Kleve Ein Klever im nächtlichen Berlin

Kleve · Der Zeichner und Autor Robert Nippoldt hat ein pompöses wie liebevolles Buch herausgebracht. Es greift seine Schau aus Kleve ebenso auf wie die Erfolgsserie Babylon Berlin.

Die Nacht ist schwarz und voller Lichter, sie strahlt und quirlt und funkelt. Nach der Katastrophe aus den Schützengräben gekrochen und die Hungerwinter so gerade überstanden, leben die Menschen im Hier und Jetzt als gäb's kein Morgen: der Erste Weltkrieg ist zu Ende, die Monarchie hinweggefegt in der Niederlage, die Weimarer Republik wird ausgerufen und Berlin ist für wenige Jahre eine Weltstadt der Kultur, der Revuen, aber auch der Prostitution und des Verbrechens.

Es ist eine Zeit der starken Frauen, aber auch der Mädchen, die in der Revuen mehr aus- als angezogen sind und nach Körbchengröße bezahlt werden. In Berlin gibt es auf 280 Einwohner ein Lokal - in New York sind es 433. Es ist die Zeit von Brecht, Benn, Kästner und Tucholsky, von George Groesz, Fritz Lang und Otto Dix, von Josefine Baker und Elly Beinhorb, Marlene Dietrich und Brigitte Helm, Clärenore Stinnes und Margarete von Wrangel.

Es ist die Zeit des Paso Double. des Conga und des Charleston. Die Nacht ist schwarz und voller Lichter auf den Zeichnungen von Robert Nippoldt, dessen Berlin Geschichte ist und zugleich lebendig: Sie alle sind auf seinen Bildern, die Baker und die Dietrich, Brecht, und Fritz Hollaender, das Kempinski und das Adlon, Brigitte Helm aus Metropolis und die Tänze. Für seine Revue "Ein rätselhafter Schimmer" bekam Robert Nippoldt in seiner Heimatstadt Kleve tosenden Beifall.

Jetzt hat er die so liebevoll gezeichneten, ernsten wie witzigen, lustigen wie erschreckenden Szenen aus dem Berlin der 20er Jahre in einen leinengebundenen Prachtband gegossen. Es sind eindringliche Bilder, die jene Leichtigkeit der Pinselführung haben, die bei Nippoldt auch live auf der Bühne so faszinierten. Nippoldts beim Taschen-Verlag erschienener Band mit dem Endlos-Titel "Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger" ist konsequent in Schwarz und im hellen Bronzeton "Champagner" gehalten.

Ein überraschender und spannender Bilderbogen aus 765 Zeichnungen. Die die Stadt überhaupt nicht beweihräuchernden Texte zur historischen, kulturellen, sozialen Situation Berlins hat Boris Pofalla geschrieben. Dazu stehen Kurzbiografien von 57 Persönlichkeiten, die die Zwanziger prägten. Berühmte wie die Dietrich, vergessene wie die vielen Revuestars oder die Salondame Betty Stern, durch deren spießiges Wohnzimmer alle Schauspieler und Regisseure, Literaten und Künstler der Zeit gingen.

Das Buch endet in den 1930er Jahren, im Untergang. Mit Hindenburg und Hitler und den Wegen der Emigration. Nippoldt und Pofalla haben ein hinter all dem Glitzer und Pomp, hinter der Prächtigkeit der Bilder kluges Buch geschrieben, das zu gucken, aber auch zu lesen lohnt. Es ist zudem das perfekte Begleitbuch zum Hype um die Serie "Babylon Berlin", auch wenn es nicht direkt dazu entstand. Ein Weihnachtsgeschenk auf den "letzten Drücker" ist es allemal.

Robert Nippoldt, Boris Pofalla: Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger. Taschen-Verlag, 49,99 Euro (mit einer CD der Lieder aus der Revue). Matthias Grass

(RP)
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