Stadt Kempen Erinnerungen an einen Alptraum

Stadt Kempen · Bei der zentralen Gedenkfeier des Kreises Viersen für die Opfer des Nationalsozialismus erlebten die Besucher einen außergewöhnlichen Gast. Der jüdische Zeitzeuge Sally Perel berichtete von seinem Leben als "Hitlerjunge Salomon".

 Viele Kempener kamen auf den Buttermarkt, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.

Viele Kempener kamen auf den Buttermarkt, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.

Foto: Kaiser, Wolfgang (wka)

247 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, darunter 36 Brandstiftungen, 81 tätliche Übergriffe auf Einzelpersonen. Das sind die Zahlen, die das Portal "Mut gegen rechte Gewalt" deutschlandweit im Jahr 2014 zählte. Zahlen, die erschrecken und zeigen, dass rechte Gewalt und extremistisches Gedankengut weiter verbreitet sind, als man denkt. Zahlen, mit denen der Landrat Dr. Andreas Coenen Mittwochabend beim Holocaust-Gedenktag des Kreises Viersen im Forum Franziskanerkloster klar machte, wie wichtig es ist, sich zu erinnern, nicht zu vergessen und aus der Geschichte zu lernen.

Der Landrat erinnerte an die unfassbare Zahl der getöteten Menschen während des nationalsozialistischen Regimes. Nach verschiedenen Schätzungen wurden zwischen 5,3 und knapp über sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens in über 20 Konzentrations- und Außenlagern ermordet. Dazu kommen rund eine halbe Million politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Behinderte sowie Menschen anderen Glaubens und anderer Nationen. Diesen Summen werden erhöht durch die Menschen, die infolge von Krieg, Unterdrückung und Vertreibung ihre Heimat oder ihr Leben verloren. Einer, der überlebte, ist Sally Perel. Doch um welchen Preis dies geschah, verdeutlichte der 90-Jährige bei der Gedenkfeier. Auf Einladung der Veranstalter - Volkshochschule, Katholisches Forum, Kulturamt Kempen - war der in Israel lebende Perel angereist. Weil er vielen durch seine Biografie oder deren Verfilmung "Ich war Hitlerjunge Salomon" bekannt ist, herrschte im Veranstaltungsraum eine spürbare Spannung.

 Gast bei der Gedenkfeier war Sally Perel. Mit ihm (v.l.): VHS-Direktorin Bianca Goertz, Volker Rübo und Dr. Andreas Coenen.

Gast bei der Gedenkfeier war Sally Perel. Mit ihm (v.l.): VHS-Direktorin Bianca Goertz, Volker Rübo und Dr. Andreas Coenen.

Foto: Wolfgang kaiser

Sally Perel erlebte nicht die Ängste der Verfolgung und das Grauen eines Konzentrationslagers, sondern eine andere Art des Bösen. "Ich erlebte die Zeit unter den Nazis versteckt unter der Hand des Feindes", berichtete Perel. Er lebte als Junge drei Jahre unerkannt in einer Elite-Anstalt der Hitlerjugend unter dem Namen Jupp Perjell. Das war ein Alptraum, der erst mit der Befreiung durch die Amerikaner endete. "Ich war ein ängstlicher Junge, für den die drei Jahre nicht drei Jahre, sondern eine Ewigkeit waren. Ich war zutiefst verzweifelt und hatte Angst, entdeckt und hingerichtet zu werden", beschrieb er seine damalige Situation.

Perel sprach von Menschen in braunen und schwarzen Uniformen mit Hakenkreuzen, die ihn umgaben, und von jungen Menschen, die zu Hass erzogen wurden. "Unter den Uniformen müssen doch normale Menschen und keine Monster gewesen sein. Sie hatten doch alle Familien, Eltern, Kinder. Es war erschreckend zu wissen, dass es normale Menschen waren, die zu solchen Verbrechen fähig waren", sagte Perel. Eindrucksvoll schilderte der 90-Jährige, wie die Nationalsozialisten damals die Kontrolle über sein Denken übernahmen. "Meine Seele war in zwei Teile geteilt. Das ist bis heute so geblieben. Ich war Jude und Nazi in einem Körper", so Perel. Er sprach von zwei sich tödlich gegenüberstehenden Seelen. Eine Selbstverleugnung setzte ein und er wurde ein Hitlerjunge. Er lernte Rassenkunde und erfuhr, warum die Juden laut Hitler vernichtet werden mussten. Perel lernte eine Weltanschauung kennen, die überzeugend und mit wissenschaftlichen Beweisen daherkam. "Es gab keinen Zweifel an der Richtigkeit. Unter anderen hatten die Nazis viel aus dem Darwinismus übernommen. Für Leichtgläubige war alles nachvollziehbar und es fing an zu wirken", beschrieb er die damalige Vorgehensweise. Bei ihm selber habe es sich tief ins Unterbewusstsein verankert, fügte er an. Perel warnte davor, allgemeines Wissen einfach anzunehmen. Vielmehr stellte er das kritische Hinterfragen in den Vordergrund.

Perel erinnerte daran, dass Geschichte der beste Lehrmeister ist, da man an ihr sehen kann, welche Fehler begangen wurden. Fehler, die nicht mehr passieren dürfen.

(tref)
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