Interview mit Kölns Tafel-Chefin "Es kann nicht sein, dass die Jobcenter Leute zu uns schicken"

Köln · Die Kölner Tafeln gehören zu den größten ihrer Art in ganz Deutschland. Jeden Monat sammeln sie 100 Tonnen Lebensmittel und versorgen tausende Bedürftige. Im Interview erklärt die Tafel-Vorsitzende Karin Fürhaupter, wieso sie staatliche Unterstützung ablehnt und Spendengelder fehlen.

Ein Tag als Helfer der Kölner Tafeln
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Foto: Clemens Boisserée

Viele Tafeln klagen darüber, nicht mehr alle Bedürftigen versorgen zu können, weil es zu wenig Lebensmittelspenden gibt. Wie sieht es in Köln aus?

Karin Fürhaupter: Wir haben gemerkt, dass die Händler ihre Bestellsysteme perfektioniert haben. Es ist wesentlich mühseliger geworden, die benötigten Mengen und manchmal auch die benötigte Vielfalt zu bekommen.

Wie viel Lebensmittel bekommen Sie überhaupt noch?

Karin Fürhaupter: Wir sammeln 100 Tonnen Lebens- und Haushaltsmittel pro Monat. Das ist eine große Zahl die man aber etwas relativieren muss. Denn in diese Statistik fällt auch, dass wir mal 33 Euro-Paletten Marmelade oder Pudding auf einen Schlag von einem Produzenten erhalten, die wir auch an andere Tafel weitergeben. Eine solche Menge können wir zeitnah gar nicht nur in Köln verteilen.

Wie viel ist denn davon überhaupt noch verzehrbar?

Fürhaupter: Wir achten sehr darauf, nur verwendbare Ware anzunehmen. Denn wir können und wollen nicht als kostenloser Entsorgungsbetrieb für die Supermärkte dienen.

Was kann der Staat tun, um den Tafeln zu helfen?

Fürhaupter: Ich bin froh, dass wir als Tafel unabhängig vom Staat sind. Wir sind eine freiwillige Initiative und das wollen wir auch bleiben. Unser Ziel ist es, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Wenn der Staat uns subventioniert, zieht er sich damit gleichzeitig aus seiner sozialen Verantwortung: Rentenerhöhung oder Hartz-IV-Erhöhung – da könnte die Politik dann einfach sagen: Geht doch zur Tafel, da bekommt ihr, was ihr zum Leben braucht. Das wäre nicht richtig.

Wieso nicht? Bevor Bedürftige nicht mehr versorgt werden können, wäre doch Hilfe die bessere Lösung, oder?

Fürhaupter: Die Lösung kann nicht sein, uns als Tafeln staatlich zu subventionieren. Das wäre eine Abgabe von Verantwortlichkeit und diese Verantwortung können wir überhaupt nicht tragen. Denn wir sind in unserer Unterstützung nicht berechenbar: Unser Angebot an die Bedürftigen hängt vom Einsatz der Ehrenamtlichen ab, aber natürlich auch von Spendenbereitschaft, finanziell wie materiell. Alles was wir hier haben, basiert auf ehrenamtlichem Engagement und Spenden.

Reicht dieses Engagement, um alle Bedürftigen zu versorgen?

Fürhaupter: Ich würde nie sagen, dass wir genug Ehrenamtler haben. Hier und heute und für diese Woche haben wir einen funktionierenden Plan. Aber wenn zwei bis drei Leute ausfallen, haben wir ein riesiges Problem. Wir haben überwiegend Leute, die in Rente sind und einige Langzeitarbeitlose. Wenn da die Gesundheit nicht mehr mitmacht oder die Leute plötzlich einen Job finden, sind die von heute auf morgen weg.

Die Lebensmittelmärke unterstützen Sie mit Lebensmitteln. Woher kommen die Geldspenden?

Fürhaupter: Von Privatleuten und Unternehmen. Manche spenden einmalig, manche haben einen Dauerauftrag eingerichtet. Insgesamt hatten wir im vergangenen Jahr 1022 Spendeneingänge, von denen finanzieren wir unter anderem unsere Lagerhalle oder unsere zehn Transporter.

Das Thema "Ausländer und die Tafeln" schlägt hohe Wellen, seit die Essener Tafeln entschieden haben, keine weiteren Ausländer mehr aufzunehmen. Sie selbst sagten unmittelbar danach, Sie würden solche Ausgabestellen wie in Essen nicht mehr beliefern. Bleiben Sie dabei?

Fürhaupter: Ja, ich habe gesagt: Es kann nicht sein, dass eine Tafel ihre Bedürftigen nach Staatsangehörigkeit aussucht. Das finde ich nach wie vor nicht richtig. Ich muss aber auch sagen: Wir Externen kennen die Verhältnisse in Essen nicht. Ich denke trotzdem, dass eine andere Lösung – separate Ausgabezeiten für verschiedene Gruppen beispielsweise – besser gewesen wäre. Alternativ hätte ich halt die Neuanmeldungen insgesamt gestoppt und so gezeigt: Wir können nicht mehr. Diese Regelung gibt es an vielen Standorten in Köln auch immer wieder - nur da interessiert die Notlage niemanden. Deshalb ist es ein Stück weit gut, dass jetzt über das Thema diskutiert wird und die Arbeit der Tafeln im Fokus steht.

Aber hat sich die Lage wirklich nur aufgrund der Flüchtlinge verschärft?

Fürhaupter: Sicherlich nicht. Wir haben auch Bedürftige, die bekommen vom Job Center gesagt: Gehen Sie doch zur Tafel, wenn sie was brauchen. Das kann nicht sein, das ist nicht unsere Aufgabe. Deshalb haben wir dem Kölner Job Center auch einen Brief geschrieben und gebeten, solche Hinweise nicht mehr zu geben. Wie gesagt: Die Leute können nicht darauf zählen, dass sie von uns Hilfe bekommen. Zumal es auch in Köln Stadtviertel gibt – der Innenstadtbezirk-Nord mit dem Ebertplatz beispielsweise – die haben gar keine Ausgabestellen. In diesem Viertel können Bedürftige gar keine Hilfe von uns bekommen.

Aber müssen die Tafeln da nicht aktiv werden und Anlaufstellen organisieren?

Fürhaupter: Wir beliefern rund 130 Anlaufstellen, Einrichtungen für Frauen, Jugendzentren und etwa 30 Ausgabestellen für Bedürftige. Die werden alle einmal die Woche angefahren, aber wir können unmöglich auch noch überall die Lebensmittelausgabe organisieren. Dafür haben wir Kooperationspartner und die findet man eben nicht überall. Auch die Kirchen wollen und können nicht überall diese Organisation stemmen. Es gibt zum Beispiel in Kalk keine Ausgabestelle, auch in Chorweiler gab es lange keine. Das sind stellenweise soziale Brennpunkte mit wahnsinnig vielen Bedürftigen, die unsere Unterstützung dringend nötig hätten. Aber es findet sich niemand, der die Ausgabe betreiben will.

Wieso nicht?

Fürhaupter: Der organisatorische Aufwand ist halt enorm und man braucht Räumlichkeiten, wenn man wie in Chorweiler mehrere tausend Menschen pro Woche versorgen will. Wir haben schon überlegt, Ausgabestellen nur für Senioren anzubieten. Altersarmut ist ein gewaltiges Thema und vielleicht finden sich so leichter Kooperationspartner. Aber da muss man natürlich wieder abwägen: Ist nicht eine solche Ausgabestelle auch ein Art von Diskriminierung, wie sie den Essener Kollegen vorgeworfen wird? Nur Senioren aufzunehmen schließt alle Menschen unter 65 Jahren aus. Da muss man vielleicht auch mal sagen: Okay, dann gibt es halt diese Kritik, da müssen wir dann durch.

Anmerkung der Redaktion: Durch einen Fehler der Redaktion wurde bei Google versehentlich eine falsche Überschrift ausgespielt. Wir haben diese Schlagzeile geändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

(cbo)
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