Kaarst Thierse fordert Geduld mit Flüchtlingen

Kaarst · Im Rahmen der Reihe "Dialog Zukunft" sprach der frühere Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse,jetzt in der Rathausgalerie. Unter anderem erklärte der 72-Jährige die schwierigen Aufgaben der heutigen Gesellschaft.

"Respekt vor den Unterschieden - Toleranz in Zeiten von Migration und Integration": Zu diesem hochaktuellen Thema sprach jetzt der frühere Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, im Rahmen der Reihe "Dialog Zukunft" in der Rathausgalerie. Sein Credo: "Integration ist die große Herausforderung der nächsten Jahre." Es gehe darum, dass sich die aus anderen Ländern Zugezogenen heimisch fühlen und die Einheimischen im eigenen Land nicht zu Fremden werden. Thierse sagte einen schmerzhaften Prozess voraus. In einer pluralistischen Gesellschaft müssten sich alle als Dialogpartner verstehen.

Als Sozialdemokrat, und dann auch noch aus den neuen Bundesländern, überraschte der 72-Jährige mit folgender Forderung: "Die Religion darf nicht ins apolitische, stille Kämmerlein verbannt werden. Die deutsche Verfassungstradition ist nicht laizistisch." Thierse teilt nicht die Meinung vieler Linksintellektueller, dass die Religion die beste sei, die man nicht sieht oder hört." Das sei eine falsche und dazu noch bequeme Haltung. Mit Bequemlichkeit haben die Aufgaben, die vor uns liegen, nichts zu tun: "Eine freie Gesellschaft ist keine gemütliche Gesellschaft." Toleranz sei gerade in einer pluralistischen Gesellschaft von enormer Bedeutung. Toleranz sei eine "herbe, anstrengende Sache, die nichts mit laissez-faire zu tun hat". Thierse stellte klar: "Die Gesetze gelten für alle, auch für Flüchtlinge." Er sprach sich allerdings dagegen aus, zu viel gesetzlich regeln zu wollen wie etwa das Burka-Verbot. Dass verschleierte Frauen hierzulande zu sehen sind, mag für ihn zu den Zumutungen gehören, von denen er immer wieder sprach: Zumutungen, die in einem pluralistischen Staat von allen Beteiligten friedlich ausgehalten werden müssten. Zu Deutschland gehört aus seiner Sicht übrigens nur ein friedliebender, kein aggressiver Islam.

Der frühere Bundestagspräsident warb für einen Zusammenhalt in einer vielfältigen Gesellschaft: "Es bedarf nämlich grundlegender Gemeinsamkeiten in Bezug auf Wertmaßstäbe und Normen und einer gemeinsamen Vorstellung von der Kostbarkeit der Freiheit", erfuhren die Zuhörer. Hinzu komme die Notwendigkeit einer gemeinsamen Vorstellung von einem "sinnvollen und guten Leben". Thierse warb darum, den Menschen, die aus fremden Ländern zu uns kommen, Zeit zur Eingewöhnung zu lassen und sich nicht zu scheuen, für die Werte, die unsere Gesellschaft prägt, zu werben. Das Fundament aus Gemeinsamkeiten müsse immer wieder erneuert werden. "Das wird eine größere Herausforderung sein als die deutsch-deutsche Wiedervereinigung", ist sich Thierse sicher. Er hatte zu Beginn seines interessanten Referats darauf hingewiesen, dass die Religionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts von großer Vitalität seien: "Der religiöse Mensch ist modern." Allerdings sehen die Menschen in dieser Vitalität, bezogen auf den Islam, zunehmend eine Gefahr und eine Quelle der Beunruhigung. Mit dieser Unübersichtlichkeit und Unsicherheit müsse man leben. Und er diagnostizierte: "Auch in unserem Land häufen und verschärfen sich die kulturellen und religiösen Konflikte." Was ihm in diesem Zusammenhang wichtig ist: "Die Artikulation von Besorgnis ist etwas völlig anderes als Hetze."

(NGZ)
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