Kleve Die "Kunstfigur" Johanna Sebus

Kleve · Neuerscheinung des Klevischen Vereins für Kultur und Geschichte

Der Klevische Verein hat soeben den 3. Band seiner Reihe "Beiträge zur klevischen Geschichte" herausgegeben. Das Heft umfasst 160 Seiten und enthält zwei große Beiträge, die Johanna Sebus und die Hochwasserkatastrophe von 1809 betreffen. Im ersten Beitrag setzt die Historikerin Helga Ullrich-Scheyda sich mit der Figur der Johanna Sebus auseinander. Dabei geht es nicht so sehr um das Mädchen, das am 13. Januar 1809 bei der Rettung von Personen, die in der Nähe der Spoyschleuse vom Hochwasser bedroht wurden, im Alter von nur 17 Jahren ihr Leben verlor, sondern um ihr Nachleben. Ihr heldenhafter Auftritt und ihr dramatischer Tod erhielten zunächst keine besondere Aufmerksamkeit, aber dies änderte sich, als der damalige Unterpräfekt des Arrondissements Kleve, Karl Ludwig Baron von Keverberg, sie als Beispiel bürgerlicher Tugendhaftigkeit hervorhob. Die Ballade, die Johann Wolfgang von Goethe Johanna Sebus widmete, wurde ebenso von Keverberg angeregt wie ein großes Gemälde von Mathias van Bree.

Durch das Wirken Keverbergs wurde Johanna Sebus, zu ihren Lebzeiten eine anonyme Tagelöhnerin, postum zur öffentlichen Figur. Gleichzeitig wurde sie damit aber auch zu einer "Kunstfigur", wie Helga Ullrich-Scheyda darlegt. Im Bemühen, ihre Vorbildhaftigkeit klar zu unterstreichen, wurde die Fakten ihrer Geschichte von Keverberg leicht dem Idealbild angepasst. Dabei lässt sich feststellen, dass diese Geschichte im Laufe der Zeit unterschiedlichen Zwecken gedient hat. Bei Keverberg galt Johanna Sebus mit ihrem Einsatz für das Wohl anderer Personen und mit ihrer Gefasstheit im Angesicht des Todes als Vorbild für gute Staatsbürgerschaft. Sehr bald wurde ihre Geschichte auch Bestandteil der Propaganda für den französischen Kaiser Napoleon. In späterer Zeit hat die Geschichte eine deutschnationale und antifranzösische Deutung und auch eine christliche Deutung erhalten.

Im zweiten Beitrag schreibt der Klever Stadtarchivar Bert Thissen über die Hochwasserkatastrophe, die sich Anfang 1809 im Klever Land ereignet hat. Dabei betrachtet er diese Katastrophe vom Blickpunkt der Umweltgeschichte aus. Er fragt sich, inwieweit es sich hier um eine Naturkatastrophe handelte und inwieweit menschliches Handeln sie verursacht hat. Es zeigt sich, dass der Abfluss des Wassers im Rhein seit langer Zeit durch menschliche Eingriffe beeinträchtigt worden war. Auch waren die hohen Banndeiche seit dem Mittelalter als Risikofaktor kritisiert worden. Das Deichwesen am unteren Niederrhein steckte zur Zeit der französischen Herrschaft (1794-1813) in einer tiefen Krise, die sich negativ auf die Deichpflege auswirkte.

In diesem Beitrag wird die Hochwasserkatastrophe von 1809 auch vom Blickpunkt der Katastrophenforschung aus untersucht. Wie jede große Katastrophe stellte auch diese Krise eine Herausforderung für das politische System und für die Gesellschaft insgesamt dar. Ihre Reaktion bietet uns heute Einblicke in ihre Beschaffenheit. Konkret werden die Evakuierungsmaßnahmen, die Lebensmittelhilfe, Spendenaktionen und staatliche Hilfe sowie die Organisation der Deichreparaturen beschrieben. Das Buch mit farbigen Abbildungen liegt zum Preis von 11,90 Euro in den Buchhandlungen und im Schwanenturm aus, es kann auch zu den Öffnungszeiten des Franz-Matenaar-Archivs (Dienstag 15-18 Uhr, Donnerstag 9-12 Uhr) erworben werden.

(RP)
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