frank S. mehr. Er sitzt leicht nach vorne gebeugt auf seinem Stuhl, stützt den Kopf auf die rechte Hand, manchmal gestikuliert er mit beiden Händen. "Ich wollte eigentlich gar nicht darüber reden, aber wenn Sie es wirklich wissen wollen, erzähle ich es Ihnen." Die Richterin: "Ja, ich will es wissen."

Als Frank S. 16 Jahre alt ist, sei die angespannte Situation mit seinem Pflegevater eskaliert. Dieser habe ihn mit einer Pistole bedroht. Fortan sei Frank S. Zimmertür abgeschlossen worden. Von seinem Zimmer habe er über eine Rampe nur Zugang zum Garten gehabt. Die Eltern hätten ihm einen kleinen Elektro-Ofen ins Zimmer gestellt. Von zehn D-Mark am Tag hätte er sich selbst versorgen müssen.

Mit 18 sei er dort rausgeflogen. Das Jugendamt habe nicht mehr für seinen Unterhalt gezahlt. Die Eltern besitzen nach Aussage des Beschuldigten zwei Häuser in Spanien. In ein Haus habe er vorübergehend einziehen müssen. Als er nach ein paar Wochen wieder nach Deutschland kommt, sei der Zugang zu seinem Zimmer zugemauert gewesen. Sein Hab und Gut sei auf dem Müll gelandet.

S. hat einen Hauptschulabschluss, hält sich nach dem Rauswurf mit Gelegenheitsjobs über Wasser, arbeitet etwa in einer Lackiererei, die Karnevalsorden macht. Da entschließt er sich, eine Ausbildung zum Maler und Lackierer zu machen. Die Gesellenprüfung besteht er nicht, fällt durch das Fach Mathematik durch.

Und dann kommt ihm ein Gefängnisaufenthalt dazwischen. Frank S. ist zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach zu Bewährungsstrafen wegen Körperverletzung verurteilt. 1997 wird seine Bewährung widerrufen, er muss ins Gefängnis. Für drei Jahre. Im Gefängnis versucht er noch, die Matheprüfung nachzuholen. Sein Anwalt setzt durch, dass er am Tag der Prüfung ausgeführt werden darf. Doch die Justizvollzugsbeamten seien nicht gekommen, um ihn zur Handelskammer zu begleiten, erzählt er der Richterin.

Dann will die Vorsitzende Näheres dazu wissen, warum S. überhaupt im Gefängnis saß. Hier wird der Angeklagte wieder wortkarg, die Richterin muss mühsam nachfragen. "Jetzt nehmen Sie mich gut in die Zange", sagt er zur ihr. Die Richterin kontert: "Ich nehme Sie nicht in die Zange, ich fühle Ihnen auf den Zahn." Schließlich gibt Frank S. zu, in Bonn einer Gruppierung namens "Berserker" angehört zu haben. Die Richterin will ausloten, wie tief S. in der rechten Szene drin steckte, fragt nach seinen Verbindungen zur rechtsextremen Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschland (FAP), die später verboten wurde. "Die waren mir zu rückwärtsgewandt", erklärt S.. Später sagt er: "Damals haben mich die rechten Argumente mehr überzeugt, als die linken. Es gab aber auch linke Argumente, die mich auch überzeugt haben." Ein Nazi sei er nicht gewesen. "Ich habe mich als wertkonservativen Rebell bezeichnet."

Die Frage, ob S. aus politischen Motiven gehandelt hat, ist wichtig für die juristische Bewertung. Die Anklagevertretung geht davon aus, dass S. mit seiner Tat verhindern wollte, dass Henriette Reker Oberbürgermeisterin wird. Zuvor war sie als Sozialdezernentin der Stadt Köln zuständig für die Unterbringung der Asylbewerber gewesen.

Frank S.' Verteidiger Christof Miseré sieht hingegen kein politisches Motiv bei seinem Angeklagten. "Ich sehe den Prozess als politisches Verfahren gegen meinen Mandanten." Die Frage, ob S. aus politischen Gründen handelte, ist eine von vielen, die die Vorsitzende Richterin in den kommenden Prozesstagen klären muss.

(heif)
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