Stadt Kempen Jubel in der Paterskirche für Ausnahmegeigerin Mullova

Stadt Kempen · "Ausverkauft" hieß es einmal mehr beim jüngsten Konzert der Kammermusikreihe von "Kempen Klassik". Die berühmte russische Geigerin Viktoria Mullova mit ihrer Klavierbegleiterin Katia Labèque war avisiert, und auffallend viele professionelle Geigerinnen und Geiger aus der näheren und weiteren Umgebung befanden sich unter den Zuhörern. Ernst und mit knapper Verbeugung betrat die Künstlerin das Podium und stürzte sich sogleich in das wohl schwierigste Werk der eigenwilligen Programmfolge - Sergej Prokofjews Solosonate D-Dur op.115. Bereits hier konnte das atemlos lauschende Publikum die stupende Technik der Mullova bewundern - ob allerdings angesichts der neoklassizistischen Grundanlage dieser letzten Komposition Prokofjews für die Violine ein solch' verhärteter Zugriff und eine weitgehend unterkühlte Interpretation nötig waren - darüber lässt sich streiten.

Bei Robert Schumanns Violinsonate a-Moll op.105 aus dem Jahre 1851 gesellte sich Katia Labèque - besser bekannt als die eine Hälfte des renommierten Klavierduos Katia und Marielle Labèque - als Begleiterin am Flügel dazu. Die im Gegensatz zu Frau Mullova weich und freundlich erscheinende Pianistin vermochte es, mit ihrem eleganten, einfühlsamen, selbst im Fortissimo niemals groben Anschlag und der reichen Farbpalette, die sie dem Flügel zu entlocken wusste, mit diesen Tugenden ihre Partnerin zu beeinflussen. Wunderschön sanglich erklangen vor allem die liedhaften Passagen im zweiten Satz, und das "Störrische", das der Komponist unbedingt im Schluss-Satz ausgedrückt wissen wollte, geriet nicht allzu harsch.

Eine von Viktoria Mullovas mit Nachdruck verfolgte Intention ist der Einsatz für die zeitgenössische Musik. Bei dem noch von Debussy beeinflussten Frühwerk des Japaners Toru Takemitsu (1930-1996) "Distance de Fée" und dem Opus "Fratres" des Esten Arvo Pärt (*1935) war der Künstlerin anzumerken, mit wieviel Emphase sie sich als Wegbereiterin dieser Musik sieht. Beide Tongemälde spielte sie - wiederum vorbildlich von Labèque sekundiert - ganz verinnerlicht und fast ohne Pause - sie hatte vorher gebeten, von Zwischenapplaus abzusehen. Namentlich die Komposition Pärts, die es inzwischen in unzähligen Bearbeitungen gibt und deren Fassung für Violine und Klavier im Jahre 1980 von Gidon und Elena Kremer in Salzburg uraufgeführt wurde, nahm durch ihre dynamische "Bogenform" (crescendo/ decrescendo) die Zuhörer ungemein gefangen.

Obwohl Maurice Ravel (1875-1937) selbst einmal äußerte, seine Sonate für Violine und Klavier G-Dur solle die Unvereinbarkeit der beiden Instrumente illustrieren, war bei der Wiedergabe durch Mullova und Labèque davon nicht das Geringste zu spüren. Die lyrischen wie die tänzerischen Passagen des Kopfsatzes, die Jazz-Adaptionen im Mittelsatz, und der als Perpetuum mobile mit zahlreichen schnellen Tonrepetitionen konzipierte Abschluss, das alles präsentierten die Künstlerinnen mit gezügeltem Temperament, makellosem technischem Format und klanglicher Brillanz, die der großvolumige Ton der kostbaren Stradivari noch überhöhte. Schon am Tag nach dem Kempen-Gastspiel war das Duo mit eben diesem Programm im Boulez-Saal in Berlin zu hören - das zeigt, auf welchem künstlerischem Niveau sich "Kempen Klassik" befindet.

(oeh)
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