Kleve Als Heidi D. plötzlich verschwand

Kleve · Die 53 Jahre alte Kleverin führte ein ganz normales Leben. Bis sie eines Tages ihre Familie verließ. Grund dafür waren Drogen. Heute geht es ihr gut, unter anderem, weil sie Hilfe im Kontaktcafé der Caritas bekommt.

 Für Heidi D. (Mitte) ist das Kontaktcafé wie ein zweites Zuhause geworden. Die Menschen dort kennen ihre Geschichte. Und sie kennt die Geschichten der anderen. Beim Frühstück, dass es für einen Euro gibt, tauscht man sich gerne aus.

Für Heidi D. (Mitte) ist das Kontaktcafé wie ein zweites Zuhause geworden. Die Menschen dort kennen ihre Geschichte. Und sie kennt die Geschichten der anderen. Beim Frühstück, dass es für einen Euro gibt, tauscht man sich gerne aus.

Foto: Gottfried evers

Mit zehn die erste Zigarette, mit zwölf eine Flasche Korn am Tag, zwischendurch mal einen Joint - zur Abwechslung und wenn der Dealer gerade in der Nähe ist. So oder ähnlich verläuft der Weg für viele Jugendliche, die irgendwann an der Nadel hängen. Sollte man meinen. Heidi D. (53) konnte in ihrer Jugend mit all den Dingen nichts anfangen - dem bröseligen grünen Zeug, dem weißen Pulver, den Pillen. Heidi D. wuchs behütet auf, lernte einen guten Mann kennen, verliebte sich, heiratete, bekam zwei Söhne.

 Boomer wartet immer vor dem Café auf sein Herrchen.

Boomer wartet immer vor dem Café auf sein Herrchen.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Dann rutschte Heidi D. ab, mit 37 Jahren. Nicht abrupt. Sondern Stück für Stück. So langsam, dass sie es selbst gar nicht so richtig merkte. "Ich habe die falschen Leute kennengelernt", sagt sie. Junkies, Dealer, Kriminelle. Was die da taten, das interessierte Heidi D. nicht. Weil sie es ja gar nicht so richtig wusste. Sie mochte die Leute. "Irgendwann habe ich es selbst ausprobiert", sagt sie. Irgendwann setzte sie sich den ersten Schuss. Und dann war Heidi D. abhängig. Dann vergaß sie alles um sich herum. Ihre Söhne waren zu dem Zeitpunkt elf und 14 Jahre alt. Das war 1997. Heidi D. verschwand - für eine sehr lange Zeit. Geschlafen hat sie mal hier, mal da. Bei Freunden oder Leuten, manchmal auf der Straße. Wie sie an das Heroin gekommen ist, darüber will Heidi D. nicht sprechen. Zu schmerzlich sind die Erinnerungen. In Deutschland war Heidi D. da schon lange nicht mehr, "aber ich habe mir immer mein altes Leben, mein Zuhause zurückgewünscht", sagt sie.

Das war ihre Rettung, sagt Heidi D. heute. Der Wunsch, ihre Familie wiederzusehen, ihre Kinder, ihre Heimat. Und dann gab es diesen einen Moment, dieses Erlebnis - "da hat's Klick im Kopf gemacht", sagt sie. Heidi D. wusste, wenn sie jetzt nicht die Reißleine zieht, dann ist es vorbei. Ihr Körper hatte durch das Heroin gelitten, sie war abgemagert, der Kopf spielte verrückt. Sie suchte sich Hilfe, bei einem Arzt in Kleve, der ihr eine Ersatzdroge verschrieb. Seit 2006 ist Heidi D. auf Methadon. Seitdem kommt sie in das Kontaktcafé der Caritas an der Hoffmannallee. Dort erzählt sie ihre Geschichte. Zumindest Auszüge davon - viele Augenblicke sind einfach zu grausam, als dass Fremde davon wissen sollten.

Das Kontaktcafé ist für die heute 57-Jährige wie ein zweites Zuhause geworden, die Menschen dort sind ihre Familie. So wie Brigitte Wilmsen. Sie kennt die Geschichte von Heidi D. - und auch andere. Im Kontaktcafé finden Suchtkranke, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Arme einen Ort, an dem sie sich austauschen können - an allen Tagen in der Woche.

"Jeden Morgen gibt es hier Frühstück", sagt Gerd Engler, Sozialarbeiter bei der Caritas. "Für einen Euro." Einmal in der Woche auch ein warmes Mittagessen. "Hier schaffen wir es, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die sonst nicht in die Beratungsstellen kommen", sagt Engler. Die Szene komme, weil sie profitiere. Weil es sterile Spritzen gibt, eine Dusche, Waschmaschine und Trockner. Und natürlich das Frühstück.

Das Kontaktcafé bringt keinen Cent ein, ganz im Gegenteil. "Wir kämpfen um jeden Cent", sagt Gerd Engler. "Aber für uns als kirchliche Organisation ist es selbstverständlich, etwas für Menschen zu tun, die am Rande der Gesellschaft leben." Mit dem Ziel, für diese Menschen irgendwann wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden.

So wie für Heidi D. Sie hat es geschafft. Ihr geht es gut, sagt sie. "Ich habe wieder Kontakt zu meiner Familie." Auch wenn es lange gedauert hat, bis ihre Kinder ihr wieder vertraut haben. Heidi D. hat ihr Leben zurück, wenn auch anders als vorher. Sie hat eine eigene Wohnung, die Möbel sind bezahlt, das Verhältnis zum inzwischen Ex-Mann ist freundschaftlich. Auch wenn die Familie vermutlich nie richtig verstehen wird, was mit Heidi D. damals vor 18 Jahren passiert ist. Deswegen kommt die 53-Jährige immer wieder gern ins Kontaktcafé, weil es dort Menschen gibt, die es verstehen.

(RP)
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