Serie Mein Viertel Siedlung mit dem Charme der 50er Jahre

Moers · Nach dem Krieg entstanden im Geisbruch dringend benötigte neue Wohnhäuser. Anne Holzgräfe wohnt - mit kurzer Unterbrechung - seit 1954 im Viertel. 50 Pfennig zahlten ihre Eltern damals für einen Quadratmeter Grund.

 Anne und Wolfgang Holzgräfe vor ihrem Haus. An einen Umzug haben sie nie gedacht. "Die Lage ist zentral und ruhig", sagt Wolfgang Holzgräfe.

Anne und Wolfgang Holzgräfe vor ihrem Haus. An einen Umzug haben sie nie gedacht. "Die Lage ist zentral und ruhig", sagt Wolfgang Holzgräfe.

Foto: Arnulf Stoffel

Kamp-Lintfort Anne Holzgräfe kann sich noch genau erinnern, wie ihre Eltern Anna und Willi Neuen 1953 ein Grundstück an der Gartenstraße kauften. "Ein Quadratmeter hat 50 Pfennig gekostet", erzählt die 67-jährige ehemalige Sparkassenmitarbeiterin. "Das hört sich wenig an. Aber kurz nach dem Kriege haben die Menschen auch wenig verdient." 1954 zog sie mit ihren Eltern in ein Haus an Gartenstraße ein. Seitdem wohnt sie dort - mit einer Unterbrechung von vier Jahren.

"Ich weiß noch, wie meine Mutter an der Zementmaschine stand", erzählt die Geisbrucherin. "Meine Eltern haben das Haus zum Teil in Eigenleistung gebaut. In der Zwischenzeit haben meine Großeltern auf mich aufgepasst." Es entstand ein Doppelhaus, in dessen rechte Hälfte Großfamilie Neuen 1954 einzog. "Im Erdgeschoss lagen Küche, Wohnzimmer und Elternschlafzimmer", blickt Anne Holzgräfe zurück. "Im Obergeschoss befand sich eine Einliegerwohnung für meine Großeltern, Anna und Johann Neuen. Sie hatten ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Außerdem gehörte mir ein kleines Zimmer im Obergeschoss. Die Küche nutzten Eltern und Großeltern gemeinsam."

Erst als sie 1969 Wolfgang Holzgräfe heiratete, zog sie aus, allerdings nur für vier Jahre. "Als 1973 der linke Teil der Doppelhaushälfte zum Verkauf stand, haben wir sie erworben", berichtet Anne Holzgräfe. "Meine Eltern blieben in der rechten Hälfte, wir sind in die linke eingezogen." Daran hat sich bis heute nichts geändert, selbst wenn ihr Vater heute nicht mehr lebt.

"Die Lage ist zentral und ruhig", erklärt Wolfgang Holzgräfe, warum das Paar nie über einen Umzug nachdachte. "Grundschule und Hallenbad liegen einen halben Kilometer entfernt, das Schulzentrum mit Theater nur eineinhalb und das Stadtzentrum nur zwei. Auf der Gartenstraße sind kaum Autos unterwegs. Außerdem sind die Grundstücke im Geisbruch um die 700 Quadratmeter groß. Früher haben die Eigentümer noch selbst Kartoffeln, Möhren, Erbsen, Gurken und Porree angebaut. Dazu standen Apfel- und Kirschbäume in den Gärten."

Der Gemüse- und Obstanbau war für die 1950er Jahre ebenso typisch wie die Einliegerwohnungen, für deren Bau es eine staatliche Förderung gab. Wohnraum war knapp, als mit dem Kriegsende Ostpreußen, Schlesier oder Sudeten aus ihrer alten Heimat vertrieben wurden und sich im Westen Deutschlands ansiedelten.

Nicht typisch waren zwei andere Dinge, als der Ortsteil Geisbruch nach dem Zweiten Weltkrieg bebaut wurde, der bis dahin Bruch, also sumpfige Weide, gewesen war. Zum einen gab es eine gemischte Bebauung nach Straßenzügen, was in den 50er Jahren genauso wenig üblich war, wie es heute ist. Während zum Beispiel an der Gartenstraße die Eigentümer Einfamilienhäuser errichteten, baute die Aachener Wohnungsbaugesellschaft an der Schulstraße Mehrfamilienmietshäuser, wobei sie eng mit dem Bergwerk Friedrich Heinrich zusammenarbeitete. Dazu entstanden Reihenmietshäuser, zum Beispiel an der Ferdinantenstraße, was zu einer sozialen Durchmischung führte.

Zum anderen wurden die Einfamilienhäuser oft als Doppelhäuser errichtet. In den 50er Jahren bevorzugten Häuslebauer sonst freistehende Gebäude, die sich auch im Geisbruch finden. Dabei lässt sich dieser Stadtteil, der zwischen dem Gestfeld, der Beamtensiedlung am Pappelsee und Kloster Kamp liegt, schwerer abgrenzen als die anderen Kamp-Lintforter Stadtteile.

Ein Zentrum des Gebiets ist das Geisbruchdreieck, das an der Ferdinantenstraße zurzeit eine neue Verkehrsfläche erhält, wie an der Schulstraße im Laufe des neuen Jahres. "Dadurch wird dieses Stadtteilzentrum attraktiver", freut sich Astrid Tersteegen, Inhaberin des Augenoptikergeschäftes Blickwinkel. "Im Geisbruchdreieck gibt es einige Geschäfte, dazu eine Filiale der Sparkasse, einige Ärzte und eine Apotheke. Außerdem hat sich am Mittwochvormittag ein Markt etabliert." Um das Zusammengehörigkeitsgefühl im Viertel zu erhöhen, veranstalten die Geschäftsleute an jedem zweiten Samstag im September ein Geisbruchfest.

(got)
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