Lkw-Fahrer und Alkohol "Auf dem Rasthof kreist oft die Schnapsflasche"

Köln · Im Dezember haben stark betrunkene Lastwagenfahrer zwei schwere Unfälle in Nordrhein-Westfalen verursacht. Beide hatten mehr als zwei Promille Alkohol im Blut. Ist es üblich, dass die Fahrer derart trinken? Wir haben mit einem ehemaligen Lkw-Fahrer den Autohof Eifeltor besucht.

Lkw-Fahrer auf Rasthöfen in NRW
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Wie Lkw-Fahrer auf NRWs Raststätten leben

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Foto: Jan Bergrath

Dicht an dicht stehen die Lastwagen auf dem Autohof Eifeltor bei Köln. Ein paar Fahrer stehen zusammen und quatschen. Es gibt eine kleine Spielhalle, in der einige vor den Automaten hocken und zocken. Andere schlafen in ihren Fahrerkabinen, hören Musik oder telefonieren. Es geht darum, sich die Zeit zu vertreiben. Am Straßenrand klopft ein Mann gegen die Tür eines Wohnwagens, in dem eine Prostituierte auf Kundschaft wartet. Vor den schmutzigen Fenstern hängen Vorhänge, in einem Blumenkasten stecken ein paar vertrocknete Pflanzen. Nach einem kurzen Gespräch zieht der Mann wieder ab, die Frau macht ihre Wohnwagentür zu, man ist sich nicht einig geworden.

"Ich muss nicht im Lkw schlafen"

Petrica Oltu muss an diesem Mittwochnachmittag noch mit seinem Lkw nach England. Der 52-jährige Rumäne fährt Fracht für DHL und wartet am Eifeltor darauf, dass er seine Ladung abholen kann. "Ich muss nicht im Lkw schlafen, meine Firma zahlt mir ein Hotel", sagt er. Er fahre allenfalls drei bis vier Stunden am Stück, mache dann wieder Pause.

Fahrer aus Osteuropa sind oft sechs bis acht Wochen am Stück nur unterwegs, die Familien sind weit weg. Vor allem zwischen Samstag um Mitternacht und Sonntagabend, 22 Uhr, wenn auf den Autobahnen keine Lkw fahren dürfen, müssen die Fahrer schauen, wie sie die Zeit rumkriegen. Nach den Wochenenden bleiben oft leere Bierdosen und Schnapsflaschen auf den Rastplätzen zurück, immer wieder kommt es zu wüsten Prügeleien. Darauf angesprochen winkt Petrica Oltu lachend ab. "Ich trinke nie", sagt er. Und die Kollegen? Er fährt mit Daumen und Zeigefinger über seinen Mund, als wolle er einen Reißverschluss zuziehen. Kein Kommentar.

Fahrer hatte mehr als zwei Promille

Eine Woche ist es her, dass ein Lkw-Fahrer mit seinem Sattelzug auf der Autobahn 61 bei Viersen auf dem Standstreifen in einen Streifenwagen gekracht ist. Eine 23-Jährige Polizistin starb, ihre Kollegin schwebt immer noch in Lebensgefahr, nachdem sich der Zustand der 48-Jährigen zunächst kurz stabilisiert hatte. Ein 22-jähriger Beamter, der auf dem Beifahrersitz saß, wurde schwer verletzt. Der Lkw-Fahrer aus der Ukraine hatte mehr als zwei Promille Alkohol im Blut. Der 48-Jährige sagt, er könne sich an nichts erinnern.

Sieben Tage vor dem schweren Unfall auf der A61 stoppte die Polizei einen betrunkenen Lkw-Fahrer aus Litauen auf der A45 bei Lüdenscheid. Auch in diesem Fall hatten mehrere Zeugen beobachtet, dass der Lastwagen Schlangenlinien fuhr. Der 31-jährige Fahrer hatte eine leere Schnapsflasche in der Mittelkonsole — und mehr als zwei Promille im Blut.

Das sind keine Einzelfälle

"Das sind leider keine Einzelfälle", sagt Jan Bergrath. Der 59-Jährige schreibt seit 30 Jahren für das Truck-Fachmagazin "Fernfahrer" und ist als Student selbst jahrelang Lkw gefahren. Er steht am Autohof Eifeltor und zeigt auf die Stelle vor einem Schnellrestaurant, wo am 10. Dezember ein 38-Jähriger bei einer Schlägerei schwer verletzt wurde. Zwei Lkw-Fahrer (24, 28) aus Rumänien hatten auf ihn eingeprügelt, beide waren betrunken. "Für mich sind diese Fälle ein klares Zeichen dafür, dass das Thema Sozialdumping weit mehr bedeutet, als darüber zu streiten, ob die Fahrer ihre Ruhezeiten einhalten", sagt Bergrath. "Westeuropäische Gewerkschafter und Politiker verstehen unter dem Begriff Sozialdumping die prekären Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern aus Osteuropa. Verwahrlosung und Alkoholismus sind aber die Nebenwirkungen." Die aktuellen Fälle seien eine unmittelbare Folge der Langeweile auf den Rastplätzen.

Unfälle, bei denen Lkw-Fahrer so sturzbetrunken sind wie in den beiden Fällen, kommen zwar nicht häufig vor, wie das Verkehrskommissariat der Kölner Polizei mitteilt. Seit 2008 gab es 18 Unfälle im Bezirk der Kölner Autobahnpolizei, die alkoholisierte Lkw-Fahrer verursacht haben. Das Problem könnte aber wachsen. Und wenn ein Sattelschlepper etwa auf einen Stau auffährt, sind die Folgen fast immer dramatisch. Nach Angaben des Innenministeriums verursachten Lkw-Fahrer 2016 in NRW 22.446 Unfälle, bei denen 141 Menschen getötet, 1276 schwer und 4203 leicht verletzt worden sind. Die drei häufigsten Unfallursachen waren ungenügender Sicherheitsabstand, fehlerhaftes Wechseln des Fahrstreifens und Fehler beim Wenden und Rückwärtsfahren. "Um die Straßen sicherer zu machen, setzt die NRW-Polizei auf Vorbeugung und Kontrolle", sagt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. So wurden im vergangenen Jahr rund 52.000 Abstand- und zwei Millionen Geschwindigkeitsverstöße geahndet.

"Die ein oder andere Flasche Bier"

Ralf S. (34) und Christian L. (36) fahren für eine Spedition am Niederrhein. Sie kennen Kollegen, die alkoholisiert hinterm Steuer gesessen haben. "Es ist aber auf keinen Fall so, dass Fernfahrer generell Alkohol trinken, wenn sie fahren. Das kommt nur vereinzelt vor", sagt S. "Wenn dann meistens in Pausenzeiten. Dann wird schon einmal die ein oder andere Flasche Bier getrunken", sagt L. Das Problem dabei sei, dass in der Pausenzeit der Alkohol im Blut nicht immer abgebaut wird. "Die Fahrer aber los müssen, weil sie unter Zeitdruck stehen."

Jan Bergrath ist oft am Wochenende auf den Rastplätzen in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Er recherchiert dort für seine Fachartikel und Bücher, gerade ist sein achter Roman "Spur der Laster" erschienen. Doch was er von den Zuständen auf den Rasthöfen erzählt, ist keine Fiktion. "Da kreist in abgelegenen Ecken oft die Schnapsflasche", sagt er. Solange die Fahrer in ihrer Freizeit trinken, gibt es rechtlich keine Handhabe. Bergrath hat eine ganze Sammlung von Bildern und Meldungen gesammelt, die belegen, dass der Alkoholkonsum auf den Rastplätzen ein echtes Problem ist. Ein Video zeigt einen Fahrer, der kaum noch gehen kann und vergeblich versucht, in sein Fahrerhaus zu klettern. Ein Foto zeigt zwei Männer, die zwischen ihren Sattelschleppern neben einem Grill und leeren Flaschen ihren Rausch auf dem Asphalt ausschlafen.

Bundesverband fordert strenge Sanktionen

Beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) kennt man das Problem. "In Deutschland gibt es entsprechende Aufklärungskampagnen, in denen wir auf die große Verantwortung hinweisen, die Lkw-Fahrer für Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer haben", sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des BGL, Adolf Zobel. "Sich nach Alkohol- oder Drogenkonsum hinters Steuer zu setzen, wird dieser Verantwortung zweifellos nicht gerecht und muss strikt sanktioniert werden", sagt Zobel.

Die Lkw, die an diesem Nachmittag am Eifeltor stehen, haben fast ausschließlich Kennzeichen aus Rumänien, Tschechien, Ungarn oder Polen. "Die Firmen sind oft belgisch, niederländisch oder deutsch, haben Niederlassungen in Osteuropa, manchmal sind es auch nur Briefkastenfirmen", sagt Bergrath. Die Fahrer bekommen dann den Mindestlohn, der in ihrem Land üblich ist. "In Rumänien sind das etwa 300 Euro im Monat." Dazu kämen Spesen bis zu 50 Euro pro Tag. "Die sparen die meisten Fahrer für die Familien, sie geben sehr wenig für Essen aus, kochen sich was zusammen an ihrem Lkw. Selbst wenn sie Geld für ein Hotel bekommen, schlafen sie in ihren Kojen, um das Geld anderweitig zur Verfügung zu haben." Seine Fotos zeigen Lkw-Fahrer beim Frühstück auf der Ladefläche oder wie sie sich Essen auf einem Gaskocher erwärmen.

Petrica Oltu, der Fahrer aus Rumänien, sagt, es mache ihm nichts aus, so selten zu Hause zu sein: "So ist das eben." Seine Kinder sind noch klein. Er sieht sie alle zwei Monate.

(hsr chs)
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