Hünxe "Erzählungen" von einer Kindheit im Krieg

Hünxe · Schauspieler Günter Lamprecht las auf Einladung des Lions Clubs Hünxe aus seiner Biographie.

 Günter Lamprecht las am Wochenende in Hünxe.

Günter Lamprecht las am Wochenende in Hünxe.

Foto: Joosten

Eigentlich wollte Günter Lamprecht gar keine Biografie schreiben, sein Lektor musste ihn vor zehn Jahren erst dazu überreden, denn das sei etwas anderes als Drehbücher für den "Tatort" zu schreiben, man müsse Farbe bekennen. Und das tat der bekannte Schauspieler am späten Sonntagnachmittag bei seiner vom Lions Club Hünxe organisierten Lesung im vollbesetzten Ratssaal auch auf eindrucksvolle Weise, als er aus seiner Biografie "Erzählungen" las.

Er habe während des Schreibens viel geweint, bekennt Günter Lamprecht offen. Er ist Jahrgang 1930, hat seine Kindheit in Berlin verbracht, das Kriegsende dort erlebt. Und weil er weiß, wie ein Kind den Krieg empfindet, verzichtete der Schauspieler auf seine Gage und stellte sie dem Friedensdorf, dessen Botschafter er auch ist, zur Verfügung.

Um Günter Lamprechts eigene Kindheit ging es auch bei der Lesung. Hineingeboren in schwierige Verhältnisse und eine Zeit voller Unruhe, passte Lamprecht als zweites Kind nicht ins familiäre Konzept der Arbeiterfamilie, die in einer Hinterhofwohnung in Berlin-Wilmersdorf lebte. Sein Vater versoff seinen Lohn und Günters Klavier und chauffierte die Nazi-Parteigrößen. Lamprechts Mutter Maria hingegen ist eine mutige Frau, die ihrem Sohn Geborgenheit gibt und sich für ihn einsetzt. Als sie feststellt, dass der Lehrer ihn geschlagen hat, stellt sie ihn kurzerhand mitten im Unterricht zur Rede und haut ihm ihre Handtasche um die Ohren.

Lamprecht schilderte eindringlich und authentisch, wie nach und nach die jüdischen Kinder aus seiner Klasse verschwinden und wie er die Plünderung jüdischer Geschäfte erlebte. Wie ihn das schlechte Gewissen plagt, als sein Opa wochenlang die Zigarren raucht, die er trotz seiner Skrupel in einem Tabakgeschäft eingesteckt hat. Wie er knapp einer Bombe entkommt, die in einem Luftschutzkeller einschlägt, in dem er sich Augenblicke zuvor noch aufgehalten hat. Wie er als Hilfssanitäter betend durch den Bombenhagel rennt. Szenen, die betroffen machen. Aufgefangen werden diese Momente durch Erinnerungen an die unbeschwerten Sommer in Masuren, der Heimat seiner Mutter. Wo der Sommer nach Sommer riecht, die Familie sonntags bei Streuselkuchen und Gerstenkaffee aus Emaillekannen zusammensitzt.

Nach dem Krieg wird Lamprecht das Leben zu eng. Er arbeitet als Orthopädiemechaniker, geht abends in den Jazzkeller. Hier sagt ihm jemand: "Junge, du musst Schauspieler werden." Zum Vorsprechen bei einer bekannten Lehrerin kommt er völlig unvorbereitet, aber mit Talent: Nach vier Wochen Unterricht schafft er die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule, bekommt ein Stipendium und "fängt ganz von vorne an." Das Publikum dankt mit viel Applaus für die Lesung.

(RP)
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