Saliha Shagasi aus Köln Der steinige Weg zum Abitur als Tochter eines Flüchtlings

Köln · Als Tochter eines Flüchtlings hat die Kölnerin Saliha Shagasi ihren Weg zum Abitur gemacht. Dabei hat ihr aber auch der Zufall geholfen.

 Saliha Shagasi hatte zu Schulzeiten Glück — und Menschen, die an sie glaubten.

Saliha Shagasi hatte zu Schulzeiten Glück — und Menschen, die an sie glaubten.

Foto: Bretz, Andreas

Saliha Shagasi ist kein Einzelfall, aber eine Ausnahme. Sie hat die siebte Klasse übersprungen, eine Eins in katholischer Religion, war Klassensprecherin und hat ihr Abitur mit 2,1 bestanden. Und sie hat einen Migrationshintergrund. Ihr Vater ist Afghane, er kam als Flüchtling nach Deutschland. Trotzdem sagt sie: "Ausländer werden in der Schule benachteiligt — das ist so."

Es hätte auch anders laufen können: schlechtere Schule, schlechterer Umgang. "Dann hätte ich vielleicht mit 16 angefangen zu kiffen und mir wäre jetzt alles egal", sagt Shagasi. Stattdessen studiert sie jetzt Sonderpädagogik in Köln, um später Kinder aus bildungsfernen Schichten unterstützen zu können.

Mithilfe der Mutter einer Freundin auf eine katholische Privatschule

Aber auch Zufälle haben geholfen: Im letzten Grundschulzeugnis hatte Shagasi nur Zweien, ein Gymnasium erteilte ihr eine Absage. Dabei hat sich ihre Leistung überhaupt nicht verändert, sagt Shagasi im Nachhinein. "Ich habe es als ungerecht empfunden, dass ich plötzlich keine Einsen mehr hatte, als es um die Schulempfehlung ging." Dass sie trotzdem auf ein Gymnasium kam, verdankt sie der Mutter ihrer Grundschulfreundin. Die machte sich dafür stark, dass Shagasi auf eine katholische Privatschule gehen konnte. "Da gab es wirklich sehr wenige Ausländer, der Migrationshintergrund war aber nie ein Thema."

Mit ihrer offenen Art und ihrem Temperament war Shagasi in der Klasse beliebt — zuhause vor allem auf sich alleine gestellt. Die Mutter arbeitete als Altenpflegerin, der Vater konnte ihr nicht bei den Hausaufgaben helfen. Ihr älterer Bruder gewöhnte sich das falsche Deutsch des Vaters an, hat bis heute Grammatik- und Rechtschreibprobleme. Shagasi fiel das Lernen leichter. Und ihr begegneten Menschen, die sie förderten. Ihre Lehrerin ermutigte sie, bei einem Jugendtheater mitzumachen, nachdem sie Shagasis Begeisterung in der Theater-AG erlebte — heute ihre größte Leidenschaft.

Die Erste in der Familie mit akademischer Laufbahn

"Das Wichtigste ist, dass es Menschen gibt, die an dich glauben", sagt die 25-Jährige. "Kinder, die keine Unterstützung erfahren, haben häufig kein Selbstwertgefühl." Seit sie 16 ist, verdient Shagasi ihr eigenes Geld, jobbt derzeit als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl. Ihr Vater kann in Deutschland nicht arbeiten, das Geld ist knapp. Dass es für Bildung so essenziell ist, macht sie wütend: "Wenn Eltern Bildung nicht bezahlen können, werden ihre Kinder später auch kein Geld verdienen, um wiederum ihren Kindern bessere Chancen zu bieten."

Gerade schreibt sie ihre Bachelorarbeit, sie ist die Erste in ihrer Familie, die eine akademische Laufbahn einschlägt. In ihrem Studiengang gebe es wenige Studenten mit Migrationshintergrund. Dabei müsse es für Schüler aus bildungsfernen Schichten gerade Lehrer geben, die sie verstehen und mehrere Sprachen sprechen. "Integration muss schon im Kindergarten anfangen", findet Shagasi. Ganzheitliches Lernen und das Verstehen von Zusammenhängen müsse im Vordergrund stehen. Die Aufteilung in die verschiedenen Schulformen solle ganz abgeschafft werden, fordert sie.

Afghanistan, das fremde Land

Im "Kölnkiosk", ihrem Stammcafé im Belgischen Viertel, ist Shagasi fast täglich. Sie lacht laut und gestikuliert viel. Die Besitzerin ist eine Freundin, die anderen Gäste grüßt sie freundschaftlich. Ihr Temperament und ihre Leidenschaft seien wohl das Afghanische in ihr, sagt Shagasi. Ihre Mutter ist Deutsche, die vier Kinder sind in Deutschland geboren, waren noch nie in Afghanistan.

Es ist ein fremdes Land, von dem sie trotzdem etwas in sich tragen. Das hat sie als Kind vor allem bei afghanischen Partys am Wochenende zu Hause in Krefeld erlebt. Afghanische Musik, Essen, Stimmengewirr. Auch ihr Pausenbrot war anders. "Anders, aber geiler", sagt sie und lacht. Niemals hätte sie ihr Kebab-Sandwich gegen die Leberwurststullen der Mitschüler getauscht.

Für den Spagat ihres Vaters hat sie Verständnis. "Es gibt kein Rezept dafür, wie man Kinder in einer Kultur erzieht, in der man selber nicht zuhause ist. Schicke ich sie fünfmal täglich auf den Gebetsteppich, oder sage ich: Geht raus, macht alles so, wie es hier ist?" Auf den Gebetsteppich muss Shagasi nicht. "Meine Eltern haben mir beigebracht, solange man es im Herzen fühlt, kann man auch so cool mit Gott sein."

(tak)
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