Kaarst Die hilfsbereite "Tante" aus dem Iran

Kaarst · Forough Schamsawary kam 1964 nach Deutschland. Seit einem halben Jahr hilft sie Flüchtlingen in Kaarst ehrenamtlich bei der Integration.

Die 72-Jährige mit dem klangvollen Namen Forough Schamsawary wirft ihre Stirn in Falten, als sie ans Handy geht. Eine afghanische Mutter will wissen, welche Diagnose ein Arzt ihrem fiebrigen Sohn gestellt hat. Deutsch versteht die Frau nicht. Schamsawary übersetzt das, was der Hausarzt am Telefon erklärt, für sie ins Persische - Alltag für die im Iran geborene Rentnerin, die seit Oktober als ehrenamtliche Flüchtlingslotsin die Stadt Kaarst unterstützt. Dabei begann die Kooperation nicht unbedingt reibungslos.

Im Herbst traf eine verwunderte Schamsawary eine Gruppe spielender Kinder, die auf ihr "Hallo!" nur mit den Schultern zuckten. Der zwölfjährige Ehsan, mit dessen Familie sie mittlerweile befreundet ist, löste sich aus der Gruppe und gab ihr zu verstehen, dass die Kinder sie nicht verstehen, weil sie gerade aus Afghanistan kommen. Als zweifache Mutter wollte sie ihm und seinen Eltern helfen. Dabei, mit der deutschen Bürokratie fertig zu werden, sich in Kaarst zu integrieren - und dabei, Deutsch zu lernen. Denn Sprache, "das ist alles", sagt Schamsawary, die vor 52 Jahren mit ihrem Mann nach Deutschland zog.

"Ich fragte bei der Stadt nach, ob es Sprachkurse für diese Menschen gebe", erzählt Schamsawary. Die Antwort - sinngemäß "Wer sind Sie überhaupt?" - schwang bald in Wohlwollen um, als die Rentnerin sich als offizielle Flüchtlingslotsin anbot. Seit Oktober ist sie Übersetzerin, Praxis- und Sozialamtsbegleiterin in einer Person.

Wenn sie heute selbst aus Farsi, Türkisch, Englisch oder Deutsch übersetzt, tut sie das vor allem aus einem Grund: "Es ist stressig, aber ich habe auch das Gefühl, etwas Gutes zu tun." Auch nachts klinglt das Telefon, spätestens um 8 Uhr kommen erste Anrufe. Dankbarkeit erfährt Schamsawary nicht nur von Flüchtlingen - einige afghanische Familien nennen sie liebevoll "Khale" (Tante) - und Migranten. "Die Ärzte in Kaarst kennen mich mittlerweile alle. Auch sie sind dankbar, wenn ich beim Übersetzen helfe."

Ob es Unterschiede im Umgang mit Ausländern im Vergleich zu ihrem Start in Deutschland gab? "Die Leute hatten mehr Zeit", sagt Schamsawary. Die Integration im heutigen Kaarst funktioniere ihrer Meinung nach aber vorbildlich: "Die Menschen hier helfen gern." Als große Hürde sieht die Integrationslotsin den religiösen Traditionalismus einiger eingewanderter oder nach Deutschland geflohener muslimischer Familien an. Denn nach einem längeren Aufenthalt im Iran Ende der 70er verließ sie ihr Heimatland nicht zuletzt wegen der Islamischen Revolution. "Wenn ich heute nach Teheran reise, wo ich studiert habe, dann trage ich dort trotzdem kein Kopftuch."

Schamsawary hatte zunächst keinen Helfer, als sie, ohne ein Wort Deutsch zu können, in das 6000-Seelen-Örtchen Bardenberg zog. Ihr Mann, der vor sieben Jahren starb, hatte dort eine Anstellung als Assistenzarzt bekommen. Nach mehreren Stationen an Krankenhäusern in Radevormwald, Solingen und Köln eröffnete er 1982 eine Praxis in Neuss. Dort half Schamsawary als Assistentin aus, bis ihr Mann im Jahr 2005 mit 68 Jahren die Praxis einem Nachfolger überlassen musste.

Obwohl Schamsawary direkt nach ihrer Einwanderung einen Deutschkursus besuchte, lernte sie die Sprache andernorts. "Anfangs war ich mit dem Wörterbuch einkaufen", sagt die 72-Jährige. Ihre Deutschkenntnisse verdanke sie indirekt aber auch ihrem Mann: "Er hat mich ins kalte Wasser geworfen und gleich alleine zur Bank geschickt", sagt Schamsawary. Helfen tue sie gerne, aber es sei auch sehr wichtig, dass die Flüchtlinge selbstständig werden.

(NGZ)
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