Köln Konfetti statt Feuer — 10.000 protestieren gegen AfD-Parteitag

Die große Blockade blieb aus, der große Krawall aber auch. Zwar wurden zwei Polizisten verletzt und ein Auto in Brand gesteckt, doch verliefen die Demonstrationen am Samstag gegen den AfD-Parteitag in Köln überwiegend friedlich. Impressionen eines langen Tages.

Konfetti statt Feuer in Köln — 10.000 protestieren gegen AfD-Parteitag
Foto: Polizei Köln

Der Pfarrer ist der erste, der seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt. Lothar König, Geistlicher mit Karl-Marx-Bart aus Jena, sitzt am frühen Samstagmorgen in seinem Wagen auf dem Heumarkt und ruft in sein Mikrofon: "Das ist ja langweilig, es sind ja gar keine Nazis da." Mit Nazis meint er die Delegierten des AfD-Parteitags in Köln, die zwar da sind, nur eben nicht am Heumarkt, sondern mehr als hundert Meter entfernt im gegenüberliegenden Maritim-Hotel. Dazwischen: Absperrungen und die Polizei. Kein Durchkommen.

Zum Feindkontakt kommt es nur, als einzelne Delegierte durch die Absperrungen müssen, vorbei an den Demonstrierenden. Bestimmt eine Stunde lang läuft am späteren Samstagvormittag in der Nähe des Maritim-Hotels immer dasselbe Spiel: Männer in Mänteln und mit Aktentaschen hetzen in Richtung Hotel, linke Demonstranten pfeifen sie aus und brüllen ihnen "Nazis raus!" nach. Polizisten schirmen die AfD-Delegierten ab und drängen die wütenden Protestler zurück. Dann kehrt wieder Ruhe ein — bis der nächste Herr mit Aktentasche daherkommt. Dass der Parteitag der AfD trotzdem mit einiger Verspätung beginnt, ist nicht den Blockaden zuzuschreiben. Die Delegierten brauchen einfach sehr lange, um sich auf die Tagesordnung zu einigen.

Polizei mit Ablauf zufrieden

Am Samstagnachmittag wird die Polizei einen verhältnismäßig friedlichen Tag bilanzieren: Zwei zerstörte Schaufensterscheiben, ein brennendes Auto, aber auch zwei verletzte Polizeibeamte. Einer wurde von einem Demonstranten mit einer Holzlatte am Kopf getroffen, die Wunde musste genäht werden. Ein zweiter wurde im Gerangel leicht verletzt, als Demonstranten eine Polizeikette durchbrechen wollten. Statt der erwarteten 50.000 Gegendemonstranten sind nur etwa 10.000 nach Köln gekommen. Es mochte am Wetter gelegen haben, vielleicht aber auch an der geäußerten Sorge des Kölner Polizeipräsidenten Jürgen Mathies, der nicht ausschließen wollte, dass Linksextreme Krawall machen würden. Dazu kam es nicht. "Konfetti statt Feuer" stand treffend auf einem Plakat.

Was passierte, das passierte eher früh: Gegen halb acht Uhr am Samstag probt hinter dem Deutzer Bahnhof auf der anderen Rheinseite eine kleine Gruppe junger Leute eine Sitzblockade. Es regnet, die Demonstranten hocken auf blauen Müllsäcken. In gleicher Anzahl stehen Polizeibeamte vor ihnen. Weiter drüben teilen sich Polizistinnen mit ihren Pferden das Frühstücksbrot. Auf der Deutzer Brücke steht ein Kastenwagen neben dem nächsten. Köln ist eingestellt auf den größten Polizeieinsatz der vergangenen Jahre. In der Altstadt rund um das Maritim-Hotel gibt es keine Straße, in der nicht mindestens ein Trupp Hundertschaftsbeamte zu sehen ist.

Früh morgens kommt es zu Auseinandersetzungen

Um kurz nach 8 Uhr am Samstagmorgen kommt es auf der Rheinuferstraße unterhalb des Maritim-Hotels zu ersten Auseinandersetzungen. Jemand hat eine Rauchbombe gezündet, vorher waren mehr als 100 Demonstranten aus dem "Sternmarsch" hin zum Heumarkt ausgebrochen, Polizisten waren ihnen nachgerannt, einige Steine flogen in Richtung der Beamten.

Auf dem Heumarkt beginnt nach acht Uhr allmählich das Programm der Gegendemonstranten. Das Bündnis "Köln gegen Rechts" leitet den Tag in Sichtweite des Maritims ein, es wird von vielen linken Gruppen getragen, darunter die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) und die Linkspartei. Vom sogenannten "Lauti-Wagen", einer Bühne auf einem Anhänger, werden die Namen der NSU-Toten verlesen, es wird gewettert, nicht nur gegen Rassismus, sondern mindestens genauso stark gegen Kapitalismus, eine Frau teilt durchs Mikro mit: "Wir brauchen noch mehr OrdnerInnen." Die Zettelverteilquote ist höher als mittags vor der Uni-Mensa. Es nieselt, die Stimmung ist eher mittel.

Hochzeitspaare werden mit Eskorte zum Standesamt gebracht

Derweil haben Caroline und Christian Tegeler aus Bochum ganz andere Pläne. Nur wenige hundert Meter entfernt haben sie an diesem Samstag um 8.50 Uhr als erstes Brautpaar in Köln geheiratet - auf Wunsch der Braut, die Kölnerin ist. "Alles entspannt", sagt die 26-Jährige. Die Hochzeitsgesellschaft war per Polizeieskorte zum Parkhaus gebracht worden, weil sie aufgrund der vielen Sperrungen den Weg nicht gefunden habtte. Der AfD-Parteitag hat die Vermählung im Historischen Rathaus ansonsten nicht weiter beeinflusst, wie Bräutigam Christian (35) sagt. "Wir hauen jetzt ab und feiern in Bochum", sagt er.

Was auf dem Heumarkt lange Zeit ein eher übersichtliches Trüppchen ist, wird dann stetig größer, als sich das Bündnis auf den Weg macht zum Protestmarsch durch die Kölner Innenstadt. Mehrere Tausend Teilnehmer ziehen laut, aber friedlich Richtung Hauptbahnhof. Mit tanzbarer und gitarrenlastiger Musik, mit vielen Plakaten, darunter "AfD abschieben auf den Mond", "Diese Welt ist zu schön für Faschismus" und "Dass Petry Heil nur ein Fischergruß bleibt" - und mit vielen Reden.

Der Mut der Redner ist bisweilen größer als die Redekunst. Eine junge Frau mit Brille, die bei Ford arbeitet, benutzt sehr häufig das Wort "Faschismus". Sie sieht nicht aus, wie man sich den Teilnehmer einer Antifa-Demo vorstellt. Hier sind nicht bloß Menschen versammelt, die aussehen wie Mitglieder des schwarzen Blocks. Zwar ziehen auch viele ganz in schwarz gekleidete junge Menschen mit, aber ebenso beteiligen sich Senioren, junge Mütter. Die Polizei braucht nicht einzugreifen. "Geht Kaffee trinken", ruft ihnen jemand über Lautsprecher zu.

Kraft und Reker halten Reden

Als die AfD-Gegner am Neumarkt stehen und warten, bis es weitergeht, und über die Lautsprecher "Wir werden siegen" des Musikers Peter Licht zu hören ist und dann auch noch die Sonne rauskommt, können die Teilnehmer wirklich glauben, dass sie genau das endlich tun werden: Siegen.

Derweil finden sich am Mittag auf dem Heumarkt die Teilnehmer des Bündnisses "Köln stellt sich quer" ein, das vergleichsweise bürgerlich ist. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker halten Reden, Musiker spielen auf der Bühne. Kalle Banaszkiewicz und sein Bruder Peter lehnen sich am Ende des Platzes gegen eine Fensterbank. In den "wichtigen Dingen wie politische Einstellung und Musikgeschmack" sind sie einer Meinung, sagen sie. Die AfD ist ihnen zu rechts und so viele Polizisten haben die Leverkusener zuletzt gesehen, als 1999 der G7-Gipfel in Köln war und die Rolling Stones gespielt haben. Die Brüder haben sich rote Plastiknasen aufgesetzt, "weil wir gegen die Pappnasen im Maritim demonstrieren wollen", sagt Kalle Banaszkiewicz (58).

Sidney hat sich eine Regenbogenflagge um die Schultern gelegt. Die 25-Jährige ist allein zum Heumarkt gekommen, weil ihre Freunde an diesem Samstag arbeiten müssen. "Für mich ist es einfach zu demonstrieren — für die Kids mit Kopftuch ist es schwer, zum Beispiel. Deshalb finde ich es wichtig, auf die Straße zu gehen", sagt die Studentin.

Wenig später setzt sich auch dieses Bündnis in Bewegung, die Teilnehmer gehen denselben Weg wie "Köln gegen Rechts". Genau für die ist nun wieder Platz, sie haben ihre Demo beendet. Rike aus Köln ist eine von jenen, die gegen halb drei wieder am Heumarkt ankommt. "Es war so lieb", sagt sie. Die 24-Jährige entspricht nicht dem Klischee, nicht der üblichen linken Selbstgewissheit. Sie ist auf der Suche. Vor einiger Zeit hat sie sich entschlossen, politisch tätig zu werden, weil sie sich sonst schuldig fühlen würde.

Sie hat ein Schild mit der Aufschrift "Lernt Eure Nachbarn kennen" getragen, eine Aufgabe, die sie vor allem sich selbst gestellt hat. Sie hat Fotos ihrer Nachbarn dabei, auf denen diese Botschaften für die Demo in die Kamera halten. "Man kann natürlich aktiver sein, als auf eine Demo zu gehen, aber das ist einer meiner ersten Schritte, etwas zu tun." Sie wollte an diesem Tag mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, und das ist ihr gelungen. Ihre Tüte mit Nüssen hat sie ein paar Leuten überlassen, die hungrig waren. Sie sagt: "Ich muss mich ändern, nicht andere."

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