Kleve Hetzjagd auf die eigene Schwester

Kleve · Auf der Bundesstraße 220 bei Kleve starben zwei niederländische Motorradfahrer. Sie kamen bei einem Unfall ums Leben, weil eine 21-jährige Deutsch-Türkin mit dem Auto von ihrem Bruder über den Niederrhein gejagt wurde. Die Polizei spricht von einem "ganz schwierigen Umfeld".

 Tödliches Ende einer Menschenjagd: Zwei unbeteiligte niederländische Motorradfahrer starben, weil ein 20-jähriger Deutsch-Türke seine 21-jährige Schwester mit bis zu 140 Stundenkilometern durch Ortschaften und über Landstraßen jagte.

Tödliches Ende einer Menschenjagd: Zwei unbeteiligte niederländische Motorradfahrer starben, weil ein 20-jähriger Deutsch-Türke seine 21-jährige Schwester mit bis zu 140 Stundenkilometern durch Ortschaften und über Landstraßen jagte.

Foto: RP, Gottfried Evers

Es deutete zunächst alles auf einen Unfall hin, der überaus tragisch war, aber nicht ungewöhnlich: Eine 21-jährige Kleverin türkischer Herkunft war am vergangenen Sonntag nach einem Überholmanöver mit ihrem Auto auf die andere Fahrbahnseite gerutscht. Katastrophal war, dass sie direkt in eine Motorradgruppe hineinfuhr und zwei niederländische Kradfahrer im Alter von 57 und 44 Jahren in den Tod riss. Sie selbst wurde in ein Krankenhaus eingeliefert.

Die Unfallstelle bot ein Bild des Grauens. Weit verstreut lagen Teile der Motorräder herum. Die Kradfahrer aus dem Nachbarland waren zu dritt aus Richtung Emmerich unterwegs gewesen. Bei sommerlichen Temperaturen wollten sie bei ihrer Tour auch den Kreis Kleve erkunden. Heinz van Baal, Sprecher der Kreispolizeibehörde Kleve, sagte über den Unfall im Klever Ortsteil Warbeyen: "Wie sich die Situation darstellt, hatten die Motorradfahrer keine Chance."

Die Polizei hält sich, was die Hintergründe des tragischen Zusammenpralls betrifft, mehr als bedeckt und spricht lediglich von einem "frontalen Zusammenstoß der zwei Motorradfahrer mit einem entgegenkommenden Fahrzeug". Doch sind die Umstände, die zu den Toten auf der Bundesstraße 220 bei Kleve führten, alles — nur nicht alltäglich.

Von der Familie gejagt

Die 21-jährige Deutsch-Türkin befand sich nämlich auf der Flucht und wurde von der Familie gejagt. Mit laut Augenzeugenberichten etwa 140 Stundenkilometern soll die junge Frau auf der Bundesstraße unterwegs gewesen sein, wo Tempo 70 erlaubt ist. Der Mann, der sie mit einem Opel verfolgte, war ihr Bruder. Grund für die Flucht der jungen Frau war ein ganz simpler: Sie wollte einfach nur weg. Wohl auch weg von der Familie. Ziel soll Hamburg gewesen sein, wo sie bei Freunden unterkommen wollte.

Der ein Jahr jüngere Bruder hielt die Hetzjagd auf seine Schwester ohne Rücksicht auf Verluste knallhart durch. Selbst, als er die Verfolgung nur mit lebensgefährlichen Überholmanövern aufrechterhalten konnte. Kurz bevor es zu dem tragischen Unfall kam, hatte die 21-Jährige wieder ein Fahrzeug überholt und war gerade dabei, auf die rechte Fahrbahn zu wechseln.

Ihr Bruder raste hinter ihr her. Doch war offenbar die Lücke zwischen dem überholten Fahrzeug und dem des Bruders zu klein. Dadurch soll es zu einem Zusammenstoß zwischen den Wagen der Gejagten und ihres Bruders gekommen sein. Diese Kollision soll dafür gesorgt haben, dass die junge Kleverin die Kontrolle über ihr Auto verlor und in den Motorradpulk rutschte.

Der in dieser Situation überholte Autofahrer rettete sich, indem er seinen Wagen auf den Grünstreifen steuerte. Der dritte entgegenkommende Kradfahrer, der hinter seinen beiden Freunden herfuhr, blieb unverletzt, musste aber mit einem schweren Schock im Krankenhaus behandelt werden. Auf Augenzeugen hatte die Fahrt der jungen Frau und ihres Verfolgers so gewirkt, als ob sich die beiden eine Art "Rennen" lieferten. Polizeisprecher Heinz van Baal blieb auch gestern bei der offiziellen Version, die am Tag des Unglücks veröffentlicht wurde, ergänzte jedoch, dass man sich bei den Unfallverursachern in einem "ganz schwierigen Umfeld" bewege.

Zunächst, so van Baal, werde man das Gutachten abwarten, um gesicherte Erkenntnisse über den Unfallhergang zu erhalten. Auch die Klever Staatsanwaltschaft verwies auf die Stellungnahme des Sachverständigen. Man wolle erst wissen, was auf der Straße passiert sei, so der Klever Oberstaatsanwalt Johannes Hoppmann gegenüber unserer Zeitung. Keinerlei Hinweis gab es seitens der Staatsanwaltschaft, ob es zu dem Familienstreit kam, weil sich die 21-Jährige von der Familie lossagen wollte.

Die junge Frau wurde in ein Krankenhaus eingeliefert und dort von der Polizei bewacht. Ihr Bruder soll zunächst in Untersuchungshaft gewesen sein, befindet sich aber inzwischen wieder auf freiem Fuß. Seine Schwester ist möglicherweise weiter auf der Flucht vor der Familie: Sie habe das Krankenhaus mit unbekanntem Ziel verlassen, hieß es gestern Abend.

(RP)
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