Stadt Kempen Kempen als Zentrum der Reformation

Stadt Kempen · Das ist vielen nicht bekannt: Kempen war Vorreiter der Reformation am Niederrhein. Vor 500 Jahren war die Bevölkerung der aufblühenden Stadt an theologischen Fragen brennend interessiert.

 Kempen um 1640 zeigt diese Rekonstruktion auf der Grundlage einer historischen Federzeichnung.

Kempen um 1640 zeigt diese Rekonstruktion auf der Grundlage einer historischen Federzeichnung.

Foto: peter Bohnes

31. Oktober 1517: Von Wittenberg aus fordert der Theologieprofessor Dr. Martin Luther zur Diskussion über die Zustände in der Kirche auf. In 95 Thesen wendet er sich gegen die weit verbreitete Auffassung, man könne sich durch den Erwerb von Ablassbriefen von seinen Sünden loskaufen. Allein Gottes Gnade und der Glaube an ihn, so Luther, könnten den Menschen erlösen. Seine Kritik löst heftige Diskussionen aus. Auch und gerade in Kempen.

Der Ort ist damals eine fromme katholische Stadt mit intensivem religiösen Leben. Hunderte pilgern alljährlich aus der Nachbarschaft hierhin, um in der Kempener Kirche vor dem Gnadenbild der Madonna um Erlösung von Krankheiten und anderen Nöten zu flehen. Seit die Kirche 1473 als Reliquie ein Haar der Muttergottes erhalten hat, zieht die Statue noch mehr Gläubige an: Bis 1642 ist Kempen der wichtigste Wallfahrtsort am Niederrhein.

Mit ihrer 16-türmigen Mauer, mit ihrer blühenden Wirtschaft ist die Stadt Kempen damals das unbestrittene Zentrum zwischen Rhein und Niers; ihre Fläche ist etwa achtmal so groß wie die des damaligen Krefeld. In solch einem aufstrebenden Gemeinwesen ist man aufgeschlossen für alles Neue und verfolgt interessiert die Nachrichten aus der Welt. Man hat aber auch einen Blick für die Missstände im Inneren, vor allem in der Seelsorge. Der Kempener Pfarrer wirkt nicht vor Ort, sondern lebt auswärts recht angenehm von den umfangreichen Einkünften aus seiner Pfarrstelle. Ein Stellvertreter, ein Geistlicher zweiter Ordnung, nimmt - unterstützt von nur einem Kaplan - seine Arbeit in Kempen wahr. Angesichts der großen Gemeinde ein mühsames Amt. Für die Wege über Land ist der Seelsorger auf Pferd und Wagen angewiesen. Die Mängel in der Betreuung der Gläubigen machen sich in der Ausübung des Glaubens bemerkbar: Nicht einmal das Vaterunser und die Zehn Gebote könne die katholische Jugend auswendig, klagt 1543 ein Vikar.

Andere Missstände kommen hinzu. Seit langem streiten sich der Kölner Erzbischof und der Abt des Klosters Gladbach um die mit Einkünften reich ausgestattete Kempener Pfarrstelle. Die Gläubigen spüren, dass es den hohen geistlichen Herren nicht um die Seelsorge der Menschen geht, sondern um ihr Geld. Bald beginnt es - ausgelöst durch Luthers Kritik an der katholischen Kirche - auch in Kempen zu brodeln. Um 1525 (in Krefeld zum Beispiel erst 1542) sind hier die ersten Anhänger der neuen Lehre anzunehmen. 1543 hat die kleine evangelische Gemeinschaft schon an die 250 Mitglieder - ein Zehntel der damaligen städtischen Bevölkerung.

Die Anhänger der neuen Lehre haben Glück: Kempens Landesherr, der Kölner Erzbischof Hermann von Wied, wendet sich 1542 dem evangelischen Lager zu. Um die Reformation vor Ort zu fördern, setzt er einen treuen Gefolgsmann in die Burg: Den Freiherrn Wilhelm von Rennenberg. Der schützt als erzbischöflicher Amtmann die Anhänger des Evangeliums gegen das katholisch gesonnene Establishment der Stadt. 1543 kommt es zwischen den beiden Konfessionen zu heftigen, teilweise auch handgreiflichen Auseinandersetzungen.

In religiösem Eifer dringen evangelisch Gesonnene in die Kirche ein und entfernen Bilder und Reliquien, da diese das Wesen des Göttlichen auf Äußerliches beschränkten und vom Kern des Glaubens ablenkten. Die Statue der Muttergottes, fordern sie, solle vor der Stadt auf dem Schindanger verbrannt werden, wo sonst nur die Kadaver verendeter Tiere landen. Der Religionsstreit hat die Bevölkerung tief gespalten.

Aber die neue Konfession setzt sich durch. 1545 erhält Kempen seinen ersten evangelischen Pfarrer. Dr. Albert Hardenberg ist ein begnadeter Prediger, zu dessen Gottesdiensten in der heutigen Propsteikirche die Menschen zu Tausenden aus der Nachbarschaft herbeiströmen. Aber als er Mönchen, die von auswärts nach Kempen gekommen sind, die Abnahme der Beichte verbietet, wird er von wütenden Kempenerinen zu Boden geschlagen. Die Katholiken müssen zur Feier ihrer Sakramente in die Heiliggeistkapelle und in die Kapelle des Frauenklosters an der Klosterstraße ausweichen. Das aber wird dem Kaiser Karl V. zu bunt.

Seit 1543 regiert er das Kempen benachbarte Herzogtum Geldern. Argwöhnisch beobachtet er unentwegt , ob die Funken der ketzerischen Lehre nicht in sein Herrschaftsgebiet überspringen könnten. Um das zu vermeiden, veranlasst der Kaiser den Rücktritt des Amtmanns Rennenberg und den Wegzug des Pfarrers Hardenberg.

(hk)
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