Serie Vor 80 Jahren Öffentliche Archivpflege startete im Kreis 1936

Kempen · Der Kreis Kempen-Krefeld war beispielgebend beim Erhalt der historischen Schriftüberlieferung. Andere Kreise folgten sehr viel später.

 Das Kreisarchiv besitzt eine umfangreiche Plakatsammlung - hier ein Plakat der SPD für die Bundestagswahl 1949.

Das Kreisarchiv besitzt eine umfangreiche Plakatsammlung - hier ein Plakat der SPD für die Bundestagswahl 1949.

Foto: Kreisarchiv

Kreis Viersen Im Oktober 1936 bestellte das Staatsarchiv in Düsseldorf den 1893 im Münsterland geborenen Lehrer Joseph Deilmann offiziell zum Archivpfleger für den Kreis Kempen-Krefeld, der Beginn öffentlicher Archivpflege im Kreis. In Fachkreisen und in der historisch interessierten Öffentlichkeit war der schwer kriegsverletzte, oberschenkelamputierte Deilmann schon lange kein Unbekannter. Jenseits der aufkommenden Vereinnahmung von Geschichte für die nationalsozialistische Propaganda hatte er wichtige Ergebnisse eigener akribischer orts- und regionalgeschichtlicher Forschungen vorgelegt.

 Der erste Archivpfleger Joseph Deilmann (1893-1957).

Der erste Archivpfleger Joseph Deilmann (1893-1957).

Foto: Kreisarchiv

Am Anfang stand eine Geschichte der Stadt Süchteln, und in zwei Bänden hatte er 1929/30 die Geschichte des herzoglich-jülichschen Amtes Brüggen, das sich ein halbes Jahrtausend lang von Tegelen an der Maas bis nahe Mönchengladbach erstreckt hatte, präsentiert. Das noch immer gültige Werk wurde 1986, 50 Jahre nach Deilmanns Ernennung zum Kreis-Archivpfleger, auf Anregung der SPD-Kreistagsfraktion erneut aufgelegt.

 Diese besonders frühe handgezeichnete Karte befindet sich im Kreisarchiv. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert und zeigt das Gebiet östlich Venlo.

Diese besonders frühe handgezeichnete Karte befindet sich im Kreisarchiv. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert und zeigt das Gebiet östlich Venlo.

Foto: Kreisarchiv

Joseph Deilmann kümmerte sich mit Erfolg um die Archive der Gemeinden. Er verzeichnete Gemeindearchive und trug unter anderem so zu ihrer dauerhaften Sicherung bei. Ein Anfang war gemacht. Dann kam der Krieg mit seinen verheerenden Folgen für Archivgut und Kunstwerke auch im Kreis Kempen-Krefeld.

Gut zehn Jahre nach Deilmanns Einsetzung folgte 1947 unter dem Eindruck der großen Verluste an Kulturgut die formelle Gründung des Kreisarchivs durch Oberkreisdirektor Feinendegen. Ein weiteres Jahrzehnt später, nach Deilmanns Tod im Jahre 1957, erhielt es mit Walter Föhl einen promovierten Historiker als Leiter. Dessen Nachfolger, der Autor dieser Serie, Paul-Günter Schulte und Gerhard Rehm hatten die Ausbildung für den höheren wissenschaftlichen Archivdienst absolviert.

Der Kreis hatte sich damit auf dem Gebiet des Archivwesens an die Spitze der Kreise in Nordrhein-Westfalen gesetzt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil auch Feinendegens Nachfolger Rudolf H. Müller die Bedeutung eines qualifiziert geleiteten Archivs erkannt hatte. Zum Teil erst sehr viel später folgten ihm andere Kreise, zum Beispiel Neuss, Kleve und Wesel. Vor allem in den zwei ersten Jahrzehnten dieser Institution gelang es, neben der Sorge um das kreiseigene Schriftgut ebenso die überwiegend in gänzlich unangemessenem Zustand und hochgradig gefährdet in Rathauskellern und auf Rathausspeichern lagernde Archivalien, die teilweise bis ins 15. Jahrhundert reichten, nach Kempen zu holen, dort zu verzeichnen und den forschenden Benutzern zugänglich zu machen. Das Archiv der alten kur-kölnischen Amtsstadt Kempen ist das bedeutendste unter den zahlreichen im Kreisarchiv versammelten Kommunalarchive.

Man kann sicher davon ausgehen, dass vieles davon in der Nachkriegszeit im Rahmen von Rathausrenovierungen und -umzügen für immer verloren gegangen wäre und zahllose historische Informationen nie Eingang in die orts- und landesgeschichtliche Forschung gefunden hätten.

Dass sehr viele Gemeinden des Kreises, beispielsweise Kempen, Anrath, Neersen, Bracht, Grefrath, Lobberich, Kaldenkirchen, heute über fundierte Ortsgeschichten verfügen, ist in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der durchdachten und stets mit der Archivberatung des Landschaftsverbandes Rheinland abgestimmten Archivpflege seitens des Kreises zu sehen.

Das Kreisarchiv entwickelte sich mehr und mehr zu dem Ort solider orts- und landeskundlicher Forschung im Kreis schlechthin. Das demnächst zum 68. Mal erscheinende Heimatbuch des Kreises Viersen und die inzwischen auf 49 Bände angewachsene wissenschaftliche Schriftenreihe wurden und werden im Kreisarchiv konzipiert und redigiert.

Zur benutzerorientierten Struktur gehört die systematisch und mit erheblichem Finanzeinsatz aufgebaute orts- und landesgeschichtliche Bibliothek mit allen einschlägigen landeskundlichen Fachzeitschriften. Von den grundlegenden Quellenpublikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde bis zur sogenannten "grauen Literatur" des Kreisgebietes, das heißt von der Schützenfestschrift aus Schiefbahn bis zur Feuerwehrfestschrift aus Waldniel, ist der Benutzer hier nicht schlechter bedient als in Universitätsbibliotheken in Düsseldorf oder Duisburg.

Die am intensivsten benutzten Quellen des Kreisarchivs sind in jüngster Zeit die Kirchenbuchkopien seit dem frühen 17. Jahrhundert und die örtlichen Standesamtsunterlagen sei 1798 - Familienforschung hat Konjunktur.

Unter dem nichtkommunalen Archivgut des Kreisarchivs sind die teils kreiseigenen, teils als Depositum hinterlegten Adelsarchive zu nennen, allen voran das Gräflich von Schaesberg'sche Archiv mit seinen bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Urkunden. Für Orte wie Hinsbeck, Leuth, Wankum und Herongen stellt dieses Archiv beispielsweise eine unverzichtbare Originalquelle bis hinein ins späte Mittelalter dar.

(RP)
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