Serie "Bauen & Wohnen" Unsere Städte stehen vor großen Herausforderungen

Kleve · Dr. Barbara Hendricks ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in Berlin. Im Interview spricht sie über Wohnungsbau und die Zukunftschancen der Region, die ihre Heimat ist.

 Barbara Hendricks bei einer Diskussion in Kleve.

Barbara Hendricks bei einer Diskussion in Kleve.

Foto: Evers

Frau Hendricks, in den Kommunen auch im Kreis Kleve wurden zu wenige Wohnungen mit günstigen Mieten gebaut. Sie haben jetzt Fördermöglichkeiten aufgelegt, die die Länderförderung erweitern. Hat der Kreis Kleve davon profitiert?

Barbara Hendricks In der Tat haben wir die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in diesem Jahr verdoppelt. Wir stellen den Ländern jetzt jährlich über eine Milliarde Euro dafür zur Verfügung. Das ist wichtig, damit auch Menschen mit kleinem Geldbeutel weiter in den Boomregionen wohnen können. Auch Kleve kommt das zugute. Allein in diesem Jahr wurden bereits 500 Anträge für neue Sozialwohnungen gestellt. Aktuell gibt es 1350 Wohnungen in der Stadt und 4800 im Kreis Kleve, und es werden jährlich mehr.

Sie haben mit Blick auf den "sozialen", den öffentlich geförderten Wohnungsbau und die Quartiersentwicklung in den Städten von "Nachbarschaften" gesprochen, die geschaffen werden müssen. Wie sollten diese Nachbarschaften aussehen?

Hendricks Ich habe den Begriff Nachbarschaften bewusst gewählt. Nachbarschaften bedeuten Begegnung, soziales Miteinander und ein gutes Zusammenleben - Tür an Tür. Dort, in den Quartieren und Kiezen, im Veedel entscheidet sich, ob Nachbarschaften funktionieren. Für ein gutes Zusammenleben und gelingende Nachbarschaften ist es daher wichtig, dass wir alle dafür sorgen, dass unsere Städte und Quartiere vernünftig durchmischt und lebenswert für alle sind und bleiben.

Solche Quartiere sollen eine Grundqualität haben, um eben nicht zum späteren Brennpunkt zu werden. Worauf müssen die Kommunen achten, um diese Qualität einhalten zu können und langfristig diese neuen guten Nachbarschaften zu sichern?

Hendricks Unsere Städte und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen. Strukturwandel, Zuwanderung und Klimawandel beeinflussen heute die Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik. Die Gemeinden müssen Stadtteile unterstützen, die abzurutschen drohen. Hier können wir von Bundesseite mit dem Programm "Soziale Stadt" helfen, um Quartiere lebenswert zu halten und zu gestalten. Dazu braucht es vor allem Qualität beim Wohnraum, im Wohnumfeld und in der Infrastruktur. Wir unterstützen die Kommunen, indem sie zum Beispiel Stadtteilzentren, Grünanlagen, Freizeit- und Bildungseinrichtungen schaffen können. Wir helfen außerdem dabei, dass bezahlbarer Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen, vor allem für einkommensschwächere Haushalte, geschaffen wird.

In der Diskussion in der Klever Stadthalle rieten sie davon ab, bei kleinen Ortschaften im Kreis weiterhin auf große Baugebiete zu setzen. Warum?

Hendricks Wir dürfen die Augen vor den Entwicklungen nicht verschließen: Viele Menschen ziehen aus den Dörfern weg, nicht nur junge, auch viele ältere Menschen wollen dahin, wo ihre Kinder wohnen, wo sie Gesellschaft haben - wo was los ist. In einigen Orten ist die Vermarktung von Häusern bereits jetzt nicht mehr möglich. Wir sollten hier keine falschen Illusionen wecken. Da macht es natürlich keinen Sinn, noch große neue Baugebiete auf den Dörfern auszuweisen. Besser ist es doch, die vorhandene Struktur zu verdichten und damit zu stärken und lebenswert zu machen.

Was ist mit den Bauernhöfen, in denen oft nur noch eine Person lebt?

Hendricks Bauernhöfe und andere große Immobilien waren oft als Altersvorsorge gedacht. Doch die Jungen ziehen fort und die Eltern bleiben alleine "auf dem Land" zurück. Die Witwe kann den Hof dann nicht mehr unterhalten. Unter Umständen wäre die Frau dann in einem anderen Quartier besser aufgehoben - aber Hofgebäude lassen sich nur schwer oder gar nicht veräußern. Funktionierende Gemeinschaften und Familien können hier manchmal helfen, leider aber nicht immer. In große Bauernhäuser kann man bis zu drei Wohnungen einbauen, auch das wäre eine Möglichkeit.

Einzelne Bauvorhaben sollten aber weiter möglich sein - wenn beispielsweise der Nachwuchs in der Nähe der Eltern bauen möchte?

Hendricks Natürlich, das stärkt ja wieder die Gemeinschaft und das soziale Miteinander. Hier können die Gemeinden durch ihre Bauleitplanung die Voraussetzungen schaffen, dass Vorhaben planungsrechtlich zulässig sind. Die geordnete städtebauliche Entwicklung muss aber sichergestellt bleiben, sonst gibt es Kraut und Rüben, das hilft auch keinem weiter.

Das gleiche Dilemma haben auch Gewerbebetriebe, wenn sie erweitern wollen, der Gebietsentwicklungsplan - heute heißt das in NRW "Regionalplan" - aber keine weiteren Flächen vorsieht, das trifft dann vor allem Familienbetriebe. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Hendricks Die übergeordneten Ziele der Raumordnung im Regionalplan sind bindend. Bei der Aufstellung des Regionalplans werden die Gemeinden aber beteiligt und ihre Belange berücksichtigt. Kann die Gemeinde durch Ziele der Regionalplanung keine neuen Gewerbegebiete ausweisen oder bestehende erweitern, ist grundsätzlich eine Änderung der regionalplanerischen Vorgaben denkbar.

Wie sehen Sie die Zukunft des Kreises Kleve und ihrer Heimatstadt Kleve - der Kreis Kleve gehört ja zu den wenigen Land-Kreisen in NRW, die noch wachsen?

Hendricks Wir stehen in Kleve schon heute sehr gut da, und die Zukunft bleibt spannend. Kleve wird immer jünger und internationaler. Hier ist der Knotenpunkt, der die Rhein-Ruhr-Region mit den niederländischen Wirtschaftszentren Nijmegen und Arnhem verbindet. Unser Aushängeschild ist die Hochschule, ein Magnet für den ganzen Kreis. Wir müssen die Herausforderung annehmen, diese gut ausgebildeten und jungen Menschen, die zu uns kommen, im Kreis zu halten und gleichzeitig den Alteingesessenen ihre Heimat zu bewahren und zu stärken. Wir müssen uns als regionales Zentrum mit internationalem Flair weiter entwickeln, unsere lebendige Kulturszene bewahren und ausbauen, das städtische Flair mit lebendiger Mischung und Verdichtung noch attraktiver machen und unsere liebenswerten Veedel erhalten. Dann wird mir um meine Heimatstadt nicht bange.

Eine letzte Frage: Wie würde ihr Traumhaus aussehen - frei nach Tucholsky vorn der Kermisdal, hinten die Friedrichstraße, mit schöner Aussicht ...

Hendricks Ich habe das große Glück, dass ich seit 30 Jahren in meinem Traumhaus wohne. Hier in Kleve, in einem landestypischen Haus zu Füßen der Schwanenburg mit Blick in den Park und auf den Kermisdahl.

Danke für das Gespräch.

MATTHIAS GRASS STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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