Kreis Viersen Ausgespielt

Kreis Viersen · Erst war es nur ein Spiel. Dann wurde es eine Sucht, die alles bestimmte. Ein Viersener schildert, wie er neun Jahre seines Lebens verzockte - und sich selbst dabei verlor.

 Wenn das Glücksspiel zur Abhängigkeit wird: Auch im Kreis Viersen steigt die Zahl der Menschen, die regelmäßig um Geld spielen.

Wenn das Glücksspiel zur Abhängigkeit wird: Auch im Kreis Viersen steigt die Zahl der Menschen, die regelmäßig um Geld spielen.

Foto: M. Scholz

Dunkle Augenringe, ein abgemagertes Gesicht und ein Blick, der vor Angst flackerte. So sah sich Tom (Name von der Redaktion geändert) im Spiegel und erkannte sich selbst nicht. Der 28-Jährige erschrak: Wer war dieser Mann? Wie hatte er sich nur so verändern können? So wollte Tom nie aussehen, so wollte Tom nie sein. Er musste raus - raus aus der Spielhölle.

Ganz allmählich kam die Sucht. Zu groß war die Verlockung, zu schnell fielen die Münzen klirrend aus dem Automaten: "An manchen Tagen habe ich dreistellige Beträge gewonnen", erzählt der heute 29-Jährige. Doch es war nicht der bequeme Reichtum, der Tom faszinierte. Es war das Spielen.

Nur im Dunkel des Casinos erlebte er die intensivsten Emotionen: "Wenn der Automat lief, fühlte ich Spannung und Aufregung - alles zusammen. Mein Mund war trocken", erinnert er sich. Zu den Hochgefühlen kam der Ärger, die Wut. Wenn er verlor, war die nächste Runde schon so gut wie gespielt. Denn Tom wollte vor allem eines - gewinnen und das Glück beim Spiel spüren.

Gewonnen hatte er bei seinen ersten Spielen in der Kneipe auch. "Während der Ausbildung hatte ich einen Kollegen in die Kneipe begleitet und zugeschaut, wie er spielte", erzählt Tom. Irgendwann schmiss auch er die Münzen in den Schlitz. Die Musik ging an, die bunten Scheiben rotierten und Tom gewann: "Es war so einfach." Ob es Zufall war, dass Tom nach der Arbeit immer bis zu 45 Minuten auf den Zug warten musste und ihm das Casino in der Nähe auffiel? Erst überbrückte er dort nur die Wartezeit, verspielte ein, zwei Euro. Doch das reichte ihm bald nicht mehr - er lebte für das Spiel. Er verzockte alles an den Automaten oder am Kartentisch. Schnell wechselten dort die 20- und 50-Euro-Scheine die Besitzer, dazu floss reichlich Alkohol.

"Dann fing ich auch noch an zu kiffen", erzählt er. Und Tom zockte immer weiter. Die Miete, sein Lohn - das reichte bald nicht mehr. Er bettelte seine Eltern oder Verwandten an, lieh sich Geld von ihnen. Seine Wohnung verlor er. Essen spielte keine Rolle mehr. "Ich habe sehr viel Geld verloren", erinnert er sich. Je mehr er verlor, desto stärker war der Wunsch zu gewinnen. Das Geld, das ihm die Automaten genommen hatten, das wollte Tom zurück. Niemand konnte ihm aus der Sucht befreien - weder seine Freundin, noch seine Eltern. "Meine Eltern kamen ins Casino, wollten mich da rausholen. Doch ich hörte auf keinen."

Tom ist kein Einzelfall. Jeder Zehnte im Kreis Viersen spielt regelmäßig um Geld - die Tendenz steigt, weiß Dietmar Lufen vom Fachbereich Prävention bei der Suchtberatung Kontakt-Rat-Hilfe. "Ich kenne Klienten, die wenig verdienen oder Hartz IV bekommen. Sobald das Geld da ist, gehen sie in die Spielhalle und bleiben dort, bis sie alles verloren haben", schildert Lufen. Für den Rest des Monats hätten sie nur trockenes Brot. Familien zerbrechen an der Sucht: "Wir arbeiten mit Familienvätern, die eine Zeit lang heimlich versucht haben, ihre Verluste auszugleichen.

Da sich die Systeme der Spielautomaten nicht überlisten lassen, verlieren sie immer weiter - bis sie die Miete nicht mehr zahlen oder Kleidung für ihre Kinder nicht mehr kaufen können", so Lufen. Vereinsamung, Depressionen, Scham, Geldnot: Die suchthafte Suche nach dem Glück im Spiel führe oft ins Unglück.

Auch Tom war in der Hölle - und ist zurück. Als er sich vor seinem Spiegelbild fürchtete, depressiv war und vor Angst nicht mehr schlief, suchte er Hilfe: "Ich ging zur Drogenberatung, machte eine Entgiftung." Das war vor einem Jahr. Stationäre Therapien folgten, noch immer geht Tom zu einer Gesprächsgruppe. Jetzt freut er sich auf den Beginn der Umschulung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann.

"Ich habe neun Jahre meines Lebens verschenkt", sagt er. Am Casino kann er inzwischen vorbeigehen. Und auch im Spiegel erkennt er sich wieder - und sieht den Menschen, der er sein will. Ein Mensch, der hofft auf Erfolg, Liebe und Glück. Diese Hoffnung will er nicht verspielen. Nie mehr.

(busch)
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