Kleve Die Wiese der Toten

Kleve · Der November ist ein eher ungemütlicher Monat. Dunkel, nasskalt, trüb - alles bestens geeignet für Schwermut oder sogar Trauer. Passend dazu gibt es in den kommenden Tagen zahlreiche Gelegenheiten, dem Ende alles Irdischen zu gedenken.

 Das Aschestreufeld auf dem Klever Friedhof. Hier wird seit 2004 anonym beerdigt.

Das Aschestreufeld auf dem Klever Friedhof. Hier wird seit 2004 anonym beerdigt.

Foto: Markus van Offern

Man nennt ihn nicht umsonst den Totenmonat. Ob am Volkstrauertag (immer am zweiten Sonntag vor dem 1. Advent), Allerseelen (2. November) oder Allerheiligen (1. November) - bei den Gedenktagen im November steht der Abschied aus dieser Welt im Vordergrund.

Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, dem heiligen Hubertus, Schützer der Jagd, am 3. November in einer nach ihm benannten Hubertusmesse ein ehrendes Gedenken bewahren. Doch ist es der christliche Feiertag Allerheiligen, der von besonderer Bedeutung ist - und dies in mehrerlei Hinsicht. So gedenken die Gläubigen morgen "aller ihrer Heiligen". In der katholischen Kirche stieg im Laufe der Jahrhunderte die Zahl der Heiligen stark an. Dadurch gibt es von ihnen wesentlich mehr als Tage im Jahr.Es ist unmöglich, jedem Gesegneten einen eigenen Tag zu widmen. Das Sammelfest für "alle Heiligen" wurde von Papst Gregor IV. um das Jahr 835 für die Westkirche auf den 1. November festgelegt.

Der Feiertag ist jedoch nicht allein den Heiliggesprochenen gewidmet, sondern auch der Menschen wird gedacht, die ganz ohne ein Wunder zu tun und unspektakulär ihren Glauben gelebt haben. Familien schmücken für diesen Feiertag die Gräber ihrer Verstorbenen. Ein Lichtermeer ist am Vorabend auf den Friedhöfen zu sehen. Doch wird es dort seit Jahren immer dunkler. Die Zahl der brennenden Kerzen nimmt ab. Grabreihen lichten sich, der Friedhof stirbt langsam. Ein Grund dafür ist: Die Beerdigungskultur hat sich grundlegend geändert. Die Angebotspalette, wie und wo der Dahingeschiedene seine letzte Ruhestätte findet, ist reichhaltig geworden und davon wird auch Gebrauch gemacht.

Auf dem Klever Friedhof kann man auf drei verschiedenen Wegen das Reich Gottes erreichen. Neben der klassischen Erdbestattung besteht die Möglichkeit zur Urnenbeisetzung oder Ascheverstreuung.

Umgeben von Bäumen liegt auf dem Gottesacker eine unscheinbare Rasenfläche. Sie ist 400 Quadratmeter groß. Auf dieser Wiese ist reichlich Platz für die verbrannten Toten, eine Obergrenze gibt es nicht. Anonym, ohne Hinweis auf den Verstorbenen, wird die Asche dem Wind überlassen. Mitarbeiter des Friedhofs verstreuen die Überreste. Hier ruhen die Toten ohne Heimat.

Der Wunsch, ohne Sarg und Grabstein das ewige Leben zu erreichen, hat einen festen Platz in der Beerdigungskultur. Mehr noch: Etwa 860.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland. Mittlerweile kehren 55 Prozent mit einer Feuerbestattung heim. Die Gründe für eine Feuerbestattung mit anschließender anonymer Ascheverstreuung sind vielfältig. Einer ist der Preis, der den Ausschlag gibt. Teilweise notgedrungen, jedoch auch bewusst, will man möglichst wenig für den letzten Weg des Familienangehörigen ausgeben. Folgekosten, wie etwa für Grabpflege, gibt es nicht. An einem Ort, wo Geld keine Rolle mehr spielt, wird gespart.

Es gibt einen Trend zur möglichst billigen "Entsorgung". Neben engeren finanziellen Spielräumen für manche Bevölkerungsschichten, ist auch die Abkehr von religiösen Bindungen ein Grund dafür. Was auch daran zu erkennen ist, dass immer weniger Trauergäste wissen, was man auf welchen Satz des Pfarrers erwidert. Da wird auf die religiösen Kenntnisse des Nebenmanns gebaut.

Die Art, wie mit Tod umgegangen wird, hat auch die Form der Bestattung verändert. Teilweise mit verwirrenden Auswüchsen. So gibt es in Nachbarländern etliche Möglichkeiten, die Asche des Dahingeschiedenen zu verteilen: bei einer Fahrt aus dem Heißluftballon, ins Weltall schießen, in einer Urne auf den Kamin stellen oder nach einer Wanderung, bei der man die sterblichen Überreste aus dem Rucksack holt, diese vom Berg herab verstreut. Auch wird die Asche gern zu einem synthetischen Diamanten gepresst (siehe Zusatzkasten).

Trotz der zahlreichen Möglichkeiten ist die kirchliche Beteiligung nicht wenigen Hinterbliebenen immer noch wichtig, aber keinesfalls selbstverständlich.

Kleves Propst Johannes Mecking erklärt: "Es gibt eine Entwicklung, die geprägt ist von einer Zuwendung hin zum irdischen Leben und weg vom Glauben an das Jenseits nach dem Tod. Damit verbunden ist oftmals eine problematische Beerdigungskultur."

Doch gibt es einen Aspekt, der für den Geistlichen beim Thema "Umgang mit dem Tod" von größerer Bedeutung ist. "Bei der anonymen Verstreung der Asche fehlt ein Ort, an dem man trauern kann. Ich erfahre, dass Hinterbliebene darunter leiden. Ein Anlaufpunkt, an dem Familie und Bekannte des Verstorbenen gedenken können, ist von großer Bedeutung." Eine Grabstelle auf dem Friedhof bietet die Möglichkeit, sich dort intensiver mit dem Tod auseinander zu setzen oder das Leben des Toten zu reflektieren. Das Vergessen widerspricht der Wertschätzung des Verstorbenen. Die Toten auf einer Wiese verliert man schneller aus dem Gedächtnis. Auch darum ist ein fester Ort von Bedeutung, denn:

Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern;

tot ist nur, wer vergessen wird. Immanuel Kant

(RP)
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