Stadt Kempen Starke Leistung beim Schultheater

Stadt Kempen · Das Medien-Junkie-Stück "HANDYcap" der Erich Kästner Realschule in Kempen zeigte Jugendtheater mit bewegenden Momenten. Schade, dass die Zuschauerreihen in der Schulaula nur zur Hälfte gefüllt waren.

Das war richtig gutes Theater, das jetzt in der Aula der Kempener Erich Kästner Realschule ablief. Jugendtheater, von Schülern vorgeschrieben, von Profis inszeniert und perfektioniert. "HANDYcap" hieß das Stück, und es zeigte die Therapiestunde einer Selbsthilfegruppe medienabhängiger Jugendlicher in beklemmender Authentizität, aber witzig als Komödie verpackt. Ein Szenario, das sich mit Musik und Tanz einem Musical nähert (von der Probenarbeit hat die RP berichtet). Von den Realschülern wurde das Stück mit viel Witz und Ernsthaftigkeit gespielt. Ihr Engagement riss die Zuschauer mit, ließ sie immer wieder in Beifall ausbrechen.

Der Vorhang geht auf, man sieht 14 Stühle im Halbkreis aufgebaut, dazu drei Stehlampen. An der Rückwand Regeln, wie man sich in einer Selbsthilfegruppe zu verhalten hat: Jeden ausreden lassen, keine Wertungen einbringen. Das ist also der Ort, wo 14 mediengeschädigte Kids sich als "Offliner" üben wollen. Ihr Ziel: sich 20 Minuten lang ausklinken aus ihren digitalen Parallelwelten. Die Zerreißprobe: Das Handy muss abgegeben werden, bevor man kurz chatten darf. Eine enorme Herausforderung, und keiner ist ihr gewachsen. Tina (Sanftleben), die Gruppenleiterin, versucht mit viel Einsatz, den Wahnsinn in den Griff zu kriegen: Entzugsprobleme, emotionale Ausbrüche, Provokationen, ein Nervenzusammenbruch.

Alle zehn Minuten klingelt der Wecker der Gruppenleiterin. Die Kiste, in der die Handys abgelegt wurden, darf dann gestürmt werden. Neue Nachrichten kommen an. Eindrucksvoll wird die Zerrissenheit der jungen Leute rübergebracht, unterlegt mit Soundeffekten, Musik und Tanz. Da ist zum Beispiel Anna (Meis). Sie verfolgt ein neues YouTube-Video, sitzt dabei auf dem Bühnenrand. Dann wird ihr Gesicht von Twitterlicht aus dem Dunkel gezogen (hervorragend: die beiden Beleuchter Jonas Doekels und Hennig Loch), und hinter ihr läuft das Video live ab: "Braveheart" nach James Horner. Milan (Piepers) liefert einen hinreißenden Beatbox, Sophie (Marezki) glänzt mit einer Rapeinlage, Emilie (Vennedey) mit einem Streetdance-Solo.

Und so geht's weiter im Auf und Ab der Emotionen im Entzug. Nadine (Rizzo) hat schon wieder 39 neue Facebook-Freunde und muss sie alle besuchen, bricht darüber zusammen. Anschließend entspannt die Gruppe, per Yoga auf dem Boden liegend. Keiner merkt, dass die süchtige Gruppenleiterin, während sie Anweisungen zum Abschalten gibt, selbst heimlich ihr Handy checkt. Der "Mango, Mango-" Song bringt mit bunten Lichtern alle wieder in Bewegung. Hinreißend dann die Sequenz mit Siri, Milans Sprachstimmen-Handy, am komplizierten Tonpult brillant gemischt von Yannik Roesges und Kilian Baumert. Das Mobilphone ist eifersüchtig auf die Gruppenleiterin, macht seinem Besitzer eine Szene und schickt der "Rivalin" peinliche Mails. Als der Handynutzer sich outet: "Das hab ich nicht geschrieben, das war mein Handy", glaubt ihm keiner.

Der Höhepunkt tritt ein, als die Ed-Sheeran-Ballade "I see fire", von Milan auf der Akustik-Gitarre begleitet, Gänsehautstimmung macht: "If this is to end in fire, then we should all burn together..." Da kommt authentisch rüber, wie Jugend sich heute so fühlt. Die Komödie macht Platz für einen echten, tiefgehenden Moment.

Das ging unter die Haut. Warum? Da waren die peppigen, anrührenden Songs; da waren die witzigen Dialoge, von Textpointen durchblitzt; da waren vor allem stille und berührende Momente. Ein Stück mit großer Dynamik, energievoll, keine Sekunde langweilig. Immer wieder traten neue Wendungen auf, flammten Ideen um das Thema Mediensucht.

Es war das vierte Stück, das die Schauspielerin Susanne Stangl aus Köln mit der Kempener Musiklehrerin und Sängerin Sonja Kandels an der Schule inszeniert hat, und es war das beste. Schulleiterin Sigi Strohe bezeichnet das kreative Duo bereits als "Dreamteam". "Wir wollten keine Problemstudie schaffen", sagte Stangl im Gespräch mit der Rheinischen Post nach der Premiere. "Wir wollten der Problematik einen Spiegel bauen, mit komödiantischer Leichtigkeit."

Das ist gelungen. Und die Resonanz? Bei den Aufführungen war die Aula knapp zur Hälfte gefüllt. Schade.

(RP)
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