Serie "Bauen & Wohnen" Viele Bürger investieren in Beton

Kleve · Auftakt-Gespräch mit Experten: Baugewerbe des Kreises ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. 2015 wurde ein Umsatz von mehr als 230 Millionen Euro erzielt, fast 7000 Menschen arbeiten hierzulande in der Branche.

 Andreas Henseler, Ralf Matenaer, Achim Zirwes, Hans-Josef Kuypers und Matthias Grass im Gespräch (v.l.).

Andreas Henseler, Ralf Matenaer, Achim Zirwes, Hans-Josef Kuypers und Matthias Grass im Gespräch (v.l.).

Foto: Stade, Klaus-Dieter (kds)

Mehr als 230 Millionen Euro setzte das Baugewerbe des Kreises Kleve vergangenes Jahr um, fast 7000 Menschen arbeiten in der Baubranche. Das sind knapp über sieben Prozent aller 97.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Kreis Kleve. "Das Baugewerbe ist für den Kreis Kleve ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor", sagt Dr. Andreas Henseler von der Niederrheinische Industrie und Handelskammer, Leiter der Zweigstelle Kleve. Und der Bau boomt. Mit anderen Worten: Dem Baugewerbe geht es derzeit gut. Die Zinsen sind niedrig, viele investieren in Beton, sagt Ralf Matenaer aus Till. Der Dachdecker ist Kreishandwerksmeister. Auch Achim Zirwes, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, bestätigt die gute Auftragslage. Vor allem der Wohnungsbau ziehe an, erklärt Zirwes. In vielen Städten des Kreises Kleve sind bezahlbare kleine Wohnungen ein knappes Gut.

Sorge um die Zukunft des Bauhandwerks haben weder Kreishandwerksmeister noch Kammer oder Kreishandwerkerschaft. Henseler mahnt außerdem noch den dringend nötigen Ausbau der Infrastruktur an, der zusätzliche Aufträge für die Tiefbauunternehmen bringen werde. "Da ist die öffentliche Hand in der Pflicht", sagt er. Hätte die staatliche Investitionsquote in den 1970er Jahren noch bei 18 Prozent gelegen, seien es derzeit nur noch rund neun Prozent.

Mit Spannung warten alle auf die neuen Landes- und Gebietsentwicklungspläne, die festlegen, wo Wohnungs-, wo Gewerbebau stattfinden kann. Henseler erwartet, dass es auch außerhalb der Städte ausgewiesene Gewerbeflächen geben muss. " "Auch in den Orten müssen Betriebe künftig noch wachsen können." Ein gegenläufiger Trend in der Landesplanung wäre nicht förderlich für eine wirtschaftliche Entwicklung. Wirtschaftliche Vorteile habe das hiesige Handwerk auch durch die nahen Rohstoffe, die in den Kiesgruben gefördert werden.

Beim Wohnungsbau hatte Bundesbauministerin Barbara Hendricks jüngst auf einer Podiumsdiskussion in Kleve größere Baugebiete in kleinen Orten abgelehnt und die Innenverdichtung gepriesen. "Nachverdichtung ist eine gute Entwicklung", sagt auch Kreiswirtschaftsförderer Hans-Josef Kuypers. Aber: Es müsse weiter möglich sein, dass Kinder in ihrem Heimatdorf bauen können. Für die Dörfer sei es ebenso wichtig, dass dort die Nahversorgung überlebt. "Es würde sonst schwierig, die Menschen dort zu halten", kommentierte Kuypers. Kammer und Wirtschaftsförderer sind sich auch einig, dass großflächiger Einzelhandel nicht an den Rand der Kommunen gehört.

Der große Motor für das Baugewerbe ist derzeit der private Wohnungsbau. Hier gebe es deutlich mehr Aufträge fürs Baugewerbe, erklärt Zirwes: Sanieren, Aus- und Umbauen schlage da kreisweit ebenso zu Buche wie Neubauten. Das sieht auch Matenaer so: Gerade im Zuge der energetischen Verbesserung von Altbauten habe man viele Aufträge. "Das sehe ich doch auch als Dachdecker: Ganz viele neue Dächer sind fällig, weil der Bau gedämmt werden muss". Probleme mit den neuen Energie-Auflagen für den Bau sehen Zirwes und Matenaer nicht wirklich. "Ja. Das Bauen ist teuerer geworden. Aber blickt man auf die Zuschüsse und die geringeren Energiekosten, dann hat sich das bald amortisiert", sagt Matenaer. Schwierig wird es erst, wenn die Zinsen wieder anziehen. Im Kreis Kleve verzeichne man im Baugewerbe unterschiedliche Entwicklungen, sagt Kuypers: je weiter man in den Süden komme, desto mehr ziehe der Ballungsraum Rhein-Ruhr und wirke sich beispielsweise auf die Grundstückspreise aus. Der Trend, dass Niederländer im Norden ihre Häuschen diesseits der Grenze suchen, sei rückläufig. Einen Sonderstatus nimmt die Kreisstadt ein, in der wegen der Hochschule kleine Studentenwohnungen Mangelware sind.

Probleme hat das Baugewerbe an ganz anderer Stelle: Es fehlt Nachwuchs. "Daran müssen wir dringend arbeiten", erklärt Matenaer. Allgemeines Kopfnicken: Die Berufsaussichten seien blendend, die Einkommen je nach Handwerk besser, als die mancher Akademiker, ein Meister sei hoch angesehen. Ob Flüchtlinge die Lücken auffüllen können, ist Matenaer skeptisch. "Wir müssen den Elternhäusern klar machen, dass das Handwerk gute, kreative Arbeit bietet", sagt Zirwes. Und mit Blick auf die 700 Betriebe im Kreis, die bis 2020 keinen Nachfolger haben und 11.000 Arbeitnehmer beschäftigen, biete auch das Handwerk nach Ansicht der Kreis Klever Wirtschaftsförderung enorme Aufstiegschancen. "Diese werden auch bei unserer Veranstaltung Unternehmensnachfolge am 1. Juni in Emmerich deutlich", sagt Hans-Josef Kuypers.

VON MATTHIAS GRASS

(RP)
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