Warten vor Ausländerbehörde in Kleve "So habe ich mir Deutschland nicht vorgestellt"

Um einen Termin bei der Ausländerbehörde in Kleve zu bekommen, müssen Flüchtlinge und Studenten stundenlang warten. Einige verbringen die ganze Nacht in einem Warteraum. Helfer und Journalisten müssen draußen bleiben.

Die Hausnummer 81 steht mit Kreide auf die rote Backsteinmauer geschrieben. Hier befindet sich seit einigen Monaten der Warteraum der Ausländerbehörde des Kreises Kleve. Noch dämmert es nicht, ein Scheinwerfer beleuchtet das provisorische Schild mit den Öffnungszeiten. Vor der Tür steht Himel Barman und raucht. Mit zitternden Fingern führt der 25-Jährige die Zigarette zum Mund, zieht hastig, die andere Hand in der Tasche seiner Jeans vergraben.

Wenn er heute keinen Termin bekommt, hat er ein Problem. Ende der Woche läuft sein Visum aus, das er für sein Studium in Maschinenbau braucht. Bekommt er kein neues Visum, darf er nach dem geplanten Besuch bei seiner Familie seinen Rückflug nicht antreten. Dann kostet ihn das etwa 700 Euro und weitere Behördengänge, damit er zurück nach Deutschland kommen darf.

Darum hat sich Himel Barman gegen Mitternacht in den Warteraum der Ausländerbehörde gesetzt. Flüchtlinge und Studenten aus Nicht-EU-Ländern kommen hierher, um eine Nummer zu ziehen. Sie hoffen, ab acht Uhr einen Termin im Amt zu bekommen, um Unterlagen einzureichen oder Stempel abzuholen. Wer um fünf oder sechs Uhr kommt, sagt Barman, der ist zu spät dran.

Vergangene Woche mussten die Menschen noch draußen warten. Ab drei Uhr morgens bildete sich eine Schlange, die über die Auffahrt bis auf den Bürgersteig reichte. Bei Minusgraden warteten die Menschen bis zu zwölf Stunden auf einen Termin. Es fehlt an Personal und einem System für die Terminvergabe.

Seit Donnerstag öffnet der Warteraum schon um Mitternacht. Das bedeutet aber, dass sich viele hier die Nacht um die Ohren schlagen. Etwa 50 Leute haben sich Schlafsäcke mitgebracht und auf den Boden gelegt, berichtet Himel Barman. Sicherheitsleute vor Ort verwehren Journalisten den Zutritt zum Gebäude.

Kleve: Warten vor der Ausländerbehörde
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Warten vor der Ausländerbehörde in Kleve

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Foto: Markus van Offern

Barman war selbst schon oft bei der Behörde oder hat Freunde begleitet und beim Übersetzen geholfen. Denn viele Angestellte sprechen kaum Englisch, sagt Barman. Der 25-Jährige lebt seit zwei Jahren in Kleve, studiert an der Hochschule Rhein-Waal. Online oder per Telefon einen Termin ausmachen zu können, selbst zwei oder drei Monate im Voraus, das würde ihm reichen. "So habe ich mir Behörden in Deutschland ehrlich gesagt nicht vorgestellt", sagt Barman. "In Bangladesch muss man zwar auch warten, aber nicht mitten in der Nacht."

Um kurz vor fünf fährt ein silberner Kombi über den Kiesboden vor dem Backsteinhaus. Es sind Roland Katzy und Helmut Büttner, beide Integrationslotsen der Awo. Sie haben von den langen Schlangen und den frierenden Menschen gehört und wollen helfen — mit heißem Tee und Kaffee. Angekündigt haben sich die Helfer nicht. "Hier darf man nicht vorher fragen", sagt Büttner. "Sonst wird das nichts." Doch der Sicherheitsmann wimmelt ab, sie dürfen nicht in den Warteraum. Stattdessen bauen Katzy und Büttner Getränke und Gebäck im Kofferraum des Autos auf. Wer etwas Heißes trinken möchte, muss nach draußen kommen.

Jürgen Platz nimmt einen Pappbecher mit Kaffee entgegen. Auf dem Arm trägt er seinen Sohn Maximiliano. Seine Frau, Venezolanerin, wartet drinnen. Platz wusste nicht, dass der Warteraum schon ab Mitternacht öffnet. "Auf der Internetseite stand nichts", sagt er. Also hat er die Nummer 43 gezogen und ist sich nicht sicher, ob er heute auch einen Termin bekommt.

Jürgen Platz fürchtet vor allem die Zeit: Denn die Deadline, um das Visum seiner Frau zu verlängern, ist mittlerweile abgelaufen. Schon zum sechsten oder siebten Mal ist er mit Frau und Kind hier, vier Stunden Warten seien das Minimum. "Eine Tortur mit dem kleinen Mann", sagt er und schaut seinen Sohn an. Für die Behördengänge muss sich der Architekt jedes Mal freinehmen.

Vor wenigen Monaten ist Platz mit seiner kleinen Familie von Köln nach Kleve gezogen. "Die Stadt ist so toll", sagt er. "Aber wir sind fassungslos über die Art und Weise, wie hier mit den Leuten umgegangen wird. Und fassungslos darüber, wie viel Zeit es uns kostet, ein klares Ding zu erledigen — nämlich den Familiennachzug nach Artikel 28 Aufenthaltsgesetz."

Zumindest für die Studenten der Hochschule Rhein-Waal könnte es einfacher werden: Die Ausländerbehörde soll nun jeden Mittwoch von 10 bis 15 Uhr ausschließlich für die Studierenden geöffnet sein. Das Welcome Center soll die Anliegen vorab sammeln und an das Amt übermitteln.

Ab Donnerstag sollen zudem alle möglichen Termine eines Tages nach einem Zufallsprinzip unter den um 7 Uhr Wartenden vergeben werden, teilte der Kreis Kleve mit. Der Wartebereich soll dann erst um 6 Uhr geöffnet werden. "Wir wissen, dass dieser Ansatz ungewöhnlich und nicht unproblematisch ist", hieß es in einer Mitteilung. Da die Änderung aber kurzfristig umsetzbar sei, habe man sich dafür entschieden. Gleichzeitig werde weiter an einer dauerhaften Verbesserung der Personal- und Terminvergabesituation gearbeitet. Beide Maßnahmen könnten die Situation an der Nassauerallee entschärfen.

Für Himel Barman könnte das schon zu spät sein. Er will nun jede Nacht in dem Warteraum verbringen, bis er einen Termin für sein Visum bekommt.

Um halb sieben dämmert es und ein Mann verlässt hastig das Backsteingebäude mit der Nummer 81. Alle Nummern weg, sagt er, steigt in sein Auto mit dem Logo einer Pizzeria in Kleve und fährt davon.

(veke)
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