Grefrath Politik entsetzt über neue Finanzlage

Grefrath · Die Gemeinde Grefrath muss - wie berichtet - 4,1 Millionen Euro an Gewerbesteuer zurückzahlen. Kämmerer Wolfgang Rive verhängte deshalb eine Haushaltssperre. Der Etatentwurf für 2016 ist bereits Makulatur. Die RP bat Politiker der im Gemeinderat vertretenen Parteien um Stellungnahmen.

 Die Firma Johnson Controls - hier eine Luftaufnahme des Standorts am Bronkhorster Weg - erhält 3,1 Millionen Euro an zu viel gezahlter Gewerbesteuer plus 1,5 Millionen Euro Zinsen für die Jahre 2003 bis 2006 von der Gemeinde Grefrath zurück. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Finanzgerichtshofs.

Die Firma Johnson Controls - hier eine Luftaufnahme des Standorts am Bronkhorster Weg - erhält 3,1 Millionen Euro an zu viel gezahlter Gewerbesteuer plus 1,5 Millionen Euro Zinsen für die Jahre 2003 bis 2006 von der Gemeinde Grefrath zurück. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Finanzgerichtshofs.

Foto: WOLFGANG KAISER

Jochen Monhof (SPD-Fraktionsvorsitzender): Die SPD ist natürlich konsterniert, dass Steuerrückforderungen nicht nur mit einer zeitlichen Verzögerung von über zehn Jahren gestellt sondern diese auch noch mit sechs Prozent rückwirkend über die Jahre verzinst werden. Diese hohen Zinsen verleiten Unternehmen geradezu, verspätet Rückforderungen zu stellen. Wir haben in Grefrath das Problem, dass wir in der Vergangenheit von den Steuerzahlungen weniger Großunternehmen abhängig waren. Die Schaffung neuer Gewerbeflächen für kleine und mittlere Unternehmen war und ist der richtige Weg.

Eine Ausweitung der Gewerbeflächen am Wasserwerk ist dringend erforderlich. Wir hatten im letzten Jahr den Haushalt abgelehnt, weil es nicht die Zeit für Wahlgeschenke, wie den Kunstrasenplatz, ist. Es ist auch zu befürchten, dass die Steuerrückzahlung wieder als Grund für Steuererhöhungen oder Diskussionen über die Schließung der Bäder und den Abriss der Albert Mooren Halle dient.

Herbert Kättner (Ex-Bürgermeister und Kämmerer - CDU): Nun hat es Grefrath also wieder getroffen. Nach dem Ende der 100-jährigen Girmes-Ära in Grefrath kam es 1994 zu ersten großen Finanz-Desaster. Es mussten 5,9 Millionen Mark (einschließlich Zinsen) für fünf Jahre kassierte Gewerbesteuer von Balsam zurück erstattet werden.

Nothaushalte und Haushaltssicherungskonzepte waren die Folge. Jetzt sind wir also wieder in einer ähnlichen Situation, nur mit dem Unterschied, dass Grefrath bereits tief im Haushaltssicherungskonzept steckt. Angesichts der Dimensionen der Rückzahlungsverpflichtungen ist es kaum vorstellbar, wie die Gemeinde nunmehr innerhalb des Planungszeitraumes des Haushaltssicherungskonzeptes eine Haushaltskonsolidierung darstellen will. Dies macht deutlich, wie massiv unterfinanziert die Gemeindehaushalte sind. Land und Bund verteilen im Laufe der Jahre mehr und mehr Aufgaben an die Kommunen unter deutlicher Missachtung des Konnexitätsprinzips. Während auf Bundesebene die Steuerquellen sprudeln und man stolz darauf ist, Haushalte ohne Neuverschuldung verabschieden zu können, gehen die Gemeinden finanziell am Krückstock.

Manfred Wolfers jun. (CDU): Es ist krass, dass damit die Gemeinde die Kosten der Standort-Aufgabe zu großen Teilen finanziert. Die aktuelle Situation macht die Fehler der gesetzlichen Gemeindefinanzierung sehr extrem deutlich. Individuell gewachsene Gewerbe-Strukturen können kleine Kommunen kaputt machen ohne dass die Solidarität der Gemeindefinanzierung dies ausreichend ausgleicht. Die Liquiditäts-Entwicklung ist bereits seit Jahren katastrophal. Der mittelfristige Einsatz eines Sparkommissars der Landesregierung ist damit so realistisch wie nie zuvor.

Mögliche Steuer-Erhöhungen und möglicherweise die Schließung von gemeindlichen Einrichtungen werden sicherlich die Schwerpunkte der Diskussion in den kommenden Monaten. Ich hoffe, dass wir als Bürger, Politiker und Verwaltung diese großen Herausforderungen gemeinsam lösen, auch wenn ich jeden verstehen kann, der bei diesen Dimensionen erst einmal frustriert reagiert.

Andreas Sonntag (Grüne): Der Einbruch bei den Gemeindefinanzen war schon vor Jahren voraussehbar. Wurden die Haushaltsberechnungen über Jahre mit heißer Nadel gestrickt, konnten die Fehler der Vergangenheit, sich nur auf vier Groß-Firmen zu verlassen, doch nicht ausgeglichen werden. Die neuste Entwicklung muss sehr vorsichtig angegangen werden, denn sie ist Wasser auf den Mühlen derer, die Gemeinde eigene Betriebe in blinden Aktionismus schließen möchten, Beiträge und Gewerbesteuern erhöhen wollen, um so die Finanzen zu konsolidieren. Im Gegensatz zur Grundsteuererhöhung hilft dies nur sehr kurzfristig.

Langfristig sind es falsche Signale an Gewerbetreibende in der Gemeinde und an diejenigen, die überlegen, ihren Lebensmittelpunkt nach Grefrath zu verlegen. Ein Sparkommissar ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Entscheidungen sollen und müssen zügig von der Politik getroffen, beschlossen und umgesetzt- und nicht durch jahrelanger Diskussion zerredet werden.

Christian Kappenhagen (stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender): Die Steuerrückzahlung ist ein enormer Rückschritt auf dem erfolgreich begonnenen Weg der Haushaltssicherung. Wer die Rückzahlung von 4,1 Millionen Euro mit dem gesamten Haushaltsvolumen von 28 Millionen Euro vergleicht, merkt sofort, dass das nicht ausgeglichen werden kann. Auch wenn die Ausfälle durch Verbesserungen im Finanzausgleich teilweise kompensiert werden, ist das abgestimmte Haushaltssicherungskonzept obsolet. Daher werden Rat und Verwaltung auch über bereits verworfenene Sparvorschläge und Einnahmesteigerungen neu nachdenken müssen.

Die CDU-Fraktion wird hier mit Augenmaß und in enger Abstimmung mit allen Akteuren vorgehen. Allerdings darf es keine Denkverbote geben, denn nur wenn Verwaltung und Fraktionen sich auf ein neues Sparpaket verständigen, können wir die Gestaltungshoheit behalten. Sollte eine Verständigung auf ein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept nicht gelingen, werden die Entscheidungen irgendwann außerhalb Grefraths durch die Kommunalaufsicht diktiert oder sogar durch einen Sparkommissar getroffen.

(mab)
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