Analyse Das Festival braucht einen Schub

Kempen · Beim 31. Internationalen Jazzfestival brummte am Freitag die Hütte — am Samstag fehlten mehrere hundert Besucher. Warum es nicht reicht, dass Festival über die Genre-Grenzen hinweg zu öffnen.

 Die Jazzpianistin Marialy Pacheco spielte am Freitagabend mit dem WDR-Funkhausorchester auf der Festhallenbühne.

Die Jazzpianistin Marialy Pacheco spielte am Freitagabend mit dem WDR-Funkhausorchester auf der Festhallenbühne.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Viersen Was gibt es Schlimmeres für einen Künstler, als auf der Bühne zu stehen und leere Stuhlreihen anzusingen? Ausgebuht zu werden, wahrscheinlich. So weit kam es am Samstagabend in der Festhalle nicht, und Joy Denalane machte ihre Sache großartig. Doch die populäre Sängerin, die in diesem Jahr mit "Gleisdreieck" ein neues Album veröffentlicht hat, drang nicht durch. Nach und nach verließen Zuschauer den Saal.

Dass der dröhnende Sound nur schwer zu ertragen, die Sängerin kaum zu verstehen war, ist das Eine. Dass überhaupt so wenig Besucher kamen, das Andere. Mit 1250 Gästen konnten die Veranstalter am Freitagabend auf ein ausverkauftes Haus blicken, als Jazzpianistin Marialy Pacheco mit dem WDR-Funkhausorchester und danach Max Mutzke auftraten. Am Samstagabend fanden nur 650 Musikfreunde den Weg in die Festhalle. Für einen Abend mit einer Sängerin wie Joy Denalane ein intimer Rahmen.

Seit Jahren wird in Viersen über die Öffnung des Jazzfestivals über Genre-Grenzen hinweg diskutiert. Da mögen sich den Jazzpuristen die Nackenhaare aufstellen, die Macher bleiben bei ihrem Konzept - weil die auftretenden Musiker gern experimentieren, in vielen Genres zu Hause sind. Weil die Öffnung in Richtung Pop oder Soul ein Marketinginstrument ist, das auch jüngere Musikfans in die Festhalle locken und so das Festival lebendig halten soll. Die Idee: Wer für einen Pop-Act zum Festival kommt, besucht vielleicht auch ein Konzert in einem anderen Saal. Und kommt dort mit Jazz in Kontakt. Das Vorhaben ist gut gemeint. Doch es reicht nicht, das Festival zu öffnen - man muss es auch bekannt machen. Plakate in dezentem Blau-Grün fallen im Straßenbild kaum auf. Gut zu lesen im Vorbeifahren: der Schriftzug ,Jazz'. Eher schlecht zu lesen: die Namen der Künstler. Macht doch nichts, mag man rufen - wer weiß, dass beim Jazzfestival alles drin ist, der weiß, dass es da auch Pop und Soul und Hip-Hop gibt. Und was ist mit denjenigen, die davon ausgehen, dass beim Jazzfestival nur Jazz drin steckt? Werden sie nach Pop im Jazzfestival suchen? Eher nicht. Wer prüft denn, ob im Supermarkt nicht die Currywurst ins Vegetarier-Regal sortiert wurde?

Wenn der Plan aufgehen soll, den die Macher verfolgen, dann müssen sie Wege finden, die Musikfans zu erreichen, die sie bislang nicht erreicht haben. Festival-Organisator Tobias Kremer fordert einen höheren Werbeetat - der jetzige sei "eine Miniatur". Auch die Kommunikation müsse sich ändern, wenn "man an ein Publikum ran will, das jünger ist als 50 Jahre", erklärte er gestern. Es müsse eine Wende her.

Bleibt es so wie bislang, sind alle unglücklich: die eingefleischten Jazz-Fans, die sich mit Pop konfrontiert sehen, die Pop-Fans, die nicht ahnen, dass vor ihrer Haustür großartige Künstler Station machen, und die Künstler, die vor leeren Stuhlreihen spielen müssen.

(RP)
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