Lokalsport Der 100 Kilometer lange Lauf zur Goldmedaille
Kleve · Karl Graf nahm in St. Leon-Rot an den Deutschen Meisterschaften teil. Zum ersten Mal blieb der Pfalzdorfer über 100 Kilometer unter neun Stunden. Es war nahezu eine Punktlandung. 8:59,33 Stunden benötigte er und holte sich den DM-Titel in der Altersklasse M 65.
Wenn man einen Ultra-Langstreckler beschreiben müsste, dann entstünde dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bild, das Züge des Pfalzdorfers Karl Graf trüge. Was hat der Kilometermann in seinem Leben nicht alles erfolgreich hinter sich gebracht? Und dabei wollen wir die gesundheitlichen Grenzerfahrungen, die Graf leider auch bewältigen musste, bewusst nur am Rande streifen. Obwohl die überstandene Lähmung nach einem Arbeitsunfall und der vor fünf Jahren erfolgreich behandelte Hirntumor vieles von dem erklären könnte, was Graf danach bis auf den heutigen Tag an sportlichen Herausforderungen gemeistert hat.
Von Lissabon ist er in Etappen bis nach Moskau gelaufen, hat den Rheinsteig non-stop bewältigt und die Insel Texel vor der niederländischen Küste umrundet. Zudem verewigte er sich im Guinness-Buch der Weltrekorde mit 240 Kilometern in 24 Stunden, bestritt andere Ultra-Läufe jenseits der Marathondistanz und dazu sehr viele andere Wettkämpfe kürzerer Länge.
Vielleicht wäre er auch bei den Bahn-Meisterschaften am Sonntag in Weeze aufgekreuzt. Schließlich hätte er es von seinem Haus am Pfalzdorfer Sportplatz bis ins Weezer Sportzentrum nicht weit gehabt. Am Anreiseweg konnte seine Abstinenz also nicht gelegen haben, auch nicht am Aschenbelag der Rundbahn - Graf ist diesbezüglich von eher genügsamer Natur. Der Grund war ein anderer und erschließt sich dem Leser beim Betrachten des nebenstehendes Bildes schnell. Denn an dem Band in den Nationalfarben baumelt eine Goldmedaille mit der Gravur des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Bis zum Gewinn dieser Medaille muss sich der Leser auf einen weiten Weg einlassen. So wie es der 65-jährige Pfalzdorfer vor drei Tagen im Rahmen der Deutschen Meisterschaften auch getan hat. 100 Kilometer waren es genau, amtlich protokolliert und aufgeteilt in 25 Runden zu je fünf Kilometern. Start und Ziel lagen in St. Leon-Rot, einem kleinen Städtchen im Kraichgau unweit des Hockenheimrings und der Hoffenheimer Fußballarena.
Sehr früh am Morgen war die Nacht für den Pfalzdorfer und weitere 120 Läufer zu Ende. Es wurde ernst. Deutsche Meisterschaften haben ihre eigenen Abläufe. "Die Regularien waren streng", sagte Graf. "Die Verpflegungszone musste genau eingehalten werden. Zudem durften die Betreuer die Wasserflaschen nur anreichen, keinesfalls auch nur einen Schritt mitlaufen." Auch andere Vergehen wie das kurzzeitige Verlassen der Bahn führten zur Disqualifikation.
Für Graf und die meisten Mitstreiter war das kein Neuland. Der Pfalzdorfer hatte im vergangenen Jahr schon die DM in Husum mitgemacht und war da in der Altersklasse M 60 sogar der Schnellste. In diesem Jahr gehörte Graf erstmalig der "M 65" an. Ein Aufstieg? Jedenfalls eine erste Gelegenheit, der neuen Konkurrenz zu zeigen, wo ab jetzt in dieser Altersklasse der "Barthel den Most" holt. Graf war dafür gerüstet. Dennoch kribbelte es. Die Anspannung übertrug sich auf seinen Finger, der beim Start die Uhr am Handgelenk auslösen sollte. Die Stimmung aber war gut.
Auf die Plätze, fertig - der Startschuss brachte das Feld in Bewegung, die Uhr tickte. Jeder Aktive suchte seinen Rhythmus. Grafs Fünf-Kilometer-Zeiten pendelten sich zunächst bei 24 Minuten ein - mal etwas darüber, dann wieder darunter. Grob gesagt um die fünf Minuten je Kilometer. Ein wunderbarer Schnitt.
"Das Wetter war zunächst angenehm", brachte Graf die äußeren Bedingungen ins Spiel. Später frischte der Wind auf. "Das zehrte an den Kräften, nur der Wille trug mich weiter", bekannte Graf, der sich des gleichnamigen Titels seines Buches erinnerte. Die Fünfer-Zeiten wurden langsamer, der Kilometerschnitt näherte sich den sechs Minuten, lag kurzzeitig bei 6:30.
Doch mit der Durststrecke zwischen Kilometer 50 und 75, fast unvermeidlich bei so einer Distanz, wurde Graf fertig. Ein Ultra-Langstreckler weiß eben um die Charakteristika eines solchen Wettkampfs und denkt nicht gleich daran, die Reißleine zu ziehen. Graf biss, kratzte die Kilometer herunter. Motiviert vielleicht auch durch seine Ehefrau Hannie, die wie so oft die Betreuung an der Strecke übernahm. Irgendwo bei Kilometer 85 fiel es Graf dann wieder leichter, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es gelang ihm, einen Zipfel dieses besonderen Flows eines Ultralaufs zu erwischen. Und der sollte ihn schließlich zu einer neuen Bestzeit tragen.
Zum ersten Mal leuchtete für Graf nach 100 Kilometern die Acht vorne auf: 8:59,33 Stunden. Eine Punktlandung. Der Lohn dafür war der Gewinn der Deutschen Meisterschaft in der Altersklasse M 65.