Serie Mein Lieblingsplatz Im Land der tausend Geschichten

Kempen · Nirgendwo gibt es so viel zu entdecken, wie in einer Bücherei. Wer ein Buch aufschlägt, betritt eine andere Welt. Hier wird geweint und gelacht, mitgefiebert und mitgebangt. Und manch einer vergisst darüber die Zeit.

 Zwischen den Bücherregalen in der Tönisvorster Stadtbibliothek fühlt sich unsere Mitarbeiterin Stephanie Wickerath pudelwohl.

Zwischen den Bücherregalen in der Tönisvorster Stadtbibliothek fühlt sich unsere Mitarbeiterin Stephanie Wickerath pudelwohl.

Foto: Wolfgang Kaiser

Auch wenn die Tönisvorster Stadtbücherei nicht die größte, neueste oder modernste Bücherei im Umfeld ist, für mich ist sie die Schönste, denn ich habe hier und Dank ihr schon viele schöne Stunden verbracht. Wie oft wollte ich nur mal kurz ein Buch anlesen, das mir jemand empfohlen hat, und bin dann, wohlig umfangen von den weichen Kissen des Lesesessels, zwischen den Buchdeckeln verschwunden.

Viele Lieblingsbücher habe ich hier schon gefunden, und das Wissen, dass noch so viele weitere Bücher in den Regalen stehen, die es zu entdecken gilt, so viele, dass es vermutlich für mein ganzes Leben reichen wird, macht mich glücklich. So glücklich, wie mich die Bücher gemacht haben, wenn am Ende alles gut ist, alles passt, alle Rätsel gelöst sind und die Figuren, die mir so ans Herz gewachsen sind, ihre Geschichte zu Ende erzählt haben.

Dann stelle ich das Buch zurück an seinen Platz in einem der vielen Regale und hoffe, dass es noch viele Menschen entdecken und sich mitnehmen lassen auf die Fantasie-Reise, die kaum etwas kostet und doch unendlich viele Welten eröffnet. Und Lesen ist noch mehr als mit der Fantasie auf Reisen zu gehen. Wer viel liest, haben Forscher herausgefunden, verbessert seine Gehirnleistung, denn durch das Lesen wird die Fähigkeit gefördert, geistig in andere Rollen zu schlüpfen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich zu konzentrieren. Auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, wird geschult. Einfallsreichtum und Vorstellungsvermögen wachsen und fördern die Kreativität. Und natürlich wird beim Lesen die Sprache geschult, das Vokabular erweitert, der Horizont verschoben und das Wissen vergrößert. Deshalb finde ich es auch so schön, dass so viele Kinder die Stadtbücherei genauso lieben wie ich. Immer, wenn ich in den Keller komme, wo die Kinder- und Jugendbücher stehen, treffe ich Grundschüler, die nach Piraten- und Räubergeschichten suchen, Detektivromane für Kinder entdecken und mit den "Drei Fragezeichen" Abenteuer erleben.

Auch für Jugendliche hat das Büchereiteam einen Bereich eingerichtet, in dem immer wieder neue Titel stehen, die die Altersgruppe ansprechen. Und auch an Senioren haben die Mitarbeiter gedacht. Es gibt Bücher im Großdruck, und es gibt Klassiker, die in einfacher Sprache neu geschrieben wurden. Und dass sich lesen auch im Alter lohnt, haben Studien belegt: Senioren, die viel lesen, bleiben länger geistig fit und zeigen seltener Symptome einer Demenz.

Außerdem ist Lesen das beste Mittel gegen Stress. Man entflieht dem Alltag, lässt alles Gegenwärtige hinter sich und vertieft sich in die erzählte Handlung. Deshalb sind Bücher, wenn sie nicht allzu spannend sind, eine gute Einschlafhilfe. Und noch was: Lesen macht sexy. Auch das haben Forscher herausgefunden. Menschen mit einem Buch in der Hand wirken intelligent und vermitteln den Eindruck, ein interessanter Gesprächspartner zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders traurig, dass mein Lieblingsplatz ein bedrohter ist. Immer wieder diskutieren die Politiker darüber, die Stadtbücherei aus Kostengründen zu schließen. Sollte das Thema bei der nächsten Haushaltberatung wieder auf den Tisch kommen, rufe ich im Sinne des französischen Schriftstellers Stéphane Hessel: "Empört Euch!" (das Buch gibt es übrigens auch in der Bücherei) und lasst nicht zu, dass diese besondere Oase, dieser Ort der Kultur und der Bildung, diese wunderbare Einrichtung, in der so viele Schätze gehortet werden, aus der Stadt verschwindet.

(RP)
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