Kranenburg-Grafwegen Rettende Engel an der Grenze

Kranenburg-Grafwegen · Hörstein in Grafwegen enthüllt. Er ehrt Menschen, die Juden unter Lebensgefahr zur Flucht verhalfen.

Der Hörstein 93 unmittelbar am Zufahrtsweg zum 1972 abgerissenen Forsthaus Nergena-Süd gibt sich in Form, Anlage und geschichtlichem Hintergrund anders als wohl die meisten Findlinge, die zum Thema "70 Jahre Frieden" den hart erkämpften Weg der Alliierten in den letzten elf Monaten des Zweiten Weltkrieges zur Befreiung Westeuropas markieren.

Dieser Stein ist kantiger, steht senkrecht, arg versteckt, als wolle er nicht auffallen. Damit symbolisiert er treffend, dass aufrechte und mutige Menschen beiderseits der Grenze einst unter Lebensgefahr in Deutschland verfolgten jüdischen Mitbürgern im Schutz der Dunkelheit heimlich die verbotene Flucht in die damals neutralen Niederlande ermöglichten.

Die am Stein befestigte Infotafel erinnert daran, dass die Liberation Route aus ganz anderen Gründen 1938/39 von der Reichskristallnacht bis zum Kriegsbeginn in Gegenrichtung lief. In der Mitte sieht man die Porträts des Ehepaares Henk und Maria Kerkhoff, die am Hogewaldseweg eine Landwirtschaft führten. Sie nahmen auf ihrem Hof die von der Försterfrau Luise Rausch und anfangs von ihrer Tochter Else quer übers Feld und den Stacheldraht-Grenzzaun gebrachten Juden, die als Gäste in der Pension der Frau Rausch weilten, in Empfang und sorgten möglichst schnell über Bredeweg und Groesbeek für deren Weiterfahrt ins Innere oder in die Hafenstädte. Alles musste zügig und unauffällig erfolgen, die Niederlande schickten jeden Juden wieder sofort ins Reich zurück.

Kein Name wurde notiert, so dass es nach 1945 keinerlei Kontakte mehr mit den Emigranten gab. Schon 2013 wurde der Helfer auf Initiative der Airborne Vrienden Groesbeek ehrenvoll gedacht. Die Hörszene schildert einen dieser gefährlichen Grenzgänge, die damals achtjährige Tochter will mehr über den Besuch wissen, wird aber schnell ins Bett geschickt.

Der "Judenschmuggel" der Frau Rausch flog im Sommer 1939 auf. Sie wurde verhaftet, kahl geschoren, eine Woche in der Schwanenburg Kleve inhaftiert und dann wieder heimgeschickt. Warum fehlt ihr Bild auf dem Stein? Ihr Mann, der von ihrer Nebentätigkeit nichts wusste, wurde zum 31. August 1939 nach Krefeld in eine andere Behörde strafversetzt. Dort starb er im Februar 1940 mit 63 Jahren.

Forst und Gemeinde haben dem Hörstein ein schlichtes, ansprechendes Ambiente gegeben. Diese Erdaufschüttung unmittelbar neben der Straße säumt den ganzen Waldrand. Er ist ein Relikt des Ersten Weltkrieges, angelegt (wie die Feldschmiede unweit vom Parkplatz "Goldenes Kalb") von kaiserlichen Truppen, die einen englischen Vorstoß durch die Niederlande befürchteten. Monate lang lag die kleine Ortschaft 1944/45 nach der alliierten Luftlandung im Frontgebiet und wurde fast völlig zerstört.

Die Enthüllung des Steins nahm Bürgermeister Günter Steins zusammen mit Ortsvorsteher Hubert Zillig, Cees Pot vom Bevrijdingsmuseum, der erwähnten Kerkhoff-Tochter Nelly van Raay und der Förster-Enkelin Annemarie Rausch vor. Der Kranenburger Musikverein sorgte beim "Tag der Begegnung" zwischen den zahlreichen Menschen von hüben und drüben für den guten Ton.

(RP)
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