Serie Jubiläum Des Luise-Von-Duesberg-Gymnasiums (4) Das Kriegsende und der Neubeginn am Gymnasium

Stadt Kempen · Im November 1944 stellt die Mädchenoberschule ihren Unterricht ein. Im Keller logieren nun Feuerwehr, Polizei und der Stadtkommandant. Im Oktober 1945 gelingt die Wiedereröffnung im alten Lyzeum an der Vorster Straße.

 In der Mädchenvolksschule am Hessenring (mittleres Gebäude, im Zuge der Kempener Altstadtsanierung 1968 abgerissen) war die Mädchenoberschule von September 1946 bis Oktober 1948 untergebracht.

In der Mädchenvolksschule am Hessenring (mittleres Gebäude, im Zuge der Kempener Altstadtsanierung 1968 abgerissen) war die Mädchenoberschule von September 1946 bis Oktober 1948 untergebracht.

Foto: Kreisarchiv

KEMPEN Der Zweite Weltkrieg nimmt die Kempener Mädchenoberschule, die Vorgängerin des heutigen Luise-von-Duesberg-Gymnasiums (LvD), ziemlich mit. 1943 wird das damalige Schulgebäude, das ehemalige Knabenkonvikt, Moorenring 1, durch eine Luftmine beschädigt, die vor der gegenüber liegenden Burg explodiert ist. Bis zur notdürftigen Wiederherstellung der Räume findet der Unterricht für einige Monate im Thomaeum statt. Beide Schulen wechseln sich vormittags und nachmittags im Schichtbetrieb ab.

 Die Lehrerinnen der damaligen Mädchenoberschule 1946 - zweite von links sitzend die Direktorin Dr. Katharina Sittartz.

Die Lehrerinnen der damaligen Mädchenoberschule 1946 - zweite von links sitzend die Direktorin Dr. Katharina Sittartz.

Foto: LVD-ARCHIV

Am 6. Juni 1944 sind die Amerikaner und Engländer in der Normandie gelandet. Als der Unterricht nach den Sommerferien am 4. September 1944 wieder beginnt, stehen die Engländer bei Eindhoven, und Kempen liegt permanent unter Luftangriffen. Immer wieder heulen die Sirenen, Schülerinnen und LehrerInnen hasten in den Keller, kommen manchmal erst abends wieder raus, wenn per gleich bleibendem Sirenenton "Entwarnung" gegeben worden ist. Die letzte Zeugniskonferenz im Krieg findet am 16. Juli 1944 im Keller statt, am 7. Oktober werden die Kempener Schulen offiziell geschlossen. Nun geht der Unterricht inoffiziell in kleinen Gruppen weiter: Für die Kempener Kinder im Schulkeller, für die auswärtigen in deren Heimatorten, und das Lehrpersonal fährt - immer wieder vor Tieffliegern Deckung nehmend - mit dem Rad dorthin. Erst nachdem am 8. November 1944 eine Bombe auf dem Schulhof einschlägt und die knapp 50 Kinder im Luftschutzkeller nur knapp verfehlt, findet kein Unterricht mehr statt.

Als die letzten Schülerinnen den Schulkeller verlassen haben, quartieren sich in ihm die Kempener Feuerwehr und Polizei ein. Die erwachsenen Wehrmänner sind fast alle Soldat geworden. So sind es vorwiegend 15- und 16-jährige Jungen, angeführt von ihrem Wehrleiter Jakob Merkens, die nun ziemlich ausgepumpt neben den Polizisten auf Vierfachpritschen im Keller der beschädigten Mädchenoberschule liegen und auf den nächsten Einsatz warten. Warum sind sie gerade hier einquartiert worden? Der Grund liegt in der schnellen Kommunikation zum örtlichen Luftschutzleiter, dem Kempener Polizeichef Otto Brummack. Der sitzt seit kurzem mit seiner Einsatzleitstelle für Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz gegenüber vom Schulgebäude im massiven mittelalterlichen Keller der Kempener Burg. Wenn überraschend Bomben gefallen sind, funktioniert oft das Telefon nicht mehr. Da kann Brummack die paar Schritte zum gegenüber liegenden Schulkeller eilen, um Feuerwehr und Polizei zum Einsatz zu schicken.

Mitte Februar 1945 bekommt Kempen einen Stadt- und Kampfkommandanten: den Oberstleutnant Sittig - sein Vorname ist uns nicht überliefert. Der hochrangige Wehrmachtsoffizier verkündet: "Kempen wird bis zum letzten Stein verteidigt!" Seinen Gefechtsstand richtet er im Keller der Mädchenoberschule ein, denn hier befindet sich die einzige Truppe, über die er verfügt: Die Jungs bzw. Männer von Feuerwehr und Polizei. Die sollen am militärischen Einsatz teilnehmen, obwohl sie gar nicht dafür ausgebildet sind, und sind nun als "harter Kern" der Verteidigung unmittelbar dem Stadtkommandanten unterstellt. Die Feuerwehrleute schieben Wache an militärisch wichtigen Punkten - beispielsweise an der Panzersperre, die man an der Engerstraße vor dem kleinen Lebensmittelgeschäft Thielebein (heute: Eisladen Paradys) errichtet hat - dort, wo der Donkwall einmündet. Soldaten gleich haben sie dabei den Stahlhelm auf und den Karabiner umgehängt, mit dem sie freilich kaum umgehen können.

In den Augen vieler Kempener gilt Oberstleutnant Sittig als Großmaul. Sein engster Mitarbeiter ist eine Frau - eine Französin, die er vom Rückzug aus dem Westen mitgebracht hat. Um die obskure Beziehung zu tarnen, trägt sie die Uniform einer deutschen Luftwaffenhelferin. Als dann am 27. Februar 1945 die Amerikaner auf Waldniel vorrücken, gibt der Mann, der vor kurzem noch verkündet hat, Kempen bis zum letzten Stein zu verteidigen, Fersengeld: "Wir machen jetzt auf die andere Rheinseite", verkündet Sittig vorher den Feuerwehrmännern, die sich unter seinem Kommando im Schulkeller bereit halten. Er fragt die Wehrmänner, ob sie nicht mitkommen wollten. Das ist eine klare Aufforderung, ihren Posten im Stich zu lassen. Aber da macht Wehrleiter Jakob Merkens nicht mit: "Wir sind Kempener Jungs, wir gehören jetzt in unsere Stadt!" Sittig hat in einem Kellerraum der Schule ein Waffenmagazin angelegt, voll gepackt mit Maschinengewehren und Panzerfäusten. Aber nicht die Waffen will er mitnehmen, sondern Lebensmittelvorräte, vor allem Hartwürste, die er in einem anderen Raum gelagert hat. Die Feuerwehrleute packen ihm dann auch die Lebensmittel in seinen Pkw. Die Waffen entsorgen sie am nächsten Tag auf dem Schulhof in einer Abfallgrube. Da liegen sie möglicherweise noch heute - tief in der Erde hinter der Post.

Noch am 24. Februar haben amerikanische Jagdbomber das Kempener Bahnhofsgelände angegriffen. Eine Bombe trifft das nahe gelegene Schulgebäude, zerstört das Treppenhaus und reißt die rückwärtige (Süd-) Front des Hauses auf. Monate lang ist das mit großen finanziellen Opfern zur Schule ausgebaute Haus am Moorenring dem Wetter ausgesetzt, ohne sicheres Dach, mit teilweise eingestürzten Außen- und Innenwänden, mit fehlenden Treppen, weitgehend ohne Fenster und Türen und mit Bergen von Schutt. Die Not leidende Bevölkerung plündert die Ruine des bombenzerstörten Schulgebäudes. Die amerikanische Besatzung nimmt die noch brauchbaren Möbel in ihre Quartiere in die Burg. Als die GIs am 23. September 1945 abziehen, holen einige ältere Schülerinnen, von einer Lehrerin angeführt, auf Handwagen ihre Möbel aus der Burg zurück und stellen sie im unweit gelegenen Kramer-Museum ab. Die farbigen Soldaten hindern sie nicht, sie haben für die Lage der faktisch rechtlosen Deutschen Verständnis: "We are slaves and you are slaves, we must stick together", sagen sie.

Eine trostlose Situation. Nach der Schulauflösung am 8. November 1944 sind viele Schülerinnen durch Flucht und Arbeitsdienst in alle Winde zerstreut worden. Von den Lehrern sind zum Kriegsende nur wenige in Kempen geblieben. Erst im Laufe des Sommers kehren die meisten auf abenteuerlichen Wegen zurück. Aber wovon leben? Am 1. Mai 1945 ist den Lehrern ihre Gehaltszahlung eingestellt worden.

(hk-)
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