Kaarst Endlich mittendrin

Kaarst · Seit eineinhalb Wochen ist Ulrike Nienhaus Bürgermeisterin. Viel Zeit zum behutsamen Rantasten an die neuen Aufgaben gibt es nicht. Die Flüchtlingskrise hält die Verwaltungsmitarbeiter in Atem - und das gilt auch für die Chefin.

 Ulrike Nienhaus feiert heute Geburtstag. Die neue Kaarster Bürgermeisterin wird 60 Jahre alt. Vor ihrem "Einzug" ins Rathaus hat sie 13 Jahre lang bei der Bezirksregierung gearbeitet.

Ulrike Nienhaus feiert heute Geburtstag. Die neue Kaarster Bürgermeisterin wird 60 Jahre alt. Vor ihrem "Einzug" ins Rathaus hat sie 13 Jahre lang bei der Bezirksregierung gearbeitet.

Foto: Andreas Woitschützke

Das Büro mit der Zimmernummer 101 ist weiblicher geworden, das sieht der Besucher auf den ersten Blick. Auf Schreibtisch und Sideboard stehen frische Blumen, an den Wänden vor Kopf hängt neue Kunst mit persönlichem Wert. "Das Gemälde aus dem Atelier des Kunstcafé Einblick hatte ich schon in meinem Arbeitszimmer in Düsseldorf", sagt Ulrike Nienhaus und deutet auf ein buntes Tier vor sonnengelbem Grund. Etwas Gewohntes in neuer Umgebung - das hilft schon sehr beim Eingewöhnen.

13 Jahre lang hat die promovierte Geologin, die nach ihrem Studium zwei Jahre lang auf einer Baustelle im Irak arbeitete und anschließend an der Technischen Universität in Aachen "Verwaltung" lernte, bei der Bezirksregierung Düsseldorf gearbeitet. Zuletzt leitete sie eine von fünf Abteilungen direkt "unter" der Regierungspräsidentin. Das ist jetzt Vergangenheit. Ein weiterer vollendeter Berufslebensabschnitt. Vor eineinhalb Wochen ist Ulrike Nienhaus als erste Frau überhaupt ins Kaarster Bürgermeisterbüro eingezogen. Mit einem Vorsprung von knapp neun Prozent und 54,3 Prozent der Stimmen haben die Kaarster die Naturwissenschaftlerin mit Verwaltungs- und Führungserfahrung zu Nachfolgerin von Franz-Josef Moormann gewählt.

In Düsseldorf hatte Ulrike Nienhaus einen Arbeitsplatz mit Blick auf den Rhein. Jetzt schaut sie als Bürgermeisterin von der vierten Etage des Rathauses aus auf "ihre" Stadt. "Das ist ein ganz anderes, schwer zu beschreibendes Gefühl", sagt Nienhaus. "Aber es ist ein gutes: Dass man jetzt das machen kann, wofür man im Wahlkampf hart gekämpft hat - in Kaarst und für Kaarst, wo man mit den Menschen und für die Menschen lebt. Da hätte ich vor zehn Jahren nicht im Traum dran gedacht, aber jetzt, mit all den Erfahrungen, die ich gesammelt habe, fühle ich mich angekommen, irgendwie."

Viel Zeit zum Eingewöhnen gibt es allerdings nicht. Die Flüchtlingskrise hält die Verwaltungsmitarbeiter in Atem, und das gilt auch für die Chefin, was bedeutet: lange Arbeitstage und abends Akten auf dem Sofa-Tisch. Ein behutsames Rantasten an die neuen Aufgaben ist derzeit einfach nicht drin.

"Ich habe mir in den vergangenen Tagen alle Flüchtlingsunterkünfte angeschaut und mit den Menschen gesprochen, die sich vor Ort engagieren", erzählt Ulrike Nienhaus. "Das fest verwurzelte Ehrenamt ist ein absoluter Pluspunkt für Kaarst, da sind wir als Stadt klar im Vorteil." Die Verwaltung alleine könne die Rund-um-die-Uhr-Unterstützung, die dort geboten wird, auch nicht leisten, betont Nienhaus. "Und wir wissen nicht, wie sich die Situation Ende des Jahres darstellt - alleine im Oktober sind 136 Menschen zu uns gekommen." Insgesamt leben derzeit mehr als 400 fest zugewiesene Flüchtlinge in Kaarst. Für eine mittelgroße Stadt bedeutet das eine Menge Integrationsarbeit. "Die Sprache", sagt Ulrike Nienhaus, "ist dabei für mich der entscheidende Faktor." Klar ist aber auch: Integration kostet Geld.

Aus dem Haushaltsentwurf der Verwaltung lässt sich ablesen, wo die Reise hingeht. Ziemlich direkt nach unten nämlich. Derzeit besucht die Bürgermeisterin die Fraktionen bei ihren Haushaltsklausurtagungen. Viel Spielraum zur Gestaltung gibt es in diesem Jahr nicht. "Es gibt Ausgaben und Themen, die sind gesetzt, um die kommen wir nicht herum", sagt Nienhaus. "Der Ausbau der Gesamtschule zum Beispiel oder der Bau des neuen Feuerwehrgerätehauses in Büttgen haben Priorität. Die Frage, wie wir uns zu bestimmten anderen Projekten stellen, wird eine Gratwanderung. Bei allem Druck in der Flüchtlingsfrage dürfen wir die Belange der anderen Kaarster Bürger nicht vergessen, und was das betrifft, sind wir alle gemeinsam gefordert, also - parteiübergreifend."

Seit eineinhalb arbeitsreichen Wochen ist Ulrike Nienhaus jetzt im Amt. Heute wird sie eine weitere Seite des Bürgermeisterinseins erleben - wenn es besonders viele Glückwünsche hagelt. Denn Kaarsts erste Bürgerin wird 60 Jahre alt.

(NGZ)
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