Gedanken Zum Feiertag Was die katholische Kirche durch die Reformation gelernt hat

KEMPEN Dank sei Gott, hat es die Reformation gegeben! So möchte ich als Katholik im Reformationsgedenkjahr 2017 sagen. Die Ereignisse, die vor 500 Jahren die christliche Kirche und große Teile Europas veränderten, haben bis heute Spuren hinterlassen und prägen wie selbstverständlich das Handeln und Sprechen beider christlicher Konfessionen.

KEMPEN Dank sei Gott, hat es die Reformation gegeben! So möchte ich als Katholik im Reformationsgedenkjahr 2017 sagen. Die Ereignisse, die vor 500 Jahren die christliche Kirche und große Teile Europas veränderten, haben bis heute Spuren hinterlassen und prägen wie selbstverständlich das Handeln und Sprechen beider christlicher Konfessionen.

Da ist zum einen der Grundgedanke, zurück an die Ursprünge zu gehen und sich aus dem Impuls des Anfangs zu erneuern. Das war immer ein lebenswichtiger Motor der Kirchengeschichte. Für uns Katholiken hat das in weltweitem Format vor 50 Jahren das II. Vatikanische Konzil getan, indem es unter anderem eine Erneuerung der Gottesdienste beschloss und die Botschaft Jesu für die Gegenwart übersetzte. Gerade in diesen Monaten werden wir Zeuge einer von Rom ausgehenden katholischen Reform durch Papst Franziskus, der nicht müde wird, auf Jesus Christus zu verweisen und auf dessen Mission, von einem gnädigen und barmherzigen Gott zu sprechen. Kein Mensch wird von Gottes Liebe ausgeschlossen. Gerade die Hinwendung zu den Armen und Notleidenden zeigt: Vor Gott zählt nicht der Status oder eine Leistung nach menschlichem Maßstab, sondern allein die Erwählung und Würdigung des Menschen aus Liebe, die göttlichen Ursprungs ist.

Die Reformatoren griffen die christliche Überzeugung auf, dass jeder Mensch Träger von Gottes Geist ist und deswegen befähigt und beauftragt ist, diesem Geist Jesu durch ihr eigenes Leben Hand, Herz und Fuß zu geben. In unseren christlichen Gemeinden verwirklichen Tausende von engagierten Menschen diese Idee des sogenannten gemeinsamen Priestertums. Als Katecheten geben sie den Glauben an die nächste Generation weiter. In karitativem Einsatz praktizieren sie hingebungsvoll, was Jesus selbst vorgelebt hat. In der Leitung von Gemeindegottesdiensten oder in der Begleitung trauernder Angehöriger im Todesfall eines Gemeindemitgliedes machen sie anderen erfahrbar, dass Christus auch heute handelt und gegenwärtig ist.

Der Mensch, der erkannt hat, dass er Träger einer göttlichen Würde ist, findet darin sein Selbstbewusstsein und seine innere Freiheit. Er ist frei, seine Meinung kundzutun und sie in das Forum des politischen und kirchlichen Gespräches einzubringen. Auch wenn sie sich zunächst schwergetan hat, so hat die katholische Kirche in der Demokratie schließlich doch jene Staatsform entdeckt, die dieser Freiheit des Menschen am ehesten entspricht. Auch in ihrer eigenen Verfassung nimmt sie in den letzten Jahrzehnten immer mehr Elemente auf, die deutlich machen, dass sie zwar göttlicher Herkunft aber zugleich synodal ist. Das heißt: In gemeinschaftlichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen wird überlegt und beschlossen, welchen Weg die Kirche in die Zukunft gehen kann und will. Das ist zwar oft mühsam und anstrengend, nimmt aber auch die Verantwortung aller ernst.

Die Entstehung der Reformation ist ohne den Humanismus nicht denkbar und möglich. So hat auch die christliche Kirche lernen dürfen, dass ihre Mitglieder als selbstständig denkende und sich selbst reflektierende Wesen eine große Bereicherung darstellen. Es hat zwar noch lange gedauert, bis es jedem Menschen möglich war, eine Bibel zur Hand zu nehmen und aus Gottes Wort unmittelbar für sich selbst Hoffnung und Kraft zu schöpfen. Heute ist es selbstverständlich, dass die Kirche ihre Mitglieder aufruft, im Alltag, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz für den Glauben einzustehen und ihr Reden und Tun davon prägen zu lassen. Auch die oft zu hörende Meinung, dass Glaube und Vernunft Gegensätze seien, wurde bereits durch die Reformatoren widerlegt. Große Theologen wie der zum Katholizismus konvertierte englische Kardinal Henry Newman oder Papst Benedikt XVI. haben das durch ihre Werke bestätigt. Wissenshunger und Vertrauen, Erklärungswille und Liebe zur Welt sowie Berechnung und Hoffnung schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bilden verschiedene Zugänge zur menschlichen Wirklichkeit, die eben mehr ist als Zahl oder Materie.

Martin Luther hat mit seiner Bibelübersetzung die deutsche Sprache entscheidend mitgeprägt und den Christen den Anspruch und Zuspruch des Glaubens neu erschlossen. In einer Zeit, die überflutet ist von schnellen Nachrichten und überflüssigen Kurzmitteilungen, braucht es in der katholischen Kirche (aber natürlich nicht nur in ihr) viele sprachbegabte Frauen und Männer, die den Menschen in seinem Inneren anrühren, aufmerksam machen und - wenn notwendig - verändern. Die Kirche muss sich ständig erneuern. Sie ist eine "ecclesia reformanda". Die Bibel nennt dieses alte Prinzip ganz einfach "Umkehr" - Umkehr zu dem, was dem Willen Gottes entspricht und was dem Menschen dient. Die Reformation hat für ihre Zeit und weit darüber hinaus einen kräftigen Anstoß gegeben. Die katholische Kirche ist gut beraten, auch heute - innerhalb und außerhalb ihrer eigenen Reihen - den Reformatorinnen und Reformatoren gutes Gehör zu schenken und Folge zu leisten, wo es dem Willen Jesu Christi entspricht.

(RP)
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