Serie Jubiläum Des Luise-Von-Duesberg-Gymnasiums (2) Ein Lyzeum mit Niveau

Kempen · Die unmittelbare Vorgängerin des heutigen Luise-von-Duesberg-Gymnasiums war eine private höhere Mädchenschule. 1892 nahm sie im heutigen Annenhof ihren Betrieb auf. 1909 wurde sie zum Lyzeum erweitert und zog 1911 an die Vorster Straße.

 Im heutigen Annenhof begann vor 125 Jahren der Unterricht für 22 Schülerinnen der zweiten höheren Mädchenschule Kempens.

Im heutigen Annenhof begann vor 125 Jahren der Unterricht für 22 Schülerinnen der zweiten höheren Mädchenschule Kempens.

Foto: Wolfgang Kaiser

KEMPEN Kempen 1890: Eine katholische Stadt leckt ihre Wunden. Gerade ist der "Kulturkampf" zu Ende gegangen - jene Epoche der deutschen Geschichte, in der der preußisch-evangelische Reichskanzler Otto von Bismarck den öffentlichen Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen versuchte. In Kempen hat das dazu geführt, dass die Pfarrstelle von 1876 bis 1887 unbesetzt blieb; dass 1877 der Bürgermeister Theodor Mooren entlassen wurde; vor allem aber: Dass am 1. September 1875 die von den Ursulinen geführte höhere Mädchenschule, 1867 gegründet, aufgelöst worden ist. Nach nur acht Jahren erfolgreicher Erziehungsarbeit mussten die Ursulinen-Schwestern die Stadt verlassen, und mit ihnen ihr Hausgeistlicher, Pater Arnold Janssen. In Steyl bei Venlo wird er eine weltweit tätige Missionsgesellschaft aufbauen. Auf all das reagieren die Katholiken, 93 Prozent der Kempener Bevölkerung, mit Unverständnis und Verbitterung.

Ziemlich angeschlagen, sammelt der Katholizismus nun seine Kräfte, versucht, sich neu zu organisieren. Pfarrer Jakob Freudenhammer und der katholische Gemeindevorstand machen sich daran, in Kempen ein katholisches Erziehungssystem aufzubauen: ein Waisenhaus, einen Kindergarten und schließlich eine höhere Töchterschule. Der Stadtrat stimmt dem gerne zu; einmal, weil er ebenfalls katholisch gesonnen ist. Vor allem verspricht er sich eine Entlastung im Erziehungssektor.

Die Anregung, eine neue höhere Mädchenschule zu gründen, haben die Kempener aus der Nachbarschaft bekommen - aus Mülhausen. Dort haben im Januar 1888 Schwestern vom Orden Unserer Lieben Frau eine noch heute bestehende Privatschule gegründet. Erklärtes Ziel der Ordenskongregation ist es, die christliche Botschaft an Kinder, vor allem an Mädchen, durch entsprechende Persönlichkeitsbildung weiter zu geben. Wenn man diesen hoch angesehenen Orden nach Kempen holt, so das Kalkül der Pfarrgemeinde und der Fraktion der katholischen Zentrumspartei im Kempener Stadtrat, dann wird er in der Thomasstadt die katholische Sache stärken. Der Plan geht auf: Am 21. April 1892 nimmt im heutigen Annenhof an der Oelstraße, wo bis 1878 das Hospital zum Heiligen Geist untergebracht war, die private höhere Mädchenschule des Ordens Unserer Lieben Frau ihren Betrieb auf. Sie ist die unmittelbare Vorgängerin des heutigen Luise-von-Duesberg-Gymnasiums (LvD). Die Schule machte sich einen Ruf vor allem durch eine profilierte Leiterin: Schwester M. Beatrix, Direktorin von 1898 bis 1918 und von 1926 bis 1936. In Kempen wurde sie geliebt und gefürchtet zugleich.

 Seit 1911 sieht der heilige Josef gütig auf alle herab, die das einstige Lyzeum an der Vorster Straße betreten.

Seit 1911 sieht der heilige Josef gütig auf alle herab, die das einstige Lyzeum an der Vorster Straße betreten.

Foto: Kaiser Wolfgang

Das hohe Schulgeld - 60 Mark im Jahr - hat den Besuch der neuen Anstalt zunächst klein gehalten. Sechs Jahre nach ihrer Gründung verzeichnete die Liebfrauenschule - Kempens zweite Töchterschule nach der im Kulturkampf vertriebenen Schule der Ursulinen - erst 38 Schülerinnen. Ein weiterer Grund für die geringe Zahl war, dass eine solche Privatschule das Niveau einer höheren Jungenschule nicht erreichen konnte. Der Volksmund gab den Mädchen an solchen Schulen den Spottnamen "Höhere Töchter". Den Durchbruch brachte im Jahre 1909 im Rahmen einer staatlichen Bildungsreform die Umgestaltung der katholischen Ordensschule zu einem Lyzeum. Das wurde nun von der preußischen Schulaufsicht kontrolliert und ähnelte noch am ehesten einer Realschule: Die erste Klasse setzte mit dem Erreichen des schulpflichtigen Alters ein, und der Abschluss der zehnten berechtigte unter anderem zum Besuch weiterführender Fachschulen, zum Beispiel einer Handelsschule für Mädchen. War bisher die "Erziehung zu echter Weiblichkeit" das Hauptanliegen gewesen, wurde der Lehrplan nun ausgebaut; der naturwissenschaftliche Unterricht wurde erweitert. Das machte die Anstalt attraktiver und steigerte das Bildungsniveau. Weltliche Pädagogen traten zu den Ordensschwestern; Staat und Stadt gewährten finanzielle Zuschüsse; das Schulgeld konnte ermäßigt werden und bemaß sich künftig nach Fleiß und Leistung.

In seiner 1983 erschienenen Schulgeschichte hat Dr. Helmut Grießmann, Schulleiter von 1974 bis 1993, festgestellt: "Mit der Anerkennung ihrer höheren Töchterschule als private höhere Mädchenschule im Jahre 1909 besaß die Kreisstadt endlich eine Einrichtung, die den höheren Bildungsansprüchen weiter Elternkreise für ihre Töchter entsprach." 1925 erreichte das Kempener Lyzeum mit 276 Schülerinnen einen Höhepunkt seiner Entwicklung.

 In Kempen geliebt und gefürchtet zugleich: Schulleiterin Schwester Beatrix.

In Kempen geliebt und gefürchtet zugleich: Schulleiterin Schwester Beatrix.

Foto: Propsteiarchiv

Für diese stets größer werdende Schule reichten die Räume im alten Hospitalgebäude an der Oelstraße, im heutigen Annenhof, nicht mehr aus. Hier waren ja auch das Waisenhaus und der Kindergarten untergebracht, finanziell getragen von der katholischen Pfarrgemeinde, bezuschusst von der Stadt und geleitet von den Schwestern Unserer Lieben Frau. Zum neuen Quartier der höheren Mädchenschule wurde an der Vorster Straße - heute Nr. 8 - das 1858 errichtete Haus des verstorbenen Notars Maximilian Meckel. In dessen Familie war die Förderung der Mädchenbildung Tradition: die Frau des Notars hatte bereits die Gründung der 1867 errichteten Ursulinen-Schule unterstützt. Zunächst wurden hier Privaträume angemietet. Dann kaufte der Schulträger, also die Pfarrgemeinde, das Haus von Meckels Tochter Minna. Während die Schulschwestern weiterhin im Annenhof an der Oelstraße wohnten, zog ihre Schule am 15. September 1911 zur Vorster Straße um. Hier wurden in den nächsten Jahren größere Umbauten vorgenommen. Als deren Krönung kam die Statue des heiligen Josef, Schutzpatron der Kinder, der Jugendlichen und der Erzieher, an die Nordfassade über dem Haupteingang. Bis heute hat sie dort ihren Platz behaupten können.

Ab dem 1. Februar 1912 trug die Höhere Mädchenschule den Namen: "Lyzeum Unserer Lieben Frau". Schulträger blieb weiterhin die katholische Pfarrgemeinde, bis sie 1931 durch einen eigens gegründeten Schulträger-Verein abgelöst wurde. Aber nach wie vor speiste sich die Finanzierung der Schule und der Lehrergehälter aus verschiedenen Quellen: aus dem Schulgeld, das die Eltern zahlten; aus den Zuwendungen des Ordens Unserer Lieben Frau; aus den Zuschüssen der Stadt und der katholischen Pfarrgemeinde.

Festzuhalten ist: Kempens heutiges Luise-von-Duesberg-Gymnasium hat seine Wurzel in zwei höheren Mädchenschulen, die nacheinander in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden - wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Die Schule der Ursulinen, die 1867 ihren Betrieb an der Engerstraße aufnahm und dann nur acht Jahre bestand, war durch die Initiative von Frauen der Kempener Führungsschicht zustande gekommen, die ihren Töchtern eine angemessene Bildung ermöglichen wollten. Ein Beitrag zur Emanzipation. Die höhere Töchterschule der Schwestern Unserer Lieben Frau, die 1892 an der Oelstraße startete und 1911 zur Vorster Straße umzog, stand hingegen im Zeichen einer Neuorganisation der katholischen Kräfte nach den Kränkungen und Einbußen, die diese im Kulturkampf erlitten hatten.

In der nächsten Folge: Das Lyzeum im Dritten Reich

(hk-)
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