Kleve Blick auf altes Kleve vor dem Aus

Kleve · Der Japaner Hiroyuki Masuyama montierte in eine gemalte Stadtgeschichte Kleves eine Postkarte vom Luftkurort Cleve. Dieser Blick ist bald auch von gestern. Oft Ärger um die "Innenverdichtung" Kleves.

 In seinem Bild (Ausschnitt) vereinte der Japaner Masuyama 400 Jahre Klever geschichte - vorne rechts die fünf Häuser der Luftkurort-Karte.

In seinem Bild (Ausschnitt) vereinte der Japaner Masuyama 400 Jahre Klever geschichte - vorne rechts die fünf Häuser der Luftkurort-Karte.

Foto: mgr

Es scheint, als sei er auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Hiroyuki Masuyama spürt der Geschichte nach, setzt Stücke aus verschiedenen Jahrhunderten zusammen, sucht Orte auf, die Künstlerkollegen vornehmlich der Romantik gezeichnet und gemalt haben, fotografiert sie und komponiert daraus den romantischen Blick auf die Gegenwart - gemalt oder im Leuchtkasten. Im Sommer 2016 war er im Haus Koekkoek Kleve zu sehen, kürzlich erst widmete das ZDF-heute-Journal dem Japaner und seiner faszinierenden Kunst einen ausführlichen Beitrag. In Moyland gelang es Bettina Paust, sein grandioses Wiesenbild in die ständige Sammlung zu bekommen.

 "Luftkurort Cleve, Blick auf die Stadt" titelt die undatierte Karte aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts. Das weiße Haus rechts steht auch noch.

"Luftkurort Cleve, Blick auf die Stadt" titelt die undatierte Karte aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts. Das weiße Haus rechts steht auch noch.

Foto: jan

Seine Klever Bilder gibt's im schönen Katalog des Hauses Koekkoek "Zeit-Reise" für 19 Euro. Darin auch das Souvenir de Cleve, das als Auflage schnell vergriffen war und Koekkoeks Blick auf die Stadt ins Hier und Jetzt trägt. Daneben hat Masuyama als Maler Ansichten der schönen Stadt am Niederrhein gemacht. Frei nach Klombeck sein "Blick auf Kleve" 1650 bis 2016. Darin die Zeiträume 1902 bis 1910, 1933 und 1945. Aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts fand er fünf damals neue Häuser an der oberen Lindenallee, die ein Stück jüngere Stadtgeschichte schreiben.

Zwar überlebten nur drei der wunderschönen Arts-and-Crafts-Backsteinbauten den Krieg, doch die beiden zerstörten, das erste und das letzte in der Reihe, wurden nach Kriegsende im Stil einfacher 1950er Jahre Einfamilienhäuser auf den Fundamenten wieder aufgebaut - Giebelhöhe, Länge und Breite veränderten sich nicht, so dass die Großzügigkeit der Anlage in der Allee erhalten blieb. In einem der beiden wiederaufgebauten Häuser wohnt der Autor, der sich freute, dass Masuyama von der Reihe auf der oberen Lindenallee so angetan war, dass er sie in seinen Blick auf Kleve einbaute - und allen zeigen sollte: Hier steht noch ein schönes Stück Stadt, das den Krieg überdauert hat.

 Da, wo jetzt noch kleine Häuser stehen, werden große möglich, wenn der neue Bebauungsplan für die Lindenallee beschlossen würde. Die Stadt möchte den Bereich "innenverdichten", der auf der Luftkurort-Karte noch festgehalten wurde.

Da, wo jetzt noch kleine Häuser stehen, werden große möglich, wenn der neue Bebauungsplan für die Lindenallee beschlossen würde. Die Stadt möchte den Bereich "innenverdichten", der auf der Luftkurort-Karte noch festgehalten wurde.

Foto: Markus van Offern

Jetzt haben die Klever Stadtplaner einen Schlussstrich unter diese Geschichte gezogen: Der neue Bebauungsplan, der derzeit noch offen liegt, sieht hier weitere Innenverdichtungen vor. Wird der Plan verabschiedet, kann die Zukunft so aussehen: Die künftig mögliche überbaubare Grundfläche wurde deutlich vergrößert und künftig sollen drei Wohneinheiten auf zwei Geschosse (plus Dach) erlaubt werden. Das macht die Bauten beim anstehenden Generationenwechsel, für Investoren lukrativ. Wie es auf der anderen Straßenseite mit einer alter Kate geschehen ist.

Dabei ist die Lindenallee nur ein weiteres Glied in der Kette. Die Innenverdichtung fußt auf dem Stadtentwicklungskonzept von 2009 und setzt auf die Entwicklung von innen nach außen. Doch richtige Eckdaten, was man darunter versteht, scheinen zu fehlen. Seit Jahren ist Ärger programmiert. "Bei der Diskussion um die Innenverdichtung hat nie jemand gesagt, dass man ein Sechsfamilienhaus in eine Einfamilienhaussiedlung setzen muss, es war auch nicht die Rede davon, alte Quartiere so zu überplanen, dass dort bald große Häuser statt der kleineren stehen. Wir sollten stattdessen sorgfältig prüfen, welche innerstädtischen Flächen sich eignen, noch überbaut zu werden", sagt Wiltrud Schnütgen, Stadtführerin und Grünen-Ratsmitglied. Sie verweist auf Flächen wie jetzt in Materborn, wo ein ehemaliger Kirmesplatz überbaut werden soll oder eine vergleichbare Fläche in Kellen und in Düffelward. "Das sind Flächen, die wir damals meinten, wenn von Innenverdichtung die Rede ist". Auch müsse man darauf achten, dass die Neubebauung in die Umgebung passt.

Stattdessen werden angesichts des Baubooms bestehende Siedlungsbereiche überplant, wo hinter der von Schnütgen reklamierten "sorgfältigen Prüfung" ein Fragezeichen steht: Muss man in gewachsene Ein- oder Zweifamilienhaussiedlungen Sechsparteienhäuser setzen wie in den Galleien? Muss man nicht den großen Auftritt Kleves bei der Einfahrt in die Stadt über die Nassauerallee schützen? Hätte man nicht die großen Gärten wie die Bellevue schützen müssen, anstatt sie zuzubauen? Ist es richtig, dass die Weberstraße sich so verändert zeigt? Das sind nur einige Beispiele, aber alle sind Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit, bei denen nicht selten die Bürger auf die Barrikaden gingen, weil ihre Umgebung "innenverdichtet" werden sollte. "Die Vorstellungen der Bürger und der Politik und die der Bauverwaltung, wie denn nun die Innenverdichtung zu verstehen ist, stimmen nicht wirklich überein", sagt Schnütgen.

Darüber scheint ein Diskurs überfällig.

(RP)
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