Kevelaer Gocher Briefe heilen Kriegswunden

Kevelaer · Der britische Veteran Leslie Scull war 1945 im Einsatz rund um den Reichswald. Über die Rheinische Post suchte er im vergangenen Jahr Kontakte zu Zeitzeugen und erhielt daraufhin viele Zuschriften aus Goch und Kleve.

 Anni Aymans, Wilhelmine Jansen und Johann Krebbers (von links) mit der Post von der Insel.

Anni Aymans, Wilhelmine Jansen und Johann Krebbers (von links) mit der Post von der Insel.

Foto: GOTTFRIED EVERS

Manchmal dauert es Jahrzehnte, bis sich ein Kreis schließt. Für Leslie Scull hat es fast 69 Jahre gedauert: Der ehemalige britische Panzersoldat hatte im vergangenen Jahr über die RP versucht, Kontakte zu Zeitzeugen der Kämpfe im Reichswald 1945 in Kleve und Umgebung aufzunehmen - und hat darauf viel Resonanz erhalten.

Seine Hoffnung sei es gewesen, vielleicht etwas mehr zu erfahren über die Ereignisse und persönlichen Erlebnisse von Zeitzeugen im Januar und Februar 1945. Aber dieses Ergebnis habe er nicht erwartet: "Ich bin überwältigt, wie viele Briefe ich bekommen habe von damals jungen Menschen", sagt Leslie Scull.

Tatsächlich haben gut ein Dutzend Klever und Gocher über die RP-Redaktion Kontakt zu dem 92- Jährigen aufgenommen, der in der südenglischen Grafschaft Devon lebt und Ende Februar 1945 als Panzerkommandant bei den Gefechten in der Nähe des Meusenhofs schwer verwundet wurde.

Irmgard Janßen aus Goch war als Vierjährige mit ihrer Familie auf dem Meusenhof untergebracht, als die Kämpfe tobten. Zusammen mit anderen Familien hatten sich die Janßens in den Keller des Backsteinhauses auf dem Hof geflüchtet, dessen Eingang durch einen Granateinschlag kurzzeitig verschüttet wurde, wie sie Leslie Scull schilderte. "Ich habe die Beschreibung mit meinen Notizen verglichen", erklärt der britische Kriegsveteran, "und ich glaube, ich bin mit meinem Sherman-Panzer über diesen Keller hinweggefahren." Auch Arnold Angenendt aus Münster befand sich als Junge in dem Keller - der katholische Theologe stellte in einem Telefongespräch mit Scull fest, dass er unmittelbar vor dem Panzer gestanden haben könnte, nachdem die Verschütteten den Keller verlassen konnten.

Johann Krebbers, 82 Jahre alt, ist sich sogar sicher, dass er Leslie Scull persönlich begegnet ist, als der elterliche Hof am Keppelner Grenzweg in Goch von britischen Truppen und deutschen Fallschirmjägern umkämpft war. "Der Hof brannte, und die Briten habe alle aus den Häusern geholt", schildert Krebbers seine Erinnerungen. "Da war ein Panzersoldat bei uns im Haus, der ihm ziemlich ähnlich sah."

Mittlerweile hat Leslie Scull viele Briefe beantwortet. Es habe einige Zeit und Mühe gekostet, räumt der 92-Jährige ein, da sein Augenlicht erheblich nachgelassen habe und das Schreiben ihm schwer falle. "Ich bin froh, dass mir Menschen direkt geschrieben haben", sagt er, "es sind wundervolle Leute." Für Leslie Scull sind die Kontakte eine Chance, seine Kriegserlebnisse nach so langer Zeit in einem neuen Licht zu sehen. "Ich bin wirklich erleichtert, dass Sie und Ihre Verwandten diese Angriffe überlebt haben", schreibt er in einem Antwortbrief.

Auch Ernst Claaßen aus Goch, genau vier Wochen nach Sculls Verwundung geboren, hat dem ehemaligen Panzer-Sergeanten geschrieben und Antwort erhalten. "Für mich war es eine angenehme Erfahrung, mit diesem warmherzigen Menschen in Briefwechsel zu treten. Ich habe das Gefühl, dass ich mit einem väterlichen Freund Kontakt habe."

Johann Krebbers, dem die Enkelin der Nachbarin Wilhelmine Janßen - auch die 86-Jährige hat sich bei Leslie Scull gemeldet - den Brief aus dem Englischen übersetzt hat, sagt: "Er hat mir geschrieben, dass ihn die Zerstörung unseres Hofes noch immer bedrückt. Aber er muss sich keine Vorwürfe machen, den deutschen Fallschirmjägern war unser Schicksal ganz egal, die waren viel schlimmer."

So können Briefe so manche Kriegswunde heilen.

(RP)
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