Bedburg-Hau Zurück ins Leben

Bedburg-Hau · Angstzustände und Selbstmordgedanken waren Alltag von Martin, dann fand er Hilfe beim LVR-HPH-Netz. Der 29-Jährige ist nur eine Erfolgsgeschichte des Projekts.

Von heute auf morgen war alles anders in Martins Leben. Damals, vor fünf Jahren, als der heute 29-Jährige über Nacht einen Neubeginn wagte. Raus aus seinem geschützten Wohnbereich mit 24-Stunden-Betreuung, rein in eine eigene kleine Wohnung. Noch mit Unterstützung durch das LVR-HPH-Netz Niederrhein, aber in den eigenen vier Wänden.

Für Martin kein leichter Schritt: Selbstständigkeit war bis dahin ein Fremdwort für den jungen Mann. Sobald es Probleme gab, knickte er ein, bekam Angstzustände, hatte Selbstmordgedanken, brauchte Hilfe und floh zurück in den geschlossenen Bereich. Die fünf Jahre, in denen er jetzt in der eigenen Wohnung lebt und ambulant betreut wird, haben Martin komplett umgekrempelt. Mit der Selbstständigkeit kamen das Selbstvertrauen und die Fähigkeit, Konflikte auszuhalten und zu lösen, anstatt wegzulaufen.

Martins Erfolg ist auch die Erfolgsgeschichte eines Projektes, mit dem das LVR-HPH-Netz Niederrhein vor sechs Jahren Neuland betrat: In einem Appartementhaus in Bedburg-Hau werden Menschen mit geistiger Behinderung und extrem hohem sozialen Integrationsbedarf beim ambulant betreuten Wohnen unterstützt.

Ein mutiges Projekt, sagt Teamleiter Ralf Peters rückblickend. "Denn diejenigen, die hier eingezogen sind, kamen aus der Rundumversorgung und -betreuung eines geschlossenen Wohnbereichs." Das Vorgehen war gewagt, denn alle die einzogen, benötigten eine ganz besondere, sehr individuelle pädagogisch-therapeutische Unterstützung und Begleitung im Alltag, die auch in der ambulanten Betreuung im Appartementhaus sichergestellt werden musste. Mit Tag eins des Umzugs sollten sie auf eigenen Füßen stehen. Das war ein kompletter Wandel der Lebenssituation, "von Sonntag auf Montag war praktisch alles anders." Kein Wunder, dass die Zahl der Mitarbeiter im Haus anfangs um ein Drittel höher war als üblich. Aus diesem Grund klapperten Peters und sein Team die Nachbarschaften ab, um Aufklärungsarbeit zu leisten, denn "Unsicherheit entsteht meistens durch mangelndes Hintergrundwissen". Unendlich viele Gespräche hätten sie geführt - der Erfolg halte bis heute an.

Neun Appartements gibt es in dem modernen Haus, jedes rund 50 Quadratmeter groß. Acht sind zurzeit bewohnt, drei Frauen und fünf Männer zwischen 25 und 55 Jahren leben hier, die von acht Mitarbeitern unterstützt werden.

In den sogenannten Hilfeplangesprächen mit jedem einzelnen Bewohner werde festgelegt, wer was alleine mache und wo welche Unterstützung gebraucht werde. Der eine vielleicht bei der Hausarbeit, weil er dazu alleine keine Lust habe, der nächste bei Geldangelegenheiten und die Dritte brauche Begleitung in der Freizeit. Für die Mitarbeiter bedeute dies, dass es keine Arbeitszeiten von neun bis fünf gebe, sondern die Stunden den individuellen Bedürfnissen der Bewohner angepasst werden würden. Die Wochenplanungstafel für die Fachleistungsstunden sei ein kompliziertes Gebilde, schmunzelt Peters. Der Umzug aus dem geschützten Bereich, sagt Heilpädagoge Rainer Güdden, sei nicht nur für die Bewohner eine Umstellung gewesen, sondern auch für das Team: "Unsere Rolle hat sich verändert. Früher haben wir für die Menschen etwas gemacht, heute machen wir etwas mit ihnen." Aus der Fürsorge ist Kommunikation auf Augenhöhe geworden.

(RP)
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