Kempen Altsein als Kunst

Kempen · Eine etwas andere Sicht auf das Altern präsentiert morgen der Autor und pensionierte Pädagoge Erich Schützendorf im Atelier van Eyk in Leuth. Die Besucher erwartet ein ebenso kenntnisreicher wie pointiert-humorvoller Vortrag.

"Hinter Münster wird man nicht mehr gegrüßt", sagt Erich Schützendorf, und er muss es wissen. Auf einer Rikscha-Tour "vom Kölner Dom bis zum Brandenburger Tor", die der heute 67-Jährige kurz nach der Pensionierung 2015 mit einem langjährigen Freund unternahm, hatten beide reichlich Gelegenheit, die Mentalitäten der Menschen in den Landstrichen zwischen Rhein und Spree zu ergründen. Doch das Kennenlernen allein reichte dem langjährigen Fachbereichsleiter und späteren Direktor der Volkshochschule des Kreises Viersen nicht.

Schützendorf, der in Tönisvorst lebt und seine pädagogische Berufung ein Arbeitsleben lang mit großer Leidenschaft ausübte, nahm auch auf jener Abenteuerreise, die er zur Feier des Endes seiner Berufstätigkeit absolvierte, den Bildungsauftrag ernst. Seine Mission, wie schon in den Jahrzehnten zuvor: denjenigen Wertschätzung, Interesse und Zuwendung zu verschaffen, die in einem Lebensabschnitt stehen, der landläufig mit Begriffen wie Siechtum, Verfall und Verlust der Autonomie gleichgesetzt wird.

Diese fast ausschließlich abwertende Sicht wurmt den erfahrenen Diplompädagogen. Immer schon. In die Rückseite der Rikscha hatten die beiden Freunde eine Puppentheaterbühne eingebaut. Auf dem Programm das Stück "Der demente Wolf, der vergaß Rotkäppchen zu fressen".

Die Dementen, die Pflegebedürftigen, die auf Hilfe angewiesenen Alten, davon ist Erich Schützendorf überzeugt, können den in der Tretmühle von Leistungsoptimierung und Produktivitätsmaximierung Gefangenen ganz viel geben - wenn diese denn bereit sind, sich auf sie einzulassen. "Wenn eine greise Dame versonnen mit dem Finger durch eine Pfütze verschütteten Tees auf der Tischplatte fährt, dann wohnt diesem Akt eine beinahe künstlerisch zu nennende Freiheit inne", sagt Schützendorf. "Nicht unsinniger als etwa ein dadaistisches Gedicht. Warum sie nicht einfach machen lassen, das Schöne darin sehen, den ,anderen Blick' zulassen?"

Dem ernsten Thema der zwangsläufigen Gebrechlichkeit dabei immer auch mit einem Quantum Humor zu begegnen, das liege ihm einfach im Blut, sagt Schützendorf und ergänzt: "In mir ist eine Heiterkeit." Er sei, obwohl überzeugter Alt-68er, "immer eine Spur zu lustig" gewesen, um als "richtig" links durchzugehen. Was ihn nicht davon abhielt, als Buchautor und in verschiedenen Funktionen in der Altenpflegeausbildung mit pointierte Kritik und provokanten Thesen am Status quo der Ausbildung für die Altenpflege hierzulande zu rütteln. Sein Beharren auf dem "Recht der Alten auf Eigensinn" - so ein Buchtitel - oder seine Kritik an den geltenden Kriterien für Bewerber auf einen Altenpflege-Beruf, mischten die Altenpflegeszene in Deutschland gehörig auf.

Davon, dass Schützendorf sich nach wie vor aufs Provozieren versteht, bei zugleich profunder Sachkenntnis, können sich die Besucher seines Vortrags am morgigen Sonntag ein Bild machen. Im Atelier van Eyk wird er wortgewandt und humorvoll davon berichten, dass der letzten Lebensphase durchaus Qualitäten innewohnen. Neben der Aufklärung über die Vorzüge von Gelassenheit durch Verlangsamung verspricht der erfolgreich alt gewordene Altersexperte auch Erhellendes zum Thema entspannte Alters-Erotik.

(RP)
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