Kleve Holländisch-deutsches Drama im Klever Literaturherbst

Kleve · Andris ist Stan ein guter Vater, er liebt ihn, obwohl er nicht sein leiblicher Vater ist. Marlena, seine polnische Frau, geht aber zurück nach Polen, nimmt den Sohn mit und sagt ihrem Mann am Telefon: "Ich will nicht mehr, dass du sein Vater bist." Andris empfindet in diesem Moment, dass "sein Leben dem Erdboden gleichgemacht wird". Der achtjährige Stan reagiert auf die Trennung in seiner Ohnmacht damit, fortan nicht mehr zu sprechen.

Dies ist eine der sehr starken Szenen aus dem Roman "Ein Brautkleid aus Warschau", das zum Abschluss des niederländischen Literaturherbst des WDR im Klever Museum Kurhaus vorgestellt wurde. Als letzter Gast von Ludger Kazmierczak, WDR-Redakteur und Organisator der Reihe, las die niederländische Theaterautorin Lot Vekemanns aus ihrem Prosadebüt.

"Als ich dieses Buch gelesen hatte, war mir klar, dass es ein Höhepunkt unserer Reihe sein wird", sagt Kazmierzak. Und er hatte nicht zu viel versprochen, das Publikum in der voll besetzten Wandelhalle des Museum Kurhaus hörte gespannt, wie die Autorin ihre Figuren sprechen und ihre Geschichten erzählen ließ.

"Warum eigentlich handeln die Personen ihres Romans so und nicht anders?", fragte Kazmierczak zwischen den Lesungsteilen im Gespräch mit der Autorin. "Ich weiß es ehrlich nicht", so die verblüffende Antwort von Lot Vekemans. Die Zuhörer horchten auf. Allmählich wurde deutlich, wie die Autorin zunächst mit einer Frage an ihre Figuren herangeht.

"Warum spricht dein Kind nicht mehr?", frage sie Marlena und versetze sich ganz und gar in die Person und ihre Lebenssituation und entwickele so deren Verhalten. Sie lerne, berichtet Vekemans, ihre Figuren im Laufe des Romans immer mehr kennen.

Die Autorin, die zwar sehr gut Deutsch spricht, las mit niederländischem Akzent. "Das ist das Charmante an unserer Reihe", betont Kazmierczak, "dass alle Autoren die deutsche Übersetzung ihres Werkes selbst lesen mit ihrem Akzent." Wie Lot Vekemans erklärt, sei das Lesen der Übersetzung auch hilfreich, weil es ihr einen gewissen Abstand verschaffe. "Im Niederländischen bin ich zu nah dran", sagt sie. Wie die Geschichte ausgeht, ob Stan seinen Vater wiedersieht und ob er wohl wieder zu sprechen beginnt, erfährt das Publikum an diesem Abend nicht.

Ein Zusammenschnitt aller Lesungen des Literaturherbst im Kurhaus mit Saskia de Coster, Tommy Wieringa, Gerbrand Bakker und Lot Vekemans in der Sendung Ohrclip am 15. Oktober um 21 Uhr auf WDR 5.

(ath)
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