Fühlinger See Was ich als Burgfräulein auf einem Mittelalter-Festival erlebte

Zehntausende fliehen jedes Wochenende in eine Welt, in der Ritter gegeneinander kämpfen und Gaukler das Volk unterhalten. Was ist an diesem Leben so faszinierend? Unsere Autorin ist für einen Tag in die Mittelalterwelt eingetaucht.

Mittelalter Spectaculum Köln: Zu Besuch im Mittelalter
32 Bilder

Zu Besuch im Mittelalter

32 Bilder
Foto: C. Rentmeister

Eine mit roten Pestpusteln übersäte und mit Dreck beschmierte Figur hüpft an meine Seite. Klar, meinen Baumstamm teile ich doch gerne. Zum Glück, denn so lerne ich den Star des Mittelalterfestivals kennen — Hans den Hässlichen. Später am Tag werde ich im Heerlager ausruhen, in ein mittelalterliches Gewand eingeschnürt und am Ende auch noch dem Tod begegnen. Da kann ich einen in der Mittelalterwelt erfahrenen Gefährten an meiner Seite gut gebrauchen.

In einer Welt, die ich nur aus dem Geschichtsunterricht kenne. Die mich mit ihren Legenden, bunten Figuren und dunklen Seiten fasziniert, aber nie ganz in ihren Bann gezogen hat. Vielleicht auch, weil ich mit meinem rötlichen Lockenkopf wohl eh auf dem Scheiterhaufen oder am Hexenrad gelandet wäre. Das wird mir heute wohl nicht passieren. Mittelalter-Rock schallt mir entgegen und schon bin ich drin.

Kräuterfrau, Burgfräulein oder doch eher Wikingerin?

Im Mittelalter-Dorf in Köln. Idyllisch gelegen am Fühlinger See. Meine Augen wandern zwischen Rittern, bunten orientalischen Stoffen, Mägden, Heeres-Fürsten, Edelsteinen, Silberschmuck hin und her. Eine Guillotine. Ein Kampfplatz. Lanzen und Schwerter. Gleich stürmen Kevin Costner und die Heerscharen aus Braveheart oder der "Ritter aus Leidenschaft" das Feld. Wundern würde es mich nicht. Noch bin ich eher staunende Zuschauerin des "Mittelalterlich Phantasie Spectaculums" als Teil der Szene.

Das muss sich ändern, will ich verstehen, was Tausende Menschen aus ganz Deutschland an diesen Tagen zu dem Mittelalterfestival führt. Ich muss raus aus meinen 21.-Jahrhundert-Klamotten. Aber wie werde ich zu einer Mittelalter-Dame? Was wäre ich in diesen Jahrhunderten wohl gewesen? Magd? Kräuterfrau? Burgfräulein? Oder doch eher eine Wikingerin?

Die Marktfrauen und Hofschneiderinnen von Capricorn haben mich längst von Weitem begutachtet und für würdig befunden, eine ihrer Mittelaltergewandungen zu tragen. Sie finden, zu mir passt etwas edles oder mystisches.

Zielstrebig fischt Kerstin Wecky ein edel verziertes blaues, fest gewebtes Baumwollkleid vom Ständer. Drei Minuten und ein paar professionelle Handgriffe der Verkäuferin später bin ich gut verschnürt zum Burgfräulein geworden. Ich stehe gleich viel aufrechter. Die weiten Ärmel des Kleides haben etwas Vornehmes, an das ich mich erst gewöhnen muss.

Jetzt bin ich tatsächlich ein Teil dieses Festivals. Schwer ist das Kleid im ersten Moment und bei 27 Grad einigermaßen warm. Da bekomme ich die nächsten Stunden direkt einen Eindruck von den harten Seiten des Mittelalters, fürchte ich. Nix da mit kurzer Hose, T-Shirt oder Top. Immerhin erweist sich das Kleid als überraschend bequem. Deutlich bequemer als viele Kleider aus meinem eigenen Schrank. Und die brennende Sonne schirmt der Stoff auch ganz gut ab.

Was haben die Mittelalterstände zu bieten?

Also wandle ich los — die 160 Zelte, Marktstände, Tavernen, Baldachine zu erkunden. "Tolles Gewand, die Dame!”, sagt ein eher spärlich bekleideter Gladiator im Vorübergehen. "Danke.” Schon nach ein paar Metern gehört das Gewand irgendwie zu mir. Zwischen all den anderen mittelalterlich gekleideten Besuchern fühl ich mich schnell nicht mehr fremd.

Der Geruch von Feuer, Stroh und Leder liegt in der Luft. Leises Blöken klingt von dem Mini-Gehöft herüber, auf dem ein paar Schafe, Esel und Pferde die nächsten zwei Tage leben. Der Lederer bearbeitet mit Zange und Hammer einen neuen Gürtel. Der würde, zusammen mit einem kleinen Stoffbeutel, noch gut zu meinem Kleid passen, denke ich. Aber das muss warten. Erstmal will ich etwas von dem Fest sehen.

Aus der Ferne ist das klirren von Metall zu vernehmen. Auch Eisen werden hier also geschmiedet. Oder doch eher Kämpfe ausgefochten? Abwarten denke ich und bummel weiter. Zusammen mit den vielen Menschen, die inzwischen ihren Wegzoll gelassen haben und das Dorf besiedeln. Teils in mit liebevoller Handarbeit genähten mittelalterlichen Gewändern, teils in karnevalistischen Ritter- und Hexenkostümen.

Wer sind die Menschen, die das Festival besuchen und ausmachen?

"Bei uns ist jeder willkommen. Ob Mittelalter- oder Fantasiefan, ob mit oder ohne Gewand”, sagt Wolfgang Fuck. Der Duisburger kümmert sich bei dem Mittelalterlich Phantsie Spectaculum (MPS) um die Öffentlichkeitsarbeit. Das Festival habe gar nicht den Anspruch authentisch zu sein, sondern Freude am Mittelalter zu verbreiten. Und so gibt es auch ein Zelt, an dem man nicht nur Euro in Goldtaler umtauschen, sondern auch sein Smartphone laden kann.

Dröhnende Mittelalterklänge locken mich an. "Mehr Handgeklapper!”, wird gefordert. Die Menge vor der Festivalbühne applaudiert noch heftiger. Ritter auf Pferden stehen auf der Wiese. Zünfte, Lager und Fürsten präsentieren ihre Schilde und Fahnen. Bruder Rectus eröffnet das Mittelalter Spectaculum und teert und federt einen Knappen, der durch unrühmliches Verhalten am Lagerfeuer aufgefallen war. Das Volk grölt. Langweilig wird der Tag sicher nicht. Es geht um Spaß und Geselligkeit. Die Menschen hier nehmen sich und das Leben nicht allzu ernst an diesem Tag.

An der Taverne vor der Bühne tummelt sich allerhand Gevolk. Bei Bier oder Saft aus einem stilechten Tonkrug lässt es sich schnell ins Gespräch kommen. Mit vielen ungewöhnlichen Gestalten: Der weise Gandalf ist da, ein paar Mönche, Ausgestoßene, Piratenbräute ebenfalls. Und eine wirklich unübersehbare Fratze. "Gestatten meine Teuerste, Hans der Hässliche”, spricht er:

Hässlich ist er wirklich, der Bettler. Aber auch charmant, herzlich und lustig. Er ist eine Institution auf dem Mittelalter Spectaculum erfahre ich. Immer wieder unterbricht jemand unser Gespräch, um dem Hässlichen Hans kurz hallo zu sagen oder ein Foto zu machen. Geduldig strahlt der die Menschen an und hat für jeden in herzliches Wort parat. Seit elf Jahren zieht der Bettler über das Mittelalterfestival. Immer ohne Schuhe, immer mit mehreren Schichten zerfetzten Stoffen am Körper und roten Pusteln im Gesicht.

"Ich erfreue die Menschen mit meinen Grimassen und witzigen Sprüchen. Wir lachen viel gemeinsam und ich treffe ständig alte Freunde", sagt Hans der Hässliche. Es gebe aber auch Momente, da müsse er ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen haben. "Dann ist es auch mal gegeben, dass man eine Träne miteinander verdrückt und sich danach wieder am Leben erfreut", sagt Hans.

Am Anfang sei er nur schweigend über die Festivals gelaufen, nach und nach entwickelte sich die Rolle aber weiter. "Wenn ich auf den Festen bin, bin ich der Bettler und das den ganzen Tag. Das muss man leben und so wie jede Person, entwickelt sich auch der Bettler jeden Tag weiter", spricht er und klimpert verzückt mit den Augen. Die Augäpfel springen dabei fast aus dem roten Gesicht.

Leben die Mittelalterfans ihre Leidenschaft auch im Alltag?

Im Alltag ist Hans der Hässliche Markus Gabriel aus Großburgwedel. Schauspieler und Vater. Ende der 90er Jahre sei er auf einem Mittelaltermarkt gewesen. "Da wusste ich, da gehöre ich hin”, sagt er. Damals spielte er bereits in einem Barocktheater und kam so zur Rolle des Bettlers. Zunächst sei er für Geschäftstermine gebucht worden, irgendwann habe ihn dann das Spectaculum entdeckt, das nun sein Leben bestimmt. Zusammen mit den anderen Walking Acts des Festivals lädt er zur Märchenstunde und improvisiert hier und da ein kurzes Theaterstück. Der eine oder andere Besucher erschreckt sich auch mal, wenn der Bettler auf den Weg hüpft.

"Die Menschen hier sind meine zweite Familie", sagt Gabriel. Und so passiere es auch mal, dass der Bettler auch im Alltag durchkommt. "Barfuß laufe ich immer und es ist schon mal vorgekommen, dass ich grübelnd vor dem Milchregal stand und wie der Hans den Mund verzog", sagt der Schauspieler. So ganz lässt das Mittelalter ihn nie los.

Ich müsse mir unbedingt die Ritterkämpfe anschauen, die seien auch sehr lustig — empfiehlt er mir. Also gut, als Burgfräulein ist der Programmpunkt ja quasi Pflicht. Ob die Ritter wohl so viel Schrecken verbreiten wie in den Geschichtsbüchern — oder eher Charme wie in Filmen?

Handwerker zeigen traditionelle Arbeiten, Ritter spielen Kämpfe nach

Gleich mehrere Wege führen entlang des Sees und über die Wiesen durch das Dorf, hin zum Reitplatz. Voll sind alle Wege. Gestresste Fußgänger gibt es nicht. Die Besucher bummeln von Stand zu Stand. Bleiben immer wieder für ein kurzes Gespräch stehen. Schauen sich Trink-Hörner, Lederschuhe oder Liköre und Essige nach alten Rezepten an. Eine Magd klopft mit einem kleinen Hammer einen Silberlöffel zu einem künstlerischen Armreifen, ein Schreiner hobelt in seiner Hütte ein Stück helles Holz. Seine langen, dunklen Haare kleben von Wärme und Arbeit an der Stirn. Er fertigt Schalen, Bretter, Löffel.

"Begrüßen Sie, aus der Mongolei zu uns gekommen, Riiiiiitter...”, schallt es über die Wiese. Der Kampfplatz kann also nicht mehr weit sein. Gerade rechtzeitig zum ersten Wettbewerb bin ich da. Die Pferde tragen Decken mit den Wappen der Ritter. Die liefern sich schon verbal einen Schlagabtausch, bevor sie dann vom Pferd aus kleine Holzklötze im Ritt umsäbeln. Der eine mimt einen betrunkenen Ritter, der andere den Bösen, der dritte den Frauenschwarm. Handgeklapper bekommen sie alle für ihren Auftritt hoch zu Ross. Amüsant ist das Theater der Ritter allemal. Aber das ganze, lange Ritterspiel, dass dann doch eher einer Komödie ähnelt, halte ich nicht durch. Dafür gibt es viel zu viel anderes zu entdecken bei dem Spectaculum.

Wie lebt es sich zum Beispiel so im Mittelalter? Wenn man nur das zur Verfügung hat, was es damals schon gab?

Direkt am Ufer des Fühlinger Sees beginnt das Heerlager. Piraten-Crews leben hier neben Wikinger-Stämmen, Ritterorden und kleinen Söldner-Lagern. Das Hochwasser am See hat die Wikinger von Yggdrasils Wurzeln und das befreundete britische Söldner-Lager Oir-Agus-Saorsa aus Schwelm zusammengeführt. So können sie sich Vorratszelte und Kochstellen teilen und Platz sparen. Alles ist etwas enger als sonst. Für Gäste ist aber immer noch genug Platz. Vorausgesetzt, sie sind gewandet. Glück gehabt, mit Jeansrock und T-Shirt dürfte ich das Lager jetzt nicht betreten. Rucksack und Kamera werden ausnahmsweise geduldet.

Kaffee köchelt über dem Feuer vor sich hin und die Damen der Stämme begrüßen mich freundlich. Die Lagergemeinschaft hat sich in der Mittagshitze in der Essensecke zusammengefunden. An der langen Tafel ist auch für mich noch ein Platz. Ein Trunk aus einer Tonkaraffe sorgt für eine willkommene Erfrischung. In der Mittelalterfeste-Saison seien sie fast jedes Wochenende mit dem Heerlager unterwegs, sagt Tyra. Ihr Mann ist der Jarl von Yggdrasils Wurzeln und damit Stammesoberhaupt dieses Wikingerlagers. Yggrdasil ist in der nordischen Mytologie der Name für den Weltenbaum, der den Kosmos verkörpert. Die Rollen und Aufgaben in der Gemeinschaft würden sich durch die Fähigkeiten der Einzelnen ergeben. Klare Hierarchien werden eingehalten. Die Lagerführer haben das Sagen.

Wie lange dauert es, bis man in der Mittelalterwelt ankommt?

Aber die Atmosphäre ist familiär, freundschaftlich, entspannt. Der Trubel der Außenwelt bleibt vor dem Zaun. "Wir haben im echten Leben alle stressige Jobs. Hier kann ich den Kopf einfach frei bekommen und mich erholen”, sagt Tyra. Ein Wochenende auf dem Mittelalterfestival bringe ihr mehr als zwei Wochen Urlaub auf Mallorca. Wenn sie das Gelände der Märkte oder Festivals betrete, sei sie sofort im Mittelalter. Man treffe immer Bekannte wieder, es gebe kein Gepöbel und alle seien eine Familie, sagt die Frau des Lagerführers, während sich das Anführerpaar des britischen Söldner Lagers im Schwertkampf übt. Schließlich sind sie ein Waffenstand und Schutztruppe für die Händler und Kaufleute — solche wie die Wikingerstämme es sind.

Ganz schön schwer sind die Schwerter und ich verstehe schnell, warum die Lagerbewohner sich über Mittelalter-Blockbuster nur amüsieren können. So schwungvoll wie bei Heath Ledger und Kevin Costner lassen sich diese Schwerter nicht durch die Luft wirbeln.

Aber wie nah kommt das Leben im Heerlager dem Mittelalter wirklich?

Beide Stämme empfinden in etwa die gleiche Zeit nach. Zwischen 792 und 1066. Die Zeit der Händler und Kaufleute und des Ursprungs Schottlands, sagen sie. Alles, was es damals schon gab, darf im Lager benutzt werden. Tongefäße, Eisen, Felle, Holz. Die Kleidung fertigen die Mittelalterfreunde selbst. Vor allem im Winter treffen sie sich, um zu nähen und zu basteln. "Wir leben das Mittelalter und spielen es nicht”, sagt Tyra.

Die Schlafzelte sehen aus, als könnten sie in einem Mittelalter-Museum stehen. Die Holzpritschen sind mit Fellen und Stoffen ausstaffiert und sehen richtig gemütlich aus. Mit Schnitzereien verzierte Truhen bergen die paar Habseligkeiten des Lagers. Authentisch mittelalterlich sei auch ihr Leben in dem Heerlager nicht. Aber geschichtsnah interpretiert, sagt der Wikinger-Jarl. "Authentisch könnten wir nur sein, wenn jemand von uns schon im Mittelalter gelebt hätte oder es Aufnahmen gäbe”, sagt er. Ich verabschiede mich ehrfürchtig von den beiden Heerlagern. Inzwischen erwidere ich sogar einen angedeuteten Hofknicks als Gruß. Die ersten mittelalterlichen Gepflogenheiten habe ich schon verinnerlicht, stelle ich überrascht fest.

Die Fans genießen die schönen Seiten der Epoche

Was das Essen angeht muss im Gegensatz zum echten Mittelalter hier aber niemand erst auf Jagd gehen oder gar verhungern. Bäcker-Buben träufeln Schicht für Schicht auf den Baumkuchen über dem Feuer, eine Hütte weiter grillen Fladen und Steaks. Ein paar kräftige Männer in Schottenröcken beißen genüsslich in einen Zyklopenspieß. Als feines Burgfräulein geht das natürlich nicht. Zumindest nicht, wenn das Kleid sauber bleiben soll. Neidisch geh ich weiter. Beim nächsten Mal wird es dann vielleicht doch eher ein einfacheres Gewand — damit ich auch die rustikale Seite des Mittelalters genießen kann.

Für heute müssen es die süßen Mandelplätzchen aus Italien tun, deren Duft mir entgegenweht. An dem toskanischen Stand gibt es das traditionelle Gebäck zum Beispiel mit Kakao-, Zitronen- oder Rumgeschmack. Nach dem langen Fußmarsch über das Fest kommen die Heuballen unter dem grauen Baldachin gerade recht für eine Essenspause. Ich setze mich zu ein paar anderen Burgfräulein, Mägden und Knappen. Sie haben ihre Kleidung selbst gebastelt und genäht. Nun wollen sie noch nach neuen Utensilien für ihre Kostüme Ausschau halten und machen kurz Rast bei einem Kirschbier und Apfelwein. Denn auch die Geselligkeit gehört zum Mittelalter, sagen sie.

Und dann kommt der Tod

Meine Augen bleiben an einer riesigen Kreatur im schwarzen Umhang hängen. Sie tänzelt mit wackeligen Schritten von einem Wegesrand zum anderen. Als sie sich umdreht offenbart sich mir der Anblick des Todes. Eine Sense trägt er auch in seinen langen knochigen Fingern. Die Fußgänger, die direkt hinter dem Tod stehen zucken kurz zusammen. Aber dann spricht er und der Schreck wandelt sich in Lachen.

Eigentlich will er den Menschen nur die Angst vor dem Tod nehmen, Furcht will er auf dem Mittelalterfestival nicht verbreiten. "Der Tod hat ja eigentlich einen wirklich beschissenen Job. Daher soll er hier die Botschaft vermitteln, das beste aus dem Leben zu machen", sagt er. Seine witzige, geistreiche und liebevolle Art macht diesen Tod zu einem freundlichen Gefährten. Die Kinder merken das schnell und wuseln um den Mann auf Stelzen herum, spielen mit ihm, machen Fotos. Einige Besucher warten geradezu auf eine Begegnung mit dem Tod. Seit sieben Jahren ist er Teil des Spectaculums. Vorher kam er als Heerlagerist zu den Festivals:

Der Tod ist eigentlich Mirco Lehmann, 26 Jahre alt, Qualitätskontrolleur und Mittelalterfan — 1,70, nicht 2,20 Meter groß. Als Kind habe er sich auf einem mittelalterlichen Weihnachtsmarkt mit dem Mittelalter-Virus infiziert. Der Mittelaltermarkt zur 800 Jahrfeier seines Heimatortes Osterholz-Scharmbeck habe den Virus dann wieder ausbrechen lassen. Die Begeisterung für das Leben im Mittelalter, Fantasie-Filme und Märkte wurde immer größer. Irgendwann ging er mit Freunden zu einem Mittelalter Spectaculum und wurde Mitglied eines Heerlagers. Bei den Pestumzügen wurden seine Verkleidungen immer aufwendiger. Irgendwann entstand die Idee für den Tod. Der gefiel dem Veranstalter Gisbert Hiller so gut, dass er ihn fest engagierte.

Warum verbringt jemand seinen ganzen Urlaub beim Mittelalter Spectaculum?

Seine Wochenenden und Urlaubstage verbringt er seitdem als Sensenmann. Lehmann genießt vor allem auf die besondere Atmosphäre am Abend. Wenn überall Fackeln brennen und Heerlager und Aussteller am Lagerfeuer sitzen, feiern und quatschen. Fast sein gesamter Freundeskreis bestehe inzwischen aus Mittelalterfans.

Aber auch die Begnungen auf dem Festival würden jedes Mal besondere Erlebnisse parat halten. Die Mittelalter-Szene sei zwar groß, aber irgendwie doch klein. "Ich treffe immer Freund und alte Bekannte. Man kommt immer ins Gespräch und alle sind gleich. Egal ob EU-Politiker, Handwerker oder Schüler. Das macht es so besonders bei uns", sagt er.

Das spüre auch ich an diesem Tag. Die Menschen freuen sich über jedes besondere Kostüm, das sie sehen. Machen gemeinsam Fotos und geben sich Tipps. Beim Essen oder an den Ständen entsteht immer ein Gespräch. Mal werde ich von einer Gruppe Jugendlichen gefragt, woher ich komme, mal möchte jemand wissen, woher ich das Kleid habe oder was ich mir schon angeschaut habe. Ich bin zwar alleine unterwegs und doch irgendwie ständig in Begleitung. Du ist in dem Dorf die gängige Ansprache. Alleine fühle ich mich zwischen den meist erfahreneren Mittelalterfans den ganzen Tag nicht. Ganz im Gegenteil, jeder scheint ein willkommener Teil der Mittelalter-Familie zu sein.

Im Gedränge wird jeder in die Unterhaltung des Nebenmannes einbezogen. So erfahre ich von der Bäuerin neben mir, dass Johannisbeer-Likör besonders gut für die Gesundheit ist. Und Familie Reinhart zeigt mir ihr fahrbares Zelt. Sie sind mit ihrem kleinen Sohn auf dem Festival unterwegs. Er ist schon in die Mittelalterwelt hineingeboren und wird mit dem Hobby der Eltern groß. Allerdings ist der junge Rittersknabe noch zu klein, um den ganzen Tag auf den eigenen Beinen unterwegs zu sein. Also haben seine Eltern den Bollerwagen zum Zelt umgebaut. Mit Lederbändern, Ästen, grünen Stoffbahnen und Fell.

Sind die Feste für die Schausteller nur ein Beruf?

Doch dafür hat der Kleine gerade gar keine Augen. Zauberer Heiko ist viel spannender. Denn der hat gerade seine eigenen Hände mit einem Seil gefesselt. Abgesehen von den Kindern und ein paar Erwachsenen hat sich die Wiese rundum das Bogenschießen und Axtwerfen aber geleert. Auf der großen Festivalbühne spielen Saltatio Mortis. Die Stars unter den Mittelalter-Rock-Bands.

Für Hunderte Besucher in Fan-Shirts sind die Auftritter der Band das Highlight des Festivals. Mir reicht es, die rockigen Klänge aus der Ferne zu hören — als atmosphärische Untermalung sozusagen. Inzwischen brennen auch große Fackeln am Wegesrand. Mittelalter-Romantik macht sich breit. Ein letztes Mal an diesem Tag flattern die Eulen und Käuzchen von Falkner Achim für das Publikum.

Begeistert bestaunen die Besucher die Vögel als Achim Häfner mit ihnen durch die Reihen läuft. Wer sein Vertrauen gewinnt, bekommt einen Handschuh und darf eines der Tiere halten. Seit 2014 kommt der Falkner erst mit seinen Tieren zum Mittelalterfestival, gehört aber schon zu den bekanntesten und beliebtesten Schaustellern. Der "Falkner der Herzen", wie er genannt wird, ist mit seiner Uhu-Dame Marga und den anderen Eulen der Publikumsliebling.

Was machen die Schausteller nach dem Festival?

"Ich sehe sofort ob jemand die Ruhe hat, eine meiner Eulen zu nehmen, oder nicht", sagt der Falkner aus Rheinland-Pfalz. Ruhe und Geduld haben die Vögel von Achim Häfner hingegen alle. Es sind Therapie-Eulen. Denn Häfner tritt auf dem Mittelalterfesten auf, um damit Geld für seine Besuche in Hospizen und Behinderteneinrichtungen zu verdienen.

Jede Station der Spectaculum-Tour nutzt er, um an den Tagen vorher oder nachher Vereine oder Einrichtungen mit seinen Therapie-Eulen zu besuchen. "Wenn du siehst, wie gelöst die Kinder oder Kranken mit den Tieren umgehen, dann geht mir immer wieder das Herz auf", sagt der 58-Jährige. Wenn er von seinen Projekten erzählt, kommen ihm die Tränen, so leidenschaftlich setzt er sich für sein Anliegen ein. Seit 2009 arbeitet er mit Kindern und Behinderten. Seine Bekanntheit nutzt er auch, um Geld für das Kinderhospiz Sterntaler zu sammeln. Sein Herzensprojekt, wie er sagt. Denn der "Falkner der Herzen" ist vor allem ein Falkner mit Herz. Er herzt und umarmt die Besucher, die er breits kennt. Er spendet Trost und verrät Kollegen ein paar seiner Tricks mit den Tieren.

Die Faszination für das Mittelalter habe sein Beruf mit sich gebracht. Seitdem er 14 ist, arbeitet er mit Greifvögeln. Zuhause in Neustadt an der Weinstraße hat er auch Adler und Falken. Die nimmt er aber nicht mit auf die rummeligen Festivals. Teil der Mittelalter-Familie wurde er durch seinen besten Freund, der Lederwaren auf Mittelaltermärkten verkaufte und ihn mit zum Spectaculum in Karlsruhe nahm. In Köln sollten die beiden dann 2014 gemeinsam teilnehmen, doch Häfners Freund starb kurz vorher. Auch deshalb ist das Festival in Köln ein ganz besonderes für den Falkner, der auch diesmal wieder gute Freunde trifft.

Uta Wittekind und Rainer Erdinger sind aus Wülfrath gekommen. Sie sind befreundete Falkner und holen sich vor allem für den Besuch in Schulen Tipps von Häfner. Wittekind ist Waldpädagogin und schon seit Jahren als Besucherin auf Mittelaltermärkten unterwegs. Mit Therapie-Eulen hat sie sich schon beschäftigt, bevor sie Häfner kannte. Ihr Uhu Uwe ist in der Region bestens bekannt. Nun hat sie in Falkner Achim einen Gleichgesinnten gefunden.

Gleichzeitig genießen Wittekind und Erdinger aber einfach die Atmosphäre auf dem Festival. "Es ist wunderbar so viele Menschen zu treffen, die sich für das gleiche Interessieren. Und irgendwas finde ich hier immer für meine Arbeit. Zum Beispiel eine kleine Holzflöte oder Werkzeug", sagt die Waldpädagogin. Die aufwendigen Kostüme der anderen Besucher bewundert sie. "Irre, was die sich so einfallen lassen. Und das muss auch ganz schön schwer sein", sagt sie mit Blick auf ein paar junge Frauen, die auf dem Kopf große Gestecke aus Ästen und Stoffen tragen und ihre Inspiration wohl in der Fantasie-Szene finden.

Hinter dem Falkner-Zelt wird es laut. Trommelwirbel, klappernde Rüstungen, zischendes Feuer. Die Ritter des tschechischen Lagers "Fictum" haben Stellung bezogen und messen sich im Schwert- und Fackelkampf. Die Schwerter donnern auf die Schilde, es wird gefochten was das Zeug hält — bis einer am Boden liegt und keine Chance mehr hat. Der letzte Stoß wird nicht gesetzt, das ist Ehrensache, sagen die Ritter.

Ob es bei den Rittern nur so von Hofdamen wimmelt?

Sie leben während des Spectaculums in imposanten grün-weiß gestreiften, blauen oder mit mittelalterlichen Bildern verzierten Zelten. Ihre Rüstungen stehen vor dem Lager, an rustikalen Holztischen spielen einige von ihnen Karten, bevor es in den Kampf geht.

Es sei wichtig, gemeinsam Spaß zu haben, wenn man so eng aufeinander lebt, sagt Joseph Schreinemachers. Er sah "Fictum" als Jugendlicher zum ersten Mal. Sein Onkel brachte ihn dann dazu, auch zu fechten und sich der Gruppe anzuschließen. Aus dem Hobby wurde Beruf und nun tourt er als Ritter von Mittelalterfestival zu Mittelalterfestival. So auch am 17. und 19. September beim MPS in Borken, wo das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum vor 22 Jahren seinen Anfang nahm.

Prinzessinnen oder Burgfräulein gibt es in dem Ritter-Lager allerdings keine. "Bei so vielen Rittern würde das nicht gut gehen", sagt Schreinemachers. Das heiße aber nicht, dass Ritter nicht mit den Burgfräulein und Hofdamen flirten dürfen, die vorbeikommen, sagt er und schickt eine Einladung zum Lagerfeuer am Abend hinterher. Nach der Feuershow sei die Stimmung im Ritterlager am Abend bei Tanz und Kartenspielen besonders gut.

Das glaube ich nach diesem Tag im Mittelalter sofort. Aber als Mittelalter-Neuling muss ich ja nicht gleich alles am ersten Tag erleben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort