Kevelaer Stolperstein erinnert an Maria Wackers

Kevelaer · Künstler Gunter Demnig verlegte in Kevelaer das erste Stück Erinnerung an einen Menschen, der dem Regime der Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Elisabeth Wackers hatte lange für den Stein gekämpft. Viele nahmen Anteil.

Kevelaer: Stolperstein erinnert an Maria Wackers
Foto: Seybert Gerhard

Es ist ein sehr persönlicher Moment, als Elisabeth Wackers weiße Rosen neben den Gedenkstein legt. Die Zeit scheint still zu stehen. Die sechs Rosen legt sie mit Bedacht ab, neben den Stein, der an ihre Mutter Maria erinnert. Elisabeth Wackers ist eines von sechs Kindern der Frau, an die mit einem Stolperstein erinnert wird.

Der liegt vor dem Haus Maasstraße 35 in Kevelaer. Er ist einer von vielen, die Künstler Gunter Demnig in Deutschland und anderen Ländern Europas verlegt hat. Jeder einzelne erinnert an ein Schicksal. Mit den Stolpersteinen soll an die einzelnen Opfer der Nationalsozialisten erinnert werden. In Kevelaer wurde Mittwoch der erste verlegt. "Hier wohnte Maria Wackers, geborene van Aaken, Jahrgang 1906, Gegnerin des NS-Regimes, eingewiesen am 19.12. 1944 Heilanstalt Uchtspringe, ermordet 22.1. 1945" ist auf der kleinen Bronzeplatte des Steins zu lesen.

Ein leises Klopfen ist zu hören, als der Berliner Künstler Demnig den Stein in den Boden einpasst. Bürgermeister Dr. Dominik Pichler lässt die zahlreich versammelten Menschen am Schicksal von Maria Wackers teilhaben. "Es war eine 39-jährige Mutter von sechs Kindern", beginnt er. Der Mann ist im Krieg. Als Kevelaer immer mehr unter Beschuss gerät, flüchtet Maria Wackers. Auf der Flucht wird der Zug bombardiert, und die Kevelaererin erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie kommt in das Krankenhaus Uchtspringe. Es ist der Anfang vom Ende. Zu Weihnachten ist sie zwar noch einmal kurz bei der Familie, kehrt dann aber in die Klinik Uchtspringe zurück. Die Familie wird über ihren Tod informiert. "Sie wurde als geisteskrank eingestuft", erzählt Pichler weiter. Und betont, dass es sich rein um einen Nervenzusammenbruch aufgrund der Bombardierung gehandelt habe. Maria Wackers geriet in das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten. "Die Mutter von sechs Kindern wurde ermordet", stellt Pichler klar. Er sei selber 40 Jahre alt, Familienvater, die Geschichte gehe ihm persönlich sehr nah, sagt der Bürgermeister. "Der Tod war völlig überflüssig", sagt Pichler.

"Wir können das einmal begangene Unrecht nicht ungeschehen machen, aber indem wir gedenken, geben wir den Menschen die Würde zurück", zitiert Elisabeth Wackers Worte, die sie selbst einmal bei der Enthüllung eines Mahnmals gehört hat. Nun steht sie vor dem Gedenkstein ihrer Mutter. Lange war sie auf der Suche nach der Wahrheit. "Wir Angehörigen und Nachkommen haben ein Recht zur Aufklärung beizutragen", sagt sie. Als Kind hatte sie Unterlagen von Uchtspringe im elterlichen Haus entdeckt. Sie habe instinktiv gespürt, da stimme etwas nicht. Mit der Hilfe von tüchtigen Wissenschaftlern "und deiner Hartnäckigkeit", ergänzt ihr Bruder Paul Wackers, kam sie der Wahrheit immer näher. Den entscheidenden Schubs habe ihr Margret Hamm vom Bund der Opfer der Euthanasie und Zwangssterilisation gegeben. Die Wahrheit ist nun festgehalten, auf einer Bronzeplatte.

Berührt war Elisabeth Wackers, die in Berlin lebt, von der Anteilnahme der Kevelaerer. Eine Umarmung reihte sich an die andere. "Ich finde es toll, das die ganze alte Nachbarschaft da ist", sagt sie. "Einmal in der Woche ging ich da Brot holen", erinnerte sich eine Frau. Liesel van de Braak hatte einen Ordner dabei, indem der handgeschriebene Totenzettel von Maria Wackers war, aber auch Briefe, in denen sich die Geschwister über das Schicksal ihrer Schwester austauschen. "Maria Wackers war meine Tante", erklärt Liesel van de Braak. Der spätere Bischof August van Aaken ist der Bruder von Maria Wackers, zeichnet sie das weite Geflecht der Familie weiter. Unter den Anwesenden war auch die Klasse 9d des Kevelaerer Gymnasiums. "Eigentlich hätten wir gleich Mathe", sagt Matthias Lauks. "Aber ich bin auch Geschichtslehrer und finde das so wichtig", sagt er über die Verlegung des Stolpersteins und die Geschichte, die dahinter steckt. Pastor Rolf Lohmann wagt den Übertrag in die heutige Zeit. Er fordert dazu auf, achtsam miteinander umzugehen, gerade angesichts "von solchen Bewegungen, die sich teils wieder breit machen". Im anschließenden Gottesdienst wurde an die Opfer von Terror und Extremismus gedacht.

(RP)
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