Hückelhoven Wenn das Kredit-Fundament wegbricht

Hückelhoven · Eine steigende Zahl Ratsuchender verzeichnete die Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie 2015. Allein aus 696 Insolvenzberatungsfällen summierten sich die Forderungen von 7100 Gläubigern auf 27 Millionen Euro.

 Überschuldung oder gescheiterte Selbstständigkeit hat stets mehrere Ursachen. Am Ende steht oft der Eigenheim-Verlust.

Überschuldung oder gescheiterte Selbstständigkeit hat stets mehrere Ursachen. Am Ende steht oft der Eigenheim-Verlust.

Foto: Jens Schierenbeck/dpa/tmn (Archiv)

Superintendent Jens Sannig stand noch unter dem Eindruck einer TV-Diskussion über Altersarmut am Vorabend, als die Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie in Kooperation mit der Awo am Montag ihre Jahresbilanz 2015 vorlegte. "Altersarmut oder das Thema Schulden und Krankheit sind drängende Problemfelder", unterstrich er. Nach einer Studie der Uni Mainz sind acht von zehn Überschuldeten krank. Finanznot macht Stress und raubt den Schlaf, umgekehrt verursacht Krankheit mit Arbeitsunfähigkeit oft Schulden. Das deckt sich mit Erfahrungen der in Hückelhoven ansässigen Schuldenberater. "Am Ende steht oft der Komplettabsturz", weiß Wolfgang Meier, Leiter der kreisweit zuständigen Beratungsstelle.

Gestiegen sind die Zahlen für Beratungsfälle und Neuaufnahmen. Insgesamt fanden 1651 Haushalte Rat, etwa 100 mehr als 2014. Allgemeine Schuldenberatung (955) überflügelt mittlerweile die Zahl der Insolvenzberatungen (696 Fälle). So leicht es ist, Kredite aufzunehmen, im Internet oder Handel auf Pump zu kaufen, so schwer fällt es manchen zu überblicken, ob sie die Raten jemals zurückzahlen können.

Manchmal durchkreuzt das Leben auch anfangs sicher scheinende Pläne - wie beispielhaft bei einer Familie mit zwei Kindern, sechs und acht Jahre alt. Sie wird am Ende ihr Haus durch Zwangsversteigerung verlieren, aber mit den Beratern einen Weg zur Neuorientierung gefunden haben. Die Familie hatte ein Einfamilienhaus gekauft, die Frau wollte wieder arbeiten, um das Einkommen aufzustocken. Die ungeplante zweite Schwangerschaft machte einen Strich durch die Rechnung. Plan B zwei Jahre nach Geburt des zweiten Kindes: Mit einer Fußpflegepraxis im eigenen Haus wollte die junge Mutter Geld in die Familienkasse bringen und zugleich die Kinder betreuen können. Jetzt flossen Einnahmen, so wurde ein Auto mit Finanzierung gekauft, ein Kredit für Praxisausstattung aufgenommen. Ein Jahr später erkrankte der Mann langfristig, verlor seinen Job. Das Girokonto weit überzogen, nicht mehr genug Geld für Bau- und Ratenkredite - das Ehepaar sieht keinen Ausweg, als Paar geraten beide in eine Krise.

Wie bei vielen Ratsuchenden loten die Berater Sanierungsmöglichkeiten aus, um wieder eine unbelastete Lebensperspektive zu eröffnen. Das bedeutet auch: Es wird nicht nur gerechnet oder ein Insolvenzverfahren vorbereitet, sondern auch psycho-soziale Beratung geleistet, die Überschuldete stabilisiert. Diese Dienstleistung schätzt Kreis-Sozialdezernentin Liesel Machat, zudem die kurze Wartefrist: "Mich freut der schnelle Zugang für jedermann. Es ist vom Kreis Heinsberg so gewollt, dass damit auch Sozialberatung stattfindet", sagte sie bei der Präsentation der Zahlen. 340 Personen haben 2015 mit Hilfe der Schuldnerberater einen Antrag auf Eröffnung der Verbraucherinsolvenz gestellt, in 13 Fällen gab es vorher eine Einigung mit den Gläubigern. Der Fall eines Mannes mit fünf Millionen Steuerschulden (nach Zigarettenschmuggel) ist die exotische Ausnahme. Auf Banken entfallen zwei Drittel der Forderungssumme aller Gläubiger, oft sind es gescheiterte Immobilienfinanzierungen. Warenanbieter machen 19 Prozent der Gläubigergruppe aus, an dritter Stelle stehen offene Handy-, Telefon oder Pay-TV-Rechnungen, gefolgt von Beitragsforderungen von Versicherungen. Folgerichtig steigt stetig die Zahl der Beratung zum Pfändungsschutzkonto (32 Prozent mehr Bescheinigungen). Die 696 Insolvenzberatungsfälle waren mit insgesamt 27 Millionen Euro verschuldet.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort