Hückelhoven Wie Pfarrer Thomas um sein Recht kämpfte

Hückelhoven · Pfarrer Josef Thomas kämpfte lange um seine Pfarrstelle im ostbelgischen Recht (St. Vith). Der Streit tangierte sogar den Papst. Schließlich war er in Belgien suspendiert. Er suchte sich das idyllische Doveren als neue Wirkungsstätte aus.

 Der Doverener Autor Frank Körfer hat bereits mehrfach Veröffentlichungen zu dem 1938 verstorbenen Geistlichen vorgelegt (u.a. Heimatkalender des Kreises Heinsberg 2008). Er zeigt dessen letzte Ruhestätte vor St. Dionysius.

Der Doverener Autor Frank Körfer hat bereits mehrfach Veröffentlichungen zu dem 1938 verstorbenen Geistlichen vorgelegt (u.a. Heimatkalender des Kreises Heinsberg 2008). Er zeigt dessen letzte Ruhestätte vor St. Dionysius.

Foto: JÜRGEN LAASER

Er war zweifellos ein streitbarer Geist, er hätte wohl auch dem Teufel die Stirn geboten. Geboten hat er sie seinen Vorgesetzten, dem Bischof von Eupen und Malmedy und dem Dechanten, Gouverneur des gleichen Raums, der Kurie, den Nationalsozialisten: Der Doverener Pfarrer Josef Thomas, dessen Kampf um seine frühere Pfarrstelle im ostbelgischen Örtchen Recht zu einer Art Kampf um Rom wurde. Er focht zu Beginn des 19. Jahrhunderts in doppelter Hinsicht um sein Recht. Und um Heimat, denn das Selbstverständnis eines Priesters ist es, in "seiner" Gemeinde zu leben.

Gerade erschienen ist ein Buch des Eupener Autors Wilfried Jousten unter dem Titel "Ein Priester kämpft in Rom um sein Recht", der Josef Thomas' Weg durch die politischen Umwälzungen vor Ort detailreich bis 1924 nachvollzieht.

Josef Thomas wurde 1880 in Scheifendahl (Heinsberg) geboren. 1905 wurde er in Köln zum Priester geweiht, 1912 erhielt er "seine" Pfarrstelle in Recht mit etwa 1000 Seelen, das damals zum Deutschen Reich gehörte und 1920 als Ergebnis des verlorenen I. Weltkriegs an Belgien abgetreten werden musste.

Und damit entstand ein ganz erhebliches Konfliktpotenzial, indem der überwiegende Teil der Bevölkerung sich weiterhin als deutsch definierte, während Belgien die Eingliederung des "Eupen-Malmedy" genannten Gebiets vorantrieb, ein eigenes Gouvernement errichtete, um Rechts- und Schulsysteme neu auszurichten. Die Pfarrer des fast ausschließlich katholischen Gebiets dachten weiterhin deutschnational und sahen sich ebenso weiterhin als dem Erzbistum Köln zugehörig.

Auf Bitten des Belgischen Staats formte der Papst ein eigenes Bistum "Eupen-Malmedy", dessen Führung der Lütticher Bischof Martin Hubert Rutten in Personalunion übernahm. Im neuen belgischen Schulsystem sahen sich die alten Pfarrer in ihren Befugnissen beschnitten gegenüber der Preußenzeit, vor allem Josef Thomas stürzte sich in einen Kleinkrieg mit örtlichen Lehrern. Belgien hatte eine Reihe kirchlicher Feiertage abgeschafft, die Kinder sollten dann zur Schule gehen, Thomas forderte sie auf, statt zum Unterricht in die Kirche zu kommen. Der Lehrer verwies ihn daraufhin der Schule, Thomas verweigerte dem Pädagogen in der nächsten Messe die Kommunion. Hatte Lehrer Metzmacher in einer Staatsbürgerkunde an die Tafel geschrieben, in Belgien sei der König die höchste Autorität, wischte der wütende Pfarrer, Gotteslästerung witternd, die Tafel. Zwei Tage später nahm er das Kruzifix aus der Schule in die Sakristei: Wenn der Pfarrer aus der Schule vertrieben werde, gehöre das Kreuz nicht mehr dorthin.

Endlose Schriebe wechselten zwischen Thomas, den Lehrern, dem Gouverneur, General-Leutnant Helmut Baltia und dem Bischof. Bischof Rutten und die Kurie wollten keine Auseinandersetzungen in der brisanten Situation zwischen 1920 und 1925. Rutten forderte Thomas mehrfach auf, die Auseinandersetzung zu beenden, der zeigte sich unbeeindruckt, wehrte sich heftig mit kirchenrechtlichen Argumenten.

Schließlich suspendierte der Bischof den Renitenten, der die Adelgundis-Pfarre Recht als seine Heimatgemeinde ansah. Er versah seinen Dienst erst einfach weiter, wurde dann aber aus dem Pfarrhaus verbannt, erhielt kein Gehalt mehr. Er hatte sich allerdings vorher am Bischof vorbei an die römische Kurie gewandt, dort wurde die Suspendierung bestätigt, man wollte Ruhe in Ostbelgien, insofern bekam der kleine Ortspfarrer auch beim Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri Aufmerksamkeit. Thomas stand für einen Großteil der rund 60 deutschen Pfarrer in Eupen-Malmedy, die der belgische Staat als "fünfte Kolonne Deutschlands" ansah.

Doch der zähe Rheinländer gab sich nicht geschlagen, er war sogar in Rom vernetzt, reiste im November 1923 in den Vatikan. Er hatte dort eine Art (Kölner) Heimat-Dependance mit dem "Collegio Teutonico" am Campo Santo, einem deutschen Priesterkolleg, das Dr. Emmerich David leitete, mit dem Josef Thomas 1905 im Kölner Dom geweiht worden war. Einbezogen in das Pro-Thomas-Netzwerk die Kardinäle Andreas Frühwirth und Franziskus Ehrle. Josef Thomas' Rückkehr nach Recht war trotz Fürsprache in Rom nicht zu halten. Frühwirth und Ehrle setzten sich für eine neue Aufgabe im Bistum Köln ein. Josef Thomas konnte gar zwischen fünf Pfarren wählen. Auf diplomatischem Weg wurde seine Rückkehr in die deutsche Staatsbürgerschaft geregelt - Thomas war nach einem Jahr unter belgischer Verwaltung automatisch Belgier geworden. Auch wenn er selber eingesehen hatte, dass die Sache nicht gut für ihn stand, tauchte er im Juni 1924 trotz Verbots wieder in Recht auf und las eine Messe, trotz eines neuen Seelsorgers. Der wütende Bischof schaltete den Kardinalsstaatssekretär ein, der wiederum den Nuntius des Vatikans in Deutschland, Eugenio Pacelli (kurz danach Papst Pius XII.) mit der Lösung des Falls beauftragte. Das gelang, Josef Thomas erhielt darüber hinaus rund 20000 belgische Franc als geforderten Kostenersatz.

Josef Thomas nahm Doveren, wo bei seiner Amtseinführung am 26. Oktober 1924 ein Schreiben von Papst Pius XI. an Diözesan-Erzbischof Schulte verlesen wurde: "Du, Ehrwürdiger Bruder, sollst dem Ehrwürdigen Pfarrer Thomas wegen seiner großen Frömmigkeit, seiner hohen Gelehrsamkeit und wegen der unschätzbaren Verdienste, die er sich in der christlichen Kirche erworben hat, in Deiner Diözese eine hervorragende Stelle anweisen."

Und die sah Josef Thomas in Doveren: "Meine Hoffnungen sind erfüllt. Idyllisch gelegener Ort mit schöner Kirche, fast zu großer Philosophen-Wohnung, romantisch gestaffeltem großem Nutz- und Obstgarten; Bahnstation, zwei Geistliche bei 1500 Katholiken, gute Lehrpersonen, liebe Confratres. Ich bin zufrieden." Er hatte seine neue Heimat gefunden, bewusst nahe Scheifendahl und Immerath, wo sein jüngerer Bruder in St. Lambertus wirkte.

Frank Körfer wertet die Jahre bis 1933 in Doveren als wohl die angenehmsten im priesterlichen Wirken Thomas', er ließ die Kirche sanieren, ordnete die Vermögensverwaltung neu, legte ein Pfarrarchiv an. Nach der Machtübernahme 1933 der Nationalsozialisten predigte er gegen deren Ideologie und Handeln an, am 12. März verbat er sich eine Heldengedenkfeier in der Kirche mit Nazi-Fahnen, eine Woche später rammte man ihm die Haustür auf, zerstörte Scheiben, grölte Parolen.

Unbeirrt sprach er Themen in den Predigten an. Er wurde 1935 angezeigt, verteidigte sich geschickt, sodass selbst die Gestapo ihn nicht ins KZ kriegte, doch er wurde vom Schuldienst suspendiert. Der jahrelange Zwist hatten seine Gesundheit angegriffen, er erlitt einen Gehirnschlag und starb am 4. Mai 1938. Die Nazis rächten sich am Toten, er durfte nicht an der Priestergrabstätte am alten Kreuz an der Kirche beigesetzt werden, ihm wurde ein Grab auf dem Kommunalfriedhof zugewiesen. Pfarrer Heinrich Schroiff revidierte dies 40 Jahre später. Er ließ 1978 eine Krypta außen neben dem Hauptportal einrichten, in die Josef Thomas umgebettet wurde, in der auch Schroiff seine letzte Ruhe fand.

(isp)
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