Stadt Kempen Plädoyer für neues Archiv an alter Stelle

Stadt Kempen · Die Ergebnisse der Studentenwerkstatt über eine künftige Verwendung der Burg liegen auf dem Tisch. Da ist an einige Fakten zu erinnern, die bisher in der öffentlichen Diskussion untergegangen sind.

 Jahrhunderte lang hatte die Kempener Landesburg drei Gebäudeflügel. Die Wiedererrichtung des abgebrochenen dritten Flügels würde gut zu ihrer Geschichte passen.

Jahrhunderte lang hatte die Kempener Landesburg drei Gebäudeflügel. Die Wiedererrichtung des abgebrochenen dritten Flügels würde gut zu ihrer Geschichte passen.

Foto: Clemen, Kunstdenkmäler der Rheinprovinz

Im Frühjahr 1939 verkaufte die Stadt Kempen die Burg an den damaligen Kreis Kempen-Krefeld. Weithin unbekannt ist, dass die Stadt sich dabei ein Vorkaufsrecht vorbehielt für den Fall, dass der Kreis die Burg nicht mehr als Verwaltungsgebäude nutzte. Der Rückkauf sollte auf der Basis des damaligen Verkaufspreises von 30.000 Reichsmark erfolgen. Im Klartext: Falls der Kreis die Burg nicht mehr selber nutzen will - zum Beispiel als Kreisarchiv - steht die Stadt Kempen in der Verantwortung über eine künftige Verwendung der Burg.

 Kempens Landesburg um 1900 aus bisher unbekannter Sicht. Hier war von 1863 bis 1925 das Thomaeum untergebracht.

Kempens Landesburg um 1900 aus bisher unbekannter Sicht. Hier war von 1863 bis 1925 das Thomaeum untergebracht.

Foto: Nachlass Karl Wolters

Ein realistischer Rückkauf-Preis dürfte nicht allzu hoch sein, denn eine umfangreiche Wertsteigerung der Burg ist seither nicht erfolgt. Das Gebäude wurde 1983 für 237.000 Mark für die Zwecke des Archivs umgebaut. Für die Bedürfnisse einer so umfangreichen Einrichtung eine geringe Summe, aber es wurde auch nur das Notwendigste getan. Wünsche, wie sie bei der neuen Errichtung eines Archivzweckbaus selbstverständlich sind, wurden nicht berücksichtigt. Vor allem fehlte eine Raumreserve für die anschwellenden Bestände.

Der Verfasser dieses Artikels ist ein regelmäßiger Besucher des Kreisarchivs. Er trifft dort nur wenige Kempener, vor allem aber Besucher aus anderen Orten. Kein Wunder: Das Kreisarchiv verwaltet neben dem Stadtarchiv Kempen die Archive von weiteren 25 Städten und Gemeinden, dazu die Akten der Kreisverwaltung. Verständlich, dass der Kreis angesichts dieser Proportionen die Möglichkeit eines Neubaus an anderer Stelle erwägt.

Indes: Statistik zeigt nur einen Teil der Wahrheit, Emotionen erfasst sie nicht. Vor allem nicht die tief verwurzelte Verbundenheit der Kempener mit "ihrem" alten Kreis. Sie sind stolz darauf, das Kreisarchiv beherbergen zu dürfen - und begeistert versehen sie ihre Autos mit dem historischen KK, Emblem des Kreises Kempen-Krefeld, dessen Namen am 1. Januar 1975 durch VIE für Kreis Viersen ersetzt wurde. Mit dem Kennzeichen KK lassen die Kempener Lokalpatrioten die Erinnerung an eine Zeit aufleben, da Kempen noch Hauptstadt eines Königreichs war: des Landkreises Kempen-Krefeld, der zwischen den beiden Neugliederungen von 1929 und 1970 mit 32 Gemeinden vom Rhein im Osten bis zur niederländischen Grenze im Westen reichte.

Schließlich war Kempen seit 1816 Kreissitz. Bevor die Kreisverwaltung 1984 Kempen verließ, hatte sie den Kempener Wunsch nach dem Verbleib einiger Einrichtungen des Kreises in der ehemaligen Kreisstadt berücksichtigt. In der nunmehr leer stehenden Burg kamen das Kreisarchiv unter, eine Zweigstelle des Straßenverkehrsamtes und die Kreisvolkshochschule (VHS). Im Zusammenhang mit dem gegenüberliegenden städtischen Kulturforum entstand so ein bemerkenswertes kulturelles Zentrum. Als die Verwaltung der Volkshochschule im Jahr 2003 nach Viersen zog, ist es freilich abgebröckelt, und man fragt sich, warum die Zahl der VHS-Veranstaltungen hier nicht erhöht wird. Dabei ist die VHS in ihrer Raumnot auf die Burg elementar angewiesen. Wenn bei der Volkshochschule der Trend zur Zentralisierung anhält, hat diese in Kempen bald keine Räume mehr. Um so bedauerlicher, weil hier eine kulturell aufgeschlossene Klientel besteht, die über die schiere Fortbildung hinaus Veranstaltungen gehobener Qualität wünscht. Mit dem Wegzug auch des Kreisarchivs aus Kempen würde der Kreis seine geschichtlichen Wurzeln hier vollends kappen.

Und auch dies ist zu berücksichtigen: Am 6. September 1984 überließ die Stadt Kempen ihr historisch bedeutsames Stadtarchiv dem Kreisarchiv zur Verwahrung und Nutzung. Ausdrücklich wurde ein Kündigungsrecht mit zwölfmonatigem Vorlauf vereinbart. Sollte das Kreisarchiv die Stadt tatsächlich verlassen, werden die Kempener ihr wertvolles Kommunalarchiv nicht aus ihren Mauern lassen wollen. Andererseits ist das Stadtarchiv nur sinnvoll zu nutzen, wenn der Benutzer gleichzeitig auch Zugriff auf ergänzende Bestände hat. Angenommen, man findet in einer Akte des Stadtarchivs eine Information über die Kempener Familie Basels; dann möchte man darüber auch in der wissenschaftlichen Bibliothek und dem Zeitungsbestand des Kreisarchivs nachschlagen und in seiner Bildersammlung die entsprechenden Fotos finden. Das wird aber schwierig, wenn das Kreisarchiv beispielsweise in Viersen wäre. Kurz: Eine Trennung von Kreisarchiv Viersen und Stadtarchiv Kempen wäre höchst unzweckmäßig.

Der Neubau eines modernen, auch platzmäßig ausreichenden Archivs an anderer Stelle würde nach Einschätzung des Verfassers, der als Historiker langjähriger Mitarbeiter und Besucher des Kreisarchivs ist, mindestens zehn Millionen Euro kosten. Preisgünstiger und auch für Kempen befriedigend könnte eine andere Lösung sein: Man könnte unter dem jetzigen Parkplatz - nach außen hin unsichtbar - ein unterirdisches Magazin anlegen und das Innere der Burg zeitgemäßen Bedingungen entsprechend umbauen. Zu Schulungs-, Ausstellungs- und anderen Zwecken könnte ein dritter Flügel angebaut werden, der den Hof umschließt. Das stünde in der Tradition der Burggeschichte, denn ein solches Gebäude hat es bis zum Ankauf der Burg durch den Krefelder Seidenfabrikanten Peter von Lövenich (1807) ja gegeben. Als friedensfrommer Mennonit entfestigte Lövenich das Kastell durch den Abbruch des dritten Flügels. 1953 wurde sein Wiederaufbau geplant, um der anwachsenden Kreisverwaltung Platz zu bieten, aber wieder verworfen, als sich ein Neubau am Franziskanerkloster abzeichnete.

Ein erweitertes, modernisiertes neues Archiv an alter Stelle brächte mehrere Vorteile: Die künftige Verwendung der Burg wäre zufriedenstellend gelöst. Kreis- und Stadtarchiv blieben zusammen. Dem einstigen Kreissitz Kempen bliebe ein symbolträchtiges Stück Kreisverwaltung als Erinnerung an eine Jahrhunderte alte Tradition; in Verbindung mit dem städtischen Kulturforum bliebe ein kulturelles Zentrum bestehen. Vor allem aber: Das Kreisarchiv hätte mit relativ geringem Kostenaufwand eine würdige, zeitgemäßen Bedingungen entsprechende Bleibe. Bei entsprechender Gestaltung könnte sie sogar Platz bieten für die Kreisvolkshochschule, die in Viersen am Willy-Brandt-Ring herzlich schlecht untergebracht ist und ein neues Quartier braucht.

(hk-)
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