Kleve Trauer um Künstler Waldemar Kuhn

Kleve · Der Schöpfer des bekannten Schrottkreuzes in Emmerich ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Am Niederrhein wirkte der Bildhauer ab 1950 zwei Jahrzehnte lang und hinterließ dort viele Spuren. Auch in Kleve. Ein Nachruf.

 Vor fast genau fünf Jahren kehrte Waldemar Kuhn für einen Dokumentarfilm über seine Arbeit in die Heilig-Geist-Kirche nach Emmerich zurück.

Vor fast genau fünf Jahren kehrte Waldemar Kuhn für einen Dokumentarfilm über seine Arbeit in die Heilig-Geist-Kirche nach Emmerich zurück.

Foto: Andreas Endermann

Kunst muss nicht immer nur gefallen. Kunst kann bewegen, provozieren, zum Nachdenken anregen. Nur wenige Künstler am Niederrhein haben das besser gewusst und umgesetzt als Waldemar Kuhn. Der Bildhauer, Jahrgang 1923, lebte und arbeitete von 1950 bis 1970 am Niederrhein. Jetzt ist er nach längerer Krankheit im Alter von 92 Jahren in seiner fränkischen Heimat gestorben.

Kuhn hatte nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft 1948 in Köln und später in München Bildhauerei studiert. 1950 verschlug es den großen, kräftigen Mann mit den dunklen, langen Haaren nach Emmerich. Von dort aus machte er sich am gesamten Niederrhein vor allem mit Arbeiten an Kirchen einen Namen. In Kleve etwa ist in der Alten Kirche Kellen ein Willibrordarmreliquiar von ihm zu finden. Auch der Korpus des Altarkreuzes stammt von ihm. Und das Kirchenportal am Westturm, das Schöpfung, Sündenfall und Erlösung zeigt, ist ebenfalls ein Kuhn-Werk.

Seine bedeutendste Arbeit entstand jedoch 1966 in Emmerich: das Schrottkreuz von Heilig-Geist. Das Kreuz, das so viel anders war, als man es von Kirchenkunst erwarten durfte, provozierte. Es war eine klare Aussage über eine Stadt, die im Krieg zerstört wurde. Es drückte Schmerz aus, zeigte den Wiederaufbau, aber auch die Geschichte, die zum Unheil führte. Keines seiner Werke war von solcher Wucht.

Als Kuhn vor fast genau fünf Jahren für einen Dokumentarfilm nach Emmerich zurückgekehrt war, sagte er der RP, dass es sein wichtigstes Werk war. Wie es zustande kam, wie er es plante, wie er immer wieder mit Wachsmodellen experimentierte, um eine fast organisch wirkende Form zu schaffen - all das wusste er noch bis ins Detail.

Was das Kreuz aussagen soll, wollte er jedoch eher dem Betrachter überlassen. Nur so viel: "Ich bin ein Kind des Zweiten Weltkriegs. Ich habe versucht, Antworten auf Fragen zu geben, die vielleicht nicht gestellt wurden, aber in der Luft hingen."

Waldemar Kuhn war aber nicht nur selbst Künstler, sondern auch Freund vieler Kunstschaffenden. So wurde er zum Förderer und Unterstützer der US-amerikanischen Hippie-Band Sweet Smoke, die 1969 auf ihrem Weg nach Amsterdam in Emmerich strandete. Kuhn verschaffte ihr eine Bleibe und wurde ihr Manager. Mit ihrem 1970 aufgenommenen Album "Just a Poke" gelangte sie zu Weltruhm.

Der Freigeist Kuhn, der sich in keine Schublade stecken lassen wollte, war manchmal unbequem wie seine Kunst und eckte damit oft an - bis er schließlich entnervt Emmerich verließ. "Ich bin regelrecht geflohen", erzählte Waldemar Kuhn einmal.

Kuhn zog nach Süddeutschland und arbeitete dort weiter. Sein Entwurf für das Holocaust-Mahnmal in Berlin landete von 500 eingereichten Vorschlägen auf Platz 14 - eine der größten Enttäuschungen seiner Künstlerlaufbahn, wie er einräumte. Auch von Schicksalsschlägen blieb er nicht verschont: Im Jahr 2006 starben seine Frau und zwei seiner Söhne innerhalb von drei Monaten.

Die Verbitterung über Emmerich war jedoch über die Jahre gewichen. Als in Heilig-Geist das 40-jährige Bestehen gefeiert wurde, war Kuhn ein Gast, der mit viel Applaus empfangen wurde. Eine späte Anerkennung seiner Leistungen für die Stadt und ihre Kirchen. Und für ein Kunstwerk, das wie kein anderes zu Emmerich passt. Einem Ort, der einmal zu mehr als 90 Prozent zerstört war.

(RP)
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