Kölner verteidigen ihren Hauptbahnhof "Wir haben hier keinen rechtsfreien Raum"

Köln · Sechs Tage nach den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof herrscht dort wieder Alltagsbetrieb. Doch die Silvesternacht ist das Gesprächsthema Nummer eins, sowohl unter den Reisenden als auch unter denjenigen, die im Bahnhof arbeiten. Die Vorfälle haben sie schockiert. Angst haben sie keine, sagen sie.

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Kölner haben keine Angst am Hauptbahnhof

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Foto: Jessica Kuschnik

Knapp eine Woche ist seit den Übergriffen in der Silvesternacht vergangen. Auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln stehen fast ein Dutzend Einsatzwagen der Polizei. "Jetzt sind Sie da, aber wo waren Sie zu Silvester", raunt eine Seniorin einem der umherstehenden Polizisten entgegen. Der will ihr antworten, doch die Frau ist schon weitergehastet. Passanten drehen sich um. Einige von ihnen zucken mit den Schultern. Doch die Polizei ist nicht etwa wegen der Vorfälle in der Neujahrsnacht vor Ort. Sie bereitet sich auf eine Mahnwache von ProNRW vor, erklärt ein Polizeisprecher.

Um 14 Uhr beherrschen etwa 100 Gegendemonstranten den Bahnhofsvorplatz. Rund zwei Dutzend Polizeibeamte schirmen sie von den ProNRW-Anhängern ab - es ist nur eine Handvoll. "Drei Personen haben sich angemeldet", berichtet der Polizeisprecher. Sie haben kaum eine Chance kundzutun, weswegen sie dort sind, zu laut sind die Parolen der Gegendemonstranten. Spontan stimmen Köln-Besucher mit ein. "Ich sehe nach den Vorfällen von Silvester die große Gefahr der wachsenden Fremdenfeindlichkeit", sagt Otto Breuer vom Bündnis "Köln gegen Rechts". "Hooligans haben am Dienstag im Netz dazu aufgerufen, Schwarze durch die Straßen zu jagen. So etwas dürfen wir nicht zulassen."

Dass eine erhöhte Polizeipräsenz wie zum Zeitpunkt der Demo am Hauptbahnhof nun generell nötig wäre, meinen die wenigsten Passanten. "Es ist erschreckend, was da passiert ist", sagt Birgit Piepenhagen. Die 45-Jährige aus Düren ist heute allein in Köln unterwegs. "Angst habe ich nicht. Mein Mann hat vielleicht ein etwas mulmiges Gefühl, weil er nicht dabei ist. Köln ist aber noch immer eine tolle und weltoffene Stadt, auch nach den Ereignissen in der Silvesternacht."

Vor dem Hauptausgang zur Domplatte steht Luise Glück mit ihrer Tochter (20). Sie ist aus Ludwigsburg angereist, raucht entspannt eine Zigarette. "Der Köln-Besuch war mein Weihnachtsgeschenk", erzählt die 45-Jährige. Den Besuch aufzuschieben oder sogar ganz abzusagen kam für sie nicht infrage. "Solche Übergriffe hätten in jeder Großstadt passieren können und haben nichts mit Köln zu tun", meint sie.

Auch die Menschen, die im Hauptbahnhof arbeiten, wollen von einem rechtsfreien Raum nichts wissen. "Ich arbeite seit 37 Jahren hier und kann nicht sagen, dass es hier gefährlicher ist als an Hauptbahnhöfen in anderen Großstädten", sagt Gerald Lobach, 58, Mitarbeiter in der Gaststätte "Kölsch Treff". Zwar wünsche er sich manchmal mehr Präsenz von der DB Sicherheit, doch ein rechtsfreier Raum sei der Hauptbahnhof keineswegs.

Auch von einer Angst ihrer Kunden spüren die Mitarbeiter der Shops nicht. "Das ist kein Thema", sagt Kathrin Jöstel. Die 42-Jährige arbeitet in der Buchhandlung des Hauptbahnhofs. Einige ältere Menschen fragten sie manchmal, was hier an Silvester losgewesen sei - doch niemand fürchte sich jetzt, so ihr Eindruck.

Doch so entspannt sehen das nicht alle Kölner. "Wir haben hier Brennpunkte", sagt der 63-jährige Kölner Detlef Eber. Der Hauptbahnhof sei durchaus gefährlich, es gebe dunkle Ecken, in die man sich in der Dunkelheit besser nicht traue. Er zeigt auf die Obdachlosen, die vor der Bäckerei sitzen und Alkohol trinken. Hinterm Bahnhof sei es noch schlimmer. Doch mit den Übergriffen der Silvesternacht hätten diese älteren Männer doch gar nichts zu tun, mischt sich eine vorbeilaufende Passantin ein. Einer der Männer versucht aufzustehen, schwankt, und setzt sich wieder hin. Detlef Eber sagt: "Trotzdem ist es gefährlich", und geht.

Hauptbahnhöfe seien generell Orte, an denen unterschiedliche Menschen unterwegs sind, sagt Corinna Ronald. Die 48-Jährige leitet die Kölner Bahnhofsmission. "Hier treffen Reisende, Geschäftsleute, Wohnungslose und alle möglichen Besucher zusammen. Von einem rechtsfreien Raum kann man aber in keiner Weise sprechen." Die Ereignisse der Silvesternacht seien furchtbar gewesen. So etwas habe es noch nicht gegeben, sagt sie. "Die Polizei konnte das nicht vorhersehen. Auch ich, die ich mich hier sehr gut auskenne, hätte nie mit so etwas gerechnet." Angst hat sie trotzdem nicht.

(jnar)
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