Serie Ross Und Reiter Auf dem Pferderücken zu sich selbst finden

Hückeswagen · Die Kräwinkler Initiative aus Radevormwald ermöglicht Kindern mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen durch Spendenaktionen die Teilnahme an Reittherapien. Weitere Sponsoren und Mitglieder werden dringend gesucht.

 Die Nähe zum Pferd gibt Carmen Ruhe und Selbstvertrauen. Durch seine Impulse spürt das Mädchen auch sich selbst besser.

Die Nähe zum Pferd gibt Carmen Ruhe und Selbstvertrauen. Durch seine Impulse spürt das Mädchen auch sich selbst besser.

Foto: Michael Schütz

Radevormwald Die Trainingserfolge, die Carmen auf dem Islandpferd Nör hat, zeigen sich auf vielfache Weise. Inzwischen beherrscht die Zehnjährige bereits einige Figuren auf dem Tier. Stolz gibt sie eine kleine Kostprobe: Während ihre Trainerin und Therapeutin Nadja Heger das Pferd an der Longe langsam im Kreis führt, löst das Mädchen aus Radevormwald ihre Hände vom Griff und streckt sie weit in die Luft. Dann hebt sie auch ihren Blick - die Augen strahlen - und Carmen lächelt fröhlich in die Kamera. Selbst rücklings zu reiten, traut sich die Zehnjährige bereits. Und doch: Die maßgeblichen Fortschritte, die Carmen nach einem Jahr Reittraining gemacht hat, sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Sie sind von mentaler Natur. Carmen hat nämlich eine leichte geistige Behinderung. Manchmal ist sie nervös und empfindlich. Der Umgang mit dem Islandpferd Nör gibt ihr Ruhe, Selbstvertrauen und lässt sie begreifen, wie viel sie tatsächlich kann.

 Die zehnjährige Carmen traut sich auf dem Islandpferd Nör sogar, freihändig zu reiten. Nach einem Jahr Reiten mit Therapeutin Nadja Heger (rechts) hat das Mädchen aus Radevormwald sowohl Vertrauen zum Tier wie auch zu ihren eigenen Fähigkeiten gefasst.

Die zehnjährige Carmen traut sich auf dem Islandpferd Nör sogar, freihändig zu reiten. Nach einem Jahr Reiten mit Therapeutin Nadja Heger (rechts) hat das Mädchen aus Radevormwald sowohl Vertrauen zum Tier wie auch zu ihren eigenen Fähigkeiten gefasst.

Foto: Michael Schütz

Carmen ist eine von derzeit sechs Kindern, die dank der Kräwinkler Initiative eine Reittherapie machen können. "Unser Ziel ist, dass sich körperlich und geistig behinderte Kinder durch das Reiten besser fühlen", sagt die Vorsitzende Luciana Ruttkowski. "Durch den Umgang mit dem Pferd vollziehen die Kinder sowohl eine soziale wie emotionale Entwicklung. Sie erfahren Vertrauen und Sicherheit, sie schulen ihre Motorik und Sprache, ihre Wahrnehmung und erhöhen ihre kognitiven Fähigkeiten."

Der positive Effekt, der sich bei kranken Menschen durch eine tiergestützte Therapie einstellt, ist seit den 1960er Jahren bekannt. Deshalb entschied eine Gruppe rund um Siegfried Reise aus Radevormwald 2003 bei einem Gartenfest, Geld zu sammeln, um einem behinderten Jungen die Fahrt zur Delfin-Therapie nach Florida zu ermöglichen. Aus der privaten Hilfe wurde ein Konzept: Ein Jahr später gründete sich die Kräwinkler Initiative, die durch Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, durch Sponsoren, Verkäufe und Spenden-Aktionen Kindern mit Beeinträchtigungen die Erlangung von Therapien ermöglicht, die nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen unterstützt werden.

Die Delfin-Therapie, die in den vier Anfangsjahren im Vordergrund stand, wird heute aber nicht mehr von der Initiative unterstützt. "Die Erfahrung, mit Delfinen zu schwimmen, ist natürlich ein tolles Erlebnis", sagt Luciana Ruttkowski. "Allerdings sind die positiven Effekte für die Kinder nicht von langer Dauer, sondern nur eine Momentaufnahme. Nachdem die Kinder von ihrer Reise zurückkamen, war die Wirkung schnell wieder verflogen." Die Reittherapie hingegen trumpfe mit ihrer Kontinuität. Viele der von der Initiative unterstützten Kinder reiten schon seit mehreren Jahren, in der Regel einmal wöchentlich. "Die Kinder können so einen Bezug und Vertrauen zu dem Tier aufbauen und lernen, Verantwortung für das Pferd zu übernehmen", erklärt die Vorsitzende.

Jede Reittherapiestunde verläuft nach dem gleichen Schema: Das von Therapeutin Nadja Heger speziell für jedes Kind ausgesuchte Pferd wird begrüßt und gemeinsam mit ihr aus der Box herausgeführt, um es zu striegeln und zu putzen. Anschließend geht es zum Reiten auf den Pferderücken. Sind die Kinder wegen ihrer Einschränkung nicht alleine dazu in der Lage, kommt Nadja Heger mit aufs Pferd. "Meistens wird ohne Sattel geritten, um die Nähe zu dem Tier noch intensiver zu spüren", ergänzt Luciana Ruttkowski. "Die Kinder spüren die Impulse des Pferdes und fühlen sich über dem Tier selbst."

Besonders deutlich werde dies bei schwerbehinderten Kindern wie einem zwölfjährigen Jungen aus der Gruppe, der an Autismus leidet. "Der Junge zeigt in seinem Alltag überhaupt keine Emotionen, ist er aber bei seinem Pferd, geht er auf und kann über das Tier zu sich selbst finden", erzählt die Vorsitzende. "Er hat bei der Reittherapie sogar schon paar mal gelächelt - ein wirklich bewegender Moment", ergänzt Luciana Ruttkowski.

Ein weiterer Grund, sich gegen die Delfin- und für die Reittherapie zu entscheiden, waren die Kosten. "Für die Delfin-Therapien waren stets Reisen nötig, etwa nach Amerika oder Spanien. Das war sehr kostenintensiv, und es konnte immer nur ein Kind gefördert werden", sagt Luciana Ruttkowski. Doch auch heute sucht die Initiative nach Sponsoren und Mitgliedern. Ruttkowski: "Wir haben viele tolle Menschen, die uns sehr unterstützen. Doch die Entscheidung, wie vielen Kinder wir eine Therapie ermöglichen können, steht immer in einer finanziellen Abhängigkeit. Es gibt sehr viele Familien in unserer Region, die sich eigenständig diese Behandlung für ihr Kind nicht leisten können." Der Mitgliedsbeitrag beträgt zwölf Euro im Jahr. Und auch der beliebte Räucher- und Backfisch der Kräwinkler Initiative, der nicht nur zum Weihnachtsmarkt, sondern jederzeit bei Ruttkowski zu haben ist - bessert die Kasse auf.

Einen Eindruck von der Arbeit der Initiative können sich Besucher auch beim Sommerfest am Samstag, 24. September, 11 bis 19 Uhr, auf dem Islandpferdehof Heger in Oberkarthausen machen.

(beaw)
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