Kamp-Lintfort Holocaustüberlebende erzählt bittere "Happy Story"

Kamp-Lintfort · Eva Weyl erzählte ihre Lebensgeschichte vor Kamp-Lintforter Gesamtschülern.

 Eva Weyl bei ihrem Vortrag in der Stadthalle.

Eva Weyl bei ihrem Vortrag in der Stadthalle.

Foto: Christoph Reichwein

"Uns gibt es bald nicht mehr." Das sagt Eva Weyl, die zu den letzten Überlebenden des Holocausts gehört. Seit gut zehn Jahren ist die 82-jährige Amsterdamerin unterwegs, um Jugendliche "zu Zweitzeugen zu machen", wie sie es nennt. 70 bis 80 Schulen besucht sie seitdem im Jahr, vor allem in den Niederlanden und in Nordrhein-Westfalen. In dieser Woche erzählte sie gleich dreimal ihre Geschichte am Niederrhein, Schülern des Konrad-Adenauer-Gymnasiums in Kleve, des Gymnasiums Aspern in Rees und der Unesco-Gesamtschule in Kamp-Lintfort.

Diese Geschichte bezeichnet sie als Geschichte mit "Happy End" oder als "Happy Story". "Ich erzähle über mein Glück, mein Glück, überlebt zu haben", sagt sie mit einem Lächeln, das die Zuhörer verzaubert. Dabei ist ihre Lebensgeschichte eine bittere.

Sie berichtet von ihrem Großvater David Weyl, der in der Klever Unterstadt ein großes Kaufhaus errichtete und mit seinem Bruder Louis Weyl leitete, wo sich heute die Galeria Kaufhof befindet. "Meine Eltern haben früh die Entwicklung gesehen", schaut sie zurück. "Ab 1933 standen Männer mit Plakaten vor den Kaufhäusern. Darauf war zu lesen: Kauft nicht bei Juden.'" Sie erzählt, wie ihre Eltern Hans Weyl und Margot Wolf 1934, wie ihre Verwandtschaft, nach Arnheim emigrierten, um nicht mehr diesem Boykott ausgesetzt zu sein. Dort wurde sie 1935 geboren.

"Die Niederlande waren im Ersten Weltkrieg ein neutrales Land", sagt die gebürtige Arnheimerin. "Meine Eltern haben sich dort sicher gefühlt." Doch die Nationalsozialisten interessierte die Neutralität nicht. 1940 besetzten sie das neutrale Land. Ein Jahr später wurden Eva Weyl und ihre Verwandten ins Durchgangslager Westerbork deportiert, das bei Groningen im Nordosten der Niederlande liegt.

"Ich war sechseinhalb Jahren alt", erinnert sich die gebürtige Arnheimerin, die am Freitag zum ersten Mal in der Kamp-Lintforter Unesco-Schule war, wo in den letzten Jahren immer die Niederländerin Betty Bausch zu Gast gewesen war, die mit 97 Jahren nicht mehr kommen konnte. Sie erzählt, wie ihre Mutter den Besitz der Familie, einige Brillanten und Diamanten, in die Knöpfe ihres Mantels einarbeitete, wo sie von den bewachenden SS-Männern nicht gefunden wurden. Sie berichtet von der Scheinwelt, die Lagerleiter Albert Konrad Gemmeker aufbaute, in der die Erwachsenen Theater, Kabarett und Fußball spielten, bevor sie in die Vernichtungslager Ausschwitz oder Theresienstadt transportiert wurden. "Wir haben gedacht, es würde uns später gut gehen", erinnert sie sich. "Ich besuchte eine normale Schule." 105 000 Menschen durchliefen das Lager, von denen nur 5000 nicht "dem Holocaust, der kompletten Verwüstung, dem industrialisierten Mord" zum Opfer fielen, wie Eva Weyl das Unaussprechliche ausdrückt, die mit ihren Verwandten zu den wenigen Überlebenden zählte.

"Ihr dürft Euch dafür nicht schuldig", ruft sie den 260 Gesamtschülern in der Kamp-Lintforter Stadthalle zu, die gebannt zuhören. "Ihr seid aber verantwortlich für die Zukunft." Dann schaut sie auf ihren Ring, in dem die Brillanten gefasst sind, die ihre Mutter 1941 in ihre Köpfe eingenäht hatte. "Als meine Mutter 60 Jahre alt wurde, habe ich ihn von ihr bekommen", blickt sie zurück und dann nach vorn. "Wenn ich sterbe, erhält ihn die Erinnerungsstätte Westerbork."

(got)
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